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Kulturgeschichte mit Fehlern und Leerstellen

Auf 419 Seiten die "Kulturgeschichte des Sports" zu erzählen, gleicht einem sporthistorischen Parforceritt. Der aktuelle Versuch des Saarbrücker Historikers Wolfgang Behringer scheitert, aus methodischen Gründen und auch wegen mangelhafter Recherche.

Von Erik Eggers |
    Hitler und Handball? Der Kulturhistoriker Wolfgang Behringer erzählt dazu eine sporthistorische Sensation: Der Reichskanzler höchstpersönlich habe dafür gesorgt, dass Handball bei den Olympischen Spielen 1936 erstmals zum olympischen Programm gehörte. "Weil Deutschland damals in dieser Sportart dominierte", schreibt Behringer in seiner "Kulturgeschichte des Sports", die rechtzeitig vor den Olympischen Spielen von London erschienen ist.

    Nun wurde Handball von den Nazis für den Wehrsport instrumentalisiert, etwa genutzt zur Schulung im Handgranatenwurf. Aber die Geschichte vom Führer als Förderer des Handballs ist schlichtweg Unfug. Schon 1930/31 stand die Aufnahme des Handballs auf der Agenda. Auch irrt Behringer mit der Annahme, ein Handballweltverband existiere erst seit 1946. In Wirklichkeit wurde die Internationale Amateur-Handball-Föderation 1928 gegründet. Nur gründete sich die Internationale Handball-Föderation (IHF) 1946 bewusst neu, weil die SS 1938 den Weltverband gleichgeschaltet hatte.

    Wenn man etwas genauer hinschaut, dann findet man weitere Märchen. Etwa die Behauptung, die US-Sprinterin Betty Robinson habe 1936 in Berlin wegen einer Behinderung nicht in der 100-Meter-Konkurrenz starten dürfen (was Behringer offenbar aus dem deutschen Wikipedia-Eintrag zu Robinson entnommen hat). Vielmehr war sie nach einer Verletzung nicht mehr dazu in der Lage, einen Tiefstart auszuführen und startete deshalb nur in der Staffel. Auch lagen die ersten Fußballregeln in deutscher Sprache, die Konrad Koch 1875 publizierte, keineswegs "irgendwo zwischen Rugby und Soccer". Sondern es waren Rugby-Regeln.

    Behringer ist Professor für die Geschichte der frühen Neuzeit, und sein Anliegen ist es darzustellen, dass diese Zeit von etwa 1450 bis 1800 "eine Scharnierfunktion einnimmt zwischen der olympischen Antike und dem Aufschwung des modernen Sports seit dem 19. Jahrhundert". Ohne diese Kenntnis könne man die neuere Sportentwicklung nicht verstehen. Er rechnet diesen "Vorgang der Sportifizierung zu den Fundamentalprozessen der Moderne". Die Darstellung dieser Ära des vormodernen Sports, seine Erzählungen über die Turniere des Mittelalters und die Renaissance der Spiele sind unterhaltsam und anregend, etwa das Kapitel über die Anfänge der Sportmedizin.

    Aber seine Ausführungen zum modernen Sport im 19. und 20. Jahrhundert sind, wie die einführenden Beispiele zeigen, nicht hinreichend tief recherchiert, sie überblicken nicht den Stand der Forschung, und sie führen zum Teil auch in die Irre. Die "mutigen Reformen" des ehemaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch mit der Gründung einer Anti-Doping-Agentur zu begründen, ist schlichtweg naiv angesichts der Quellenlage. Und Behringers Lobpreisungen von Weltrekordlern und Olympiasiegern sind extrem problematisch, weil sie wie eine Hagiographie wirken: Denn auf "Einzelprobleme" wie Doping verzichtet er.

    Dabei ist die Kulturgeschichte des modernen Sports ohne die höchst differenzierte Kulturgeschichte der Leistungssteigerung nicht zu verstehen. Das Buch hätte besser auf die Geschichte des modernen Sports verzichtet, anstatt Mythen zu verbreiten.

    Besprochenes Buch:
    Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Sports. Vom antiken Olympia bis ins 21. Jahrhundert, C.H.Beck, München 2012, 494 Seiten, 24,95 Euro.