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Kulturgeschichte
Von Menschen und Vögeln

Die einen füttern und züchten sie, für die anderen sind Tauben nichts anderes als Krankheitsüberträger. Die Beziehung zwischen Menschen und Vögeln ist oft ambivalent, wie Bernd Brunner in seinem Sachbuch "Ornithomania. Geschichte einer besonderen Leidenschaft" herausstellt. Das Werk ist gespickt mit skurrilen Geschichten und amüsanten Anekdoten.

Von Anja Hirsch |
    Ein Gaukler mit Wellensittichen auf der Schulter auf der Engelsbrücke in Rom, aufgenommen am 12.05.2013.
    Manche Halter entwickeln eine Art Liebesverhältnis zu ihren Vögeln, sagt Autor Bernd Brunner. (picture alliance / dpa-ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Es ist wohl weiter nichts Besonderes dabei, wenn man die Theaterstücke von William Shakespeare liebt. Aber es gehört schon eine größere Verrücktheit dazu, auf die abstruse Idee zu verfallen, alle Vögel, die bei Shakespeare erwähnt werden, nach Amerika einführen zu wollen. Eugene Schieffelin hat diese Idee Ende des 19. Jahrhunderts in die Tat umgesetzt. Der Amerikaner deutscher Herkunft, eigentlich Arzneimittelhersteller, ist einer jener "Vogelbesessenen", die den Autor Bernd Brunner beeindruckt haben.
    "Das fand ich unglaublich. Und der hat das tatsächlich geschafft - im Fall der Stare zumindest, die bis zu dem Zeitpunkt nicht auf dem amerikanischen Kontinent existierten, und der hat die 1890 im Central Park ausgesetzt, 100 Stück davon, und die haben sich tatsächlich im Laufe der Jahrzehnte auf etwa 50 Millionen Exemplare vermehrt, so dass das in Amerika auch heute noch der häufigste Vogel überhaupt ist."
    Leidenschaft für Vögel
    Eugene Schieffelin mit seiner ungewöhnlichen Idee, Tiere aus der Literatur in die reale Welt zu setzen, gab den Anstoß für Bernd Brunners kurzweilige Kulturgeschichte "Ornithomania. Geschichte einer besonderen Leidenschaft". Sie erzählt von Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Vögeln beschäftigt haben; von Musikern und Dichtern, welche sie besingen; von heutigen "Bird-Watchern", die Zähl-Aufrufen von Naturschutzbünden folgen und emsig Listen anlegen; von frühen Sammelwütigen wie Aristoteles, der 140 Vogelarten beschrieb und noch der Meinung war, Vögel machten Winterschlaf. Bernd Brunner, keineswegs selbst Fachmann auf dem Gebiet der Ornithologie, hat schon viele Sachbücher geschrieben - eines über den Mond oder über den Weihnachtsbaum. Das letzte Buch versammelte Wissenswertes zum kuriosen Thema "Die Kunst des Liegens". Alle diese Bücher handelten immer auch von Leidenschaften; und manche, wie Brunners Buch über Zimmeraquarien oder den Bären, beschäftigte sich bereits explizit mit dem Beziehungspaar Mensch-Tier. Jetzt also Vögel. Eine kleine Hürde musste der Autor dabei allerdings überwinden:
    "Ich selbst hab eher ein gespaltenes Verhältnis, muss ich sagen, ich bin als Kind mal auf einer Nordseeinsel von Säbelschnäblern angegriffen worden in einem Brutgelände, das hat mich so ein bisschen schockiert damals."
    Aus Angst wurde Faszination
    Die Angst ist während seiner Recherchen längst einer Faszination gewichen, die sich auch beim Lesen überträgt; gleich angefangen beim Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II., im frühen dreizehnten Jahrhundert ausgewiesener Falkner, der eigens für Wasservögel ein Vivarium aus Teichen und Sümpfen bauen ließ. Er gilt als einer der ersten großen Ornithologen, wobei sich die Vogelkunde als Wissenschaft erst im 19. Jahrhundert etablierte. Doch Brunner liefert nicht einfach nur einen geschichtlichen Abriss. Statt wissenschaftliche Faktenhuberei zu betreiben, rückt er lieber skurrile Geschichten ins Licht, zum Beispiel jene über die Entstehung des Mythos Paradiesvogel: Einheimische hatten die bunten Vögel zur Verschiffung jeweils so präpariert, dass die Exemplare nicht nur ohne Fleisch und Knochen, sondern auch ohne Füße und Flügel eintrafen. Das regte die Vorstellungskraft der Menschen an.
    "Sie waren dann zum Beispiel der Meinung, dass sie nie auf dem Boden aufsetzen, sondern immer mit den Winden fliegen und wie so engelartige Wesen existieren."
    Dass Tiere für den Menschen immer auch großartige Projektionsfläche sind, ist ja bekannt. Im Falle der Vögel mit ihren luftgefüllten Knochen, der jahrmillionenalten Existenz auf Erden, dem Gesang und ihren schönen Farben vermittelt sich oft Anmut. Sie wecken unsere Sehnsucht nach Freiheit.
    "Man neidet dem Tier auch, fliegen zu können, wegfliegen zu können, den eigenen Verhältnissen entfliehen zu können."
    Einige Vogelarten gelten als Schädlinge
    Diese Sehnsucht hat natürlich seine Kehrseite, die Brunner nicht ausspart. Die Stare zum Beispiel, die der anfangs genannte Shakespeare-Liebhaber nach Amerika importierte, gelten dort heute als Schädlinge und werden bekämpft. Andere Arten dagegen sterben aus, weil Menschen sie jagen, aus Profitgier, Tötungslust oder einfach nur dem Wunsch nach Anerkennung. Und über folgende französische Sitte lässt sich wohl geteilter Meinung sein:
    "Den Ortolan zu verspeisen, gilt in bestimmten hohen französischen Kreisen als absolute Delikatesse, wo man den Kopf wahrscheinlich total ausschaltet in dem Moment, weil das ist alles eine ziemlich widerliche Angelegenheit, der Vogel wird insgesamt gekocht und wohl halb lebendig auch noch, also man darf gar nicht drüber nachdenken, und dann wird der verspeist, so im Ganzen, und angeblich heißt es, dass Francois Mitterand seine letzte Mahlzeit auf diese Weise zu sich genommen hat, mit diesem speziellen kleinen Vogel. Es ist vielleicht der Triumph über die Natur, dass man es den Tieren doch noch mal gezeigt hat, und am Lebensende in dem Fall, ich weiß es nicht, es ist ganz schwierig zu sagen."
    Das Buch ist ansprechend gestaltet, mit schönen Initialbuchstaben, die kleine Vogelzeichnungen zieren. Auf einen größeren Bildteil hat man dafür verzichtet. Das braucht es auch nicht angesichts des starken Erzähltextes. Mit ein bisschen Fantasie spulen sich bei der Lektüre ganze Filme ab. Im Spiegel der Vögel zeichnet sich also Menschheitsgeschichte ab, mit ihrer jeweils ganz eigenen Geschichte der Obsession und Porträts von Sonderlingen aller Art. Dabei lenkt Brunner unseren Blick immer wieder auf die Gesellschaft, die unterschiedliche Vorstellungen von Naturschutz pflegt und verschiedenen Einflüssen unterliegt. Viele Geschichten zeigen, dass Liebe und Hass eng beieinander liegen. Am deutlichsten sicherlich spürbar beim Thema Tauben, welche die Gemüter am tiefsten spaltet.
    Tauben spalten die Gemüter
    "Die Tauben verköpern das Paradox - einerseits werden bestimmte Arten gezüchtet, mit großer Liebe, die Tiere werden richtig vergöttert, man lässt sie - ich habe das in der Türkei auch selbst erlebt - man lässt sie Saltos machen in der Luft, das ist ganz faszinierend, wozu die Tiere auch fähig sind - und welche Nähe sie auch zu ihren Haltern entwickeln. Manche beschreiben das als Liebesverhältnis, das kommt dem wahrscheinlich schon irgendwie nah."
    Anderen sind die Vögel nur Überträger von Krankheiten. Die jeweilige Kultur oder Religion entscheidet über den Stellenwert bestimmter Tiere, die in Einzelfällen durchaus auch mal den Menschen für sich einspannen: Japanische Krähen beispielsweise, so erfährt man, lassen von Autos Nüsse knacken. Meistens freilich ist es umgekehrt, und die Menschen lassen Vögel für sich arbeiten, wie im Falle der Falknerei, die hier auch kritisch beleuchtet wird. Kurzum: Brunners Buch ist eine unterhaltsame Überraschungs-Fibel mit reichhaltigem Material. Übersicht stiften Kapitel, die Themen überhaupt erst ausrufen: Vogelsammelnde Frauen etwa. Auch der Schriftsteller Jonathan Franzen, der sich bekanntlich dem Kampf gegen die Singvogeljagd im Mittelmeerraum verschrieben hat, bleibt nicht unerwähnt. Alles Ornithomane? Vogelbesessene? Gibt es da doch so eine Art Grundtyp?
    "Ornithomanen sind Menschen, die schon auch etwas Zurückgezogenes haben, die für sich sind, die vielleicht auch durchaus manchmal ihre Schwierigkeiten mit wirklichen Menschen haben und sich dann da zurückziehen und da ihre eigene Vogelwelt entwickeln. Da gibt es Anzeichen für, ist vielleicht auch eine Art Klischee, aber da ist schon auch was dran."
    Sachbuch bietet guten Überblick
    Weil Bernd Brunner eher beschreibt als urteilt, bleibt es dem Leser selbst überlassen, die Grenze zwischen wissenschaftshörigem Handeln und krankhaftem Verhalten selbst zu ziehen oder eigene Positionen zu beziehen. Kritik am Zusammenleben mit Wildvögeln, wie es erst kürzlich etwa die Schriftstellerin Helen McDonald in ihrem erfolgreichen Buch "H wie Habicht" beschreibt, wird zwar geäußert. Brunner stichelt auch mal mit leisem Humor gegen offensichtliche Zwanghaftigkeit. Aber der Respekt überwiegt. Anders als die vielen Bücher, die in den letzten Jahren herauskamen - etwa die bei Matthes & Seitz erschienenen Lesebändchen über die Krähe oder die Eule oder Josef H. Reichholfs ganz anders gewichtetes Buch mit dem Titel "Ornis" über "Das Leben der Vögel" - liefert Bernd Brunners schillernder Vogelkosmos einen Überblick. So erzählt, ist das wie Theater, mit Auf- und Abtritten und Nebenhandlungen, die einander bebildern, hinterfragen und bespiegeln - und den eigenen Blick verändern.
    Bernd Brunner: Ornithomania. Geschichte einer besonderen Leidenschaft.
    Galiani, Berlin 2015. 263 Seiten, 24,99 €.