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Kulturgut oder Quälerei?

Der spanische Stierkampfstar José Tomas ist während eines Kampfes lebensgefährlich verletzt worden. Während nun die einen um seinen Gesundheitszustand bangen und die Fahne für ihre kulturelle Tradition hochhalten, sehen sich die Stierkampfgegner wieder einmal bestätigt.

Von Christoph Richter |
    Erst kürzlich wieder standen Tausende, meist junge Menschen, ausgerüstet mit Schildern und Plakaten, im Zentrum Madrids an der Puerta de Sol, und skandierten "Tortura no es Cultura". Ein Graffiti, das man auch vielerorts in Spanien lesen kann, und das soviel bedeutet wie: Gewalt ist keine Kultur. Literatur, Philosophie oder Poesie, das seien die kulturellen Errungenschaften, auf die man stolz sein könne, betonen die Stierkampfgegner.

    Silvia Barquero ist Sprecherin der "Partido Antitaurino", eines Zusammenschlusses von Stierkampfkritikern und – gegnern. Sie fordern dazu auf, den allwöchentlich in ganz Spanien stattfindenden Ritualen der Corridas, der Stierhatz, ein Ende zu machen.

    "Wir sind Tausende, und Abertausende. Wir stehen dafür, dass endlich mit den Corridas Schluss gemacht wird. Es macht uns wirklich glücklich, dass wir nicht mehr allein sind. Und immer mehr hinter uns stehen. Man kann es nicht anders sagen, wir werden Geschichte schreiben, und das stimmt uns zufrieden."

    Letztlich sei der Stierkampf ein überkommenes Spektakel, sagen die Gegner. Und betonen, dass es wohl das letzte Ritual öffentlicher Tötungen in Europa sei. Ein Ritual, das aus finsteren mittelalterlichen Zeiten stamme, und mit der modernen Zeit nichts zu tun habe. Der kulturpolitische Sprecher der oppositionellen Sozialisten im Landtag der autonomen Region Madrid, José Antonio Martinez :

    "Ich glaube, was sich gerade in der Wahrnehmung ändert, ist der Blick der Gesellschaft hinsichtlich des Tierschutzes. Das Leiden des Stieres rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Sicherlich, der Stierkampf ist ein Symbol unserer kulturellen Identität, aber klar ist auch, dass sich Spanien modernisieren muss."

    Aktuellen Umfragen zufolge, sind rund 70 Prozent der Spanier gegen die Stierkämpfe. Tatsächlich reduziert sich der Großteil des Publikums inzwischen auf Rentner, auf Besucher jenseits der 60 und auf Touristen. Und seit das öffentlich rechtliche Fernsehen TVE vor rund drei Jahren die Stierkämpfe, aus Gründen des Kinderschutzes, aus dem Vorabendprogramm genommen hat, wird die Debatte zunehmend kontrovers geführt.

    Eine scharfe Polemik hat jetzt die Entscheidung Kataloniens ausgelöst, den Stierkampf durch ein Volksbegehren verbieten zu lassen. Die streng konservative Präsidentin der autonomen Region Madrid, Esperanza Aguirre, die bei anderer Gelegenheit den Diktator Franco als Sozialisten bezeichnet hat, bläst zum Gegenangriff. Ihr Vorschlag, man möge doch den Stierkampf als UNESCO-Weltkulturerbe unter Schutz stellen lassen. Doch zuerst solle er, ähnlich wie die großen spanischen Museen, per Gesetz zum nationalen Kulturgut erhoben werden.

    "Dem stimme ich absolut zu, und das ist eine mutige Entscheidung. Aber man muss auch sagen, dass es den Kataloniern nicht um den Stierkampf geht, sondern, dass die Androhung des Stierkampfverbots ein Affront gegen die Zentralregierung in Madrid ist. Und damit letztlich simpler Nationalismus. Aber, und das muss betont werden, der Stierkampf gehört unauslöschbar zu Spanien, und ist ein Teil unserer Identität."

    So José Ignacio Rodriguez, Historiker an der Universität Alcalá de Henares. Selbst bezeichnet er sich als absoluten Aficionado, Fan von Stierkämpfen, die er seit frühester Kindheit regelmäßig besucht. Rodriguez erklärt, dass ein Verbot des Stierkampfes in etwa so wäre, als würde man in Deutschland den Menschen Karneval und das Oktoberfest wegnehmen.

    "Der Stierkampf ist eine kulturelle Aktivität. Er hat seine Symbolik, seine Tugenden. Es ist ein Drama, das man auf den Dorfplätzen, ob in Andalusien oder in der La Mancha aufführt, indem immer wieder romantische Aspekte wie Leben, Tod und Leidenschaft vorgeführt werden. Hier kommen unsere Wurzeln, unsere Tradition zum Vorschein."

    Wer das nicht verstehe, fügt der Historiker hinzu, dem könne nicht geholfen werden, Schließlich hätten Goya, Picasso oder Lorca den Stierkampf immer als Kunst und spanische Tradition verteidigt

    Die Gegner des Stierkampfes überzeugt das nicht. Allerdings müssen sie noch andere Argumente einbringen, als den Verweis auf das kulturelle Erbe Spaniens. Denn die Corridas sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Rund 200.000 Menschen leben vom Stierkampf, allein im vergangenen Jahr wurde ein Umsatz von 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftet.