Die kleine Statuette aus Elfenbein ist nur fünf Zentimeter groß. Sie zeigt einen Mann, der eine Gazelle auf den Schultern trägt. Die geschnitzte Figur ist etwa 2700 Jahre alt. Vor sieben Jahren wurde sie bei einer Grabung von Schweizer Archäologen auf der Nilinsel Elephantine entdeckt. Doch vor wenigen Wochen tauchte die Statuette im Angebot eines deutschen Auktionshauses in Oberhausen auf. Ausgewiesen als aus dem Bestand einer deutschen Privatsammlung, "ausgegraben wahrscheinlich um 1900 in Ägypten". Weil die Figur zufällig auf einer Liste gestohlener Objekte der Grabungsstätte stand, wurde der Verkauf im letzten Moment gestoppt. Der Besitzer bedauerte den Vorfall. Konsequenzen: keine.
Weltweit boomt der Handel mit illegalen Antiken. Doch Deutschland macht es den Raubgräbern aus aller Welt besonders leicht. 1970 hat die Unesco zwar eine Konvention verabschiedet, die den Handel mit illegal erworbenen archäologischen Kulturgütern verbietet. Doch erst 2007, nach peinlichen 37 Jahren, hat Deutschland die Konvention umgesetzt. Das entsprechende Gesetz allerdings erwies sich als zahnlos, klagt Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts.
"Das heißt, man hat ein vollkommen unwirksames Gesetz gemacht, dass es aber dem Handel erlaubt, sehr umfassend und frei zu handeln, weil er fast keine Angst haben muss. Wenn es nicht ein Werk ist wie die Mona Lisa oder ein ganz berühmtes Denkmal aus einem sehr bekannten Museum, hat niemand die Chance, zu sagen, das ist meines. Das möchte ich gerne wieder haben als Staat. Sondern was hier ist, in Deutschland, ist ab dem Moment, in dem es hier ist, quasi legal."
Kunsthändler machten Druck
Mit archäologischen Objekten aus dubiosen Quellen lässt sich viel Geld verdienen, und deutsche Kunsthändler, sagen Kritiker, verdienen daran kräftig mit. Friederike Fless war 2007 bei der Formulierung des deutschen Gesetzes als Expertin beteiligt. Im ersten Entwurf sei es durchaus noch wirksam gewesen, sagt sie im Rückblick. "Und auf den letzten Metern ist das verwässert worden. Und es ist ziemlich klar, auch von Icomos damals klagend moniert worden, dass dann auf Druck des Kunsthandels und Handels das Gesetz so verwässert wurde. Und aufgrund dieses 2007er Gesetzes ist auch tatsächlich kein einziges Objekt zurückgegeben worden. Es gab immer Hilfskonstruktionen über Zollvergehen, Einfuhrvergehen, die überhaupt die Rückführung erlaubten."
Nicht nur der Internationale Rat für Denkmalpflege ICOMOS, auch Archäologen und Antikenverwaltungen kritisieren Deutschland deswegen seit Jahren. Das will Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, jetzt ändern. Künftig – so ihr Vorhaben - braucht jedes archäologische Objekt einen klaren Herkunftsnachweis und eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftslandes, damit es die Grenze passieren kann.
Doch Grütters will nicht nur die Einfuhr von Kulturgütern neu regeln, sie verfolgt auch noch ein zweites Ziel: Sie will national wertvolles deutsches Kulturgut vor der Abwanderung ins Ausland schützen. Am kommenden Mittwoch soll die Gesetzesnovelle vom Kabinett verabschiedet werden.
Solche nationalen Kulturgutschutzgesetze gibt es in nahezu allen Ländern. Doch damit allein ist es nicht getan. Beispiel Syrien: Die Ausfuhr von archäologischen Kulturgütern ist hier schon seit 1869 verboten. In der aktuellen Situation nützt das allerdings wenig. Markus Hilgert, Archäologe und Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, zeichnet ein düsteres Bild von Syrien und dem Irak. "Wenn wir über den Irak sprechen, dann wissen wir, dass seit den 90er-Jahren systematisch Raubgrabungen gerade im Süden des Landes durchgeführt werden. Es gibt seit Anfang der 2000er-Jahre wirklich erschütternde Bilder von archäologischen Stätten, die aussehen wie Mondlandschaften. Also die Bilder, die wir jetzt aus Syrien kennen, durchgegrabene Ruinenstätten, ein Loch neben dem anderen, solche Bilder kennen wir aus dem Irak seit etwa 20 Jahren."
Raubgrabungen stehen auf keiner Liste
Die brachiale Art und Weise, wie die antiken Stätten zerwühlt werden, treiben Archäologen die Tränen in die Augen. Fundkontexte werden zerstört und verhindern die Forschung für alle Zukunft. Immer wieder gelangen Stücke aus Raubgrabungen oder geplünderten Museen in den deutschen Handel. Ermöglicht wird dies über das sogenannte "Listenprinzip" des geltenden deutschen Gesetzes. Danach wird nur die Einfuhr solcher Objekte nach Deutschland verhindert, die vorab vom Herkunftsland auf eine Liste gestohlener Kulturgüter gesetzt wurden. Doch was aus Raubgrabungen stammt, kann auch auf keiner Liste stehen. Dabei ist es den Menschen in Irak und Syrien trotz aller existenzieller Not durch Krieg und Terror keinesfalls gleichgültig, was mit ihrem historischen Erbe geschieht.
"Wir wissen, was es für das Land bedeutet, und für die Verantwortlichen vor Ort, wenn sie dieses Kulturerbe nicht mehr schützen können. Vielleicht machen wir uns das nicht oft genug deutlich. Wenn wir die Museumsinsel nicht mehr schützen könnten. Wenn wir das Brandenburger Tor nicht mehr schützen könnten. Und wir müssten zusehen, wie Personen aus anderen Ländern mit Meißel und Hammer an das Brandenburger Tor gehen und das langsam mitnehmen, dann können wir uns vielleicht in die Lage derjenigen Länder versetzen, die im Moment solche politischen Probleme zu bewältigen haben."
Nach Grütters' Gesetzesänderung, die sie für das kommende Jahr anstrebt, dürften nur noch wenige archäologische Objekte überhaupt nach Deutschland kommen. Denn Funde aus autorisierten Grabungen gehen an Museen, und die verkaufen in der Regel nichts. Für bereits in Deutschland befindliche Antiken gilt dann eine Prüf- und Sorgfaltspflicht: Wer sie verkauft, muss nachweisen, wie sie über die Grenze gekommen sind. Das wäre das Aus für den seriösen Antikenhandel, kritisiert deshalb Kristian Jarmuschek, Galerist und Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Galerien und Kunsthändler.
Kriminalisierung einer Branche?
"Wenn ein Gesetz versuchen will, von Deutschland aus fehlende Strukturen in anderen Ländern herzustellen, und das soll ja unterbunden werden, dass auch nur ansatzweise solche Kunstwerke nach Deutschland kommen, dann ist das ein hehres Ziel. Nur, auf der anderen Seite gibt es eben den legalen Handel in Deutschland. Wenn die Einfuhrregelungen so streng sind, dass die Händler im Land sagen, wir können dann nicht mehr, dann ist das die Variante ‚Operation gelungen, Patient tot‘." Jarmuschek verwahrt sich gegen die Kriminalisierung einer ganzen Branche: "Die Frage, ob sozusagen der Handel von Kunst tatsächlich diesen IS-Terrorismus auch finanziert. Also ich glaube, dass man mit Erdöl, Raub, Waffenhandel, dass da, glaube ich, viel mehr Geld zu erwirtschaften ist, und wahrscheinlich auch viel schneller. Denn für jedes Kunstwerk brauchen sie einen Abnehmer. Und sie brauchen ein Verteilungsnetzwerk. Und solche Sachen tauchen ja nicht einfach irgendwo auf. Sie können ja nicht einfach irgendwo anrufen und sagen, ich hätte da gerne was aus Syrien aktuell. Das geht ja nicht."
Geht doch, sagt der Journalist Günther Wessel. Er hat für sein Buch "Das schmutzige Geschäft mit der Antike" recherchiert, wie leicht es in Deutschland ist, einer frisch ausgegrabenen Antike aus Syrien oder dem Irak eine einwandfreie Herkunft zu verschaffen. So müsse der Händler dazu lediglich behaupten, dass sie aus einer alten Privatsammlung von vor 1970 stamme. Was man hier in gutem Glauben erwirbt, darf man behalten. Nachprüfen, so Wessel, könne das niemand. Der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler hält eine Neuregelung dennoch für überflüssig.
"Wir haben ja schon bestimmte geltende Gesetze. Hehlerei ist in Deutschland verboten. Aus meiner Perspektive sehe ich, dass man eben einfach viel stärker dem Zoll und auch den ausführenden Organen ein Handwerkszeug zur Verfügung stellt, auch wissenschaftliche Kompetenz, um eben schon frühzeitig an der Grenze, wenn sozusagen Sachen nach Deutschland verbracht werden, eben eine Kontrolle und auch eine strenge Kontrolle einzuführen. Und dass der Handel selber bestimmte Selbstverpflichtungen unterschreibt, das wäre sicherlich eine Möglichkeit."
"Wir haben ja schon bestimmte geltende Gesetze. Hehlerei ist in Deutschland verboten. Aus meiner Perspektive sehe ich, dass man eben einfach viel stärker dem Zoll und auch den ausführenden Organen ein Handwerkszeug zur Verfügung stellt, auch wissenschaftliche Kompetenz, um eben schon frühzeitig an der Grenze, wenn sozusagen Sachen nach Deutschland verbracht werden, eben eine Kontrolle und auch eine strenge Kontrolle einzuführen. Und dass der Handel selber bestimmte Selbstverpflichtungen unterschreibt, das wäre sicherlich eine Möglichkeit."
Der weitaus größere Unmut des Kunsthandels über die Novelle entzündet sich allerdings an dem Teil des Gesetzes, der die Abwanderung von deutschen Kunstschätzen ins Ausland verhindern soll – nämlich dann, wenn es sich um sogenanntes "national wertvolles deutsches Kulturgut" handelt. Hintergrund sind die Auseinandersetzungen etwa um die Humboldt-Tagebücher, deren drohender Verkauf ins Ausland nur mühsam verhindert werden konnte. Dies soll in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Kunstwerke ab einem gewissen Wert und Alter - bei Gemälden sind das 70 Jahre und ein Wert von 300.000 Euro - sollen nur noch mit einer staatlichen Ausfuhrgenehmigung außer Landes gebracht werden dürfen. Der Kunsthandel fürchtet um seine Geschäfte, denn international lässt sich mit Kunstverkäufen weit mehr Geld erzielen als im Inland. Der Berliner Anwalt und Kunstfreund Peter Raue spricht von einer Katastrophe: "Was Frau Grütters erreichen will, ist, dass der Staat auf all die Kunstgegenstände, Kulturgüter Zugriff nehmen kann, indem sie diese Arbeiten dem Kulturgutschutzgesetz, scheußliches Wort, unterstellt."
Schlupfloch im Kunsthandel schließen
Grütters hingegen wird nicht müde zu betonen, dass sich für den Kunsthandel wenig ändern wird. Denn schon jetzt haben die Bundesländer die Möglichkeit, Kulturgut als national wertvoll einzustufen und damit deren Ausfuhr zu verhindern. 2.700 Objekte sind bislang in diese "Verzeichnisse national wertvollen Kulturguts" eingetragen, die Entscheidung darüber treffen Sachverständigengremien in den Ländern.
"Wenn man verhindern will, dass solche Stücke Deutschland verlassen, oder auch solche, die vielleicht künftig auf diese Liste gehören, muss man Ausfuhrregeln benennen. Diese Ausfuhrregeln gibt es seit 23 Jahren, beispielsweise für das Verbringen von Kunstwerken ins außereuropäische Ausland. Das ist alles wie es ist und wird auch so bleiben. Was neu dazu kommt, ist, dass wir Ausfuhrregeln auch für den europäischen Binnenmarkt formulieren wollen, so wie es fast alle anderen europäischen Nachbarn längst praktizieren."
Damit aber schließt Grütters ein Schlupfloch, das es dem Handel bisher erlaubte, den nationalen Kulturgutschutz zu umgehen. Beispiel Humboldt-Tagebücher. Die Verhandlungen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über einen Rückkauf der kostbaren Bücher liefen noch, als die Erben die Tagebücher nach London brachten und damit drohten, sie international zu versteigern. Interessenten gab es sofort viele, in Mexiko oder New York. Am Ende gelang es einem Konsortium aus Bund, privaten Geldgebern und der Kulturstiftung der Länder doch noch, die Bücher für Berlin zu erwerben. Doch der Umweg über London trieb den Preis um drei Millionen Euro in die Höhe.
Abwanderung von Kunst ins Ausland verhindern
Grütters verteidigt auch deshalb vehement das Recht eines jeden Landes, auch Deutschlands, sein kulturelles Erbe vor Abwanderung ins Ausland zu bewahren. "Ich bleibe dabei, nationale Identität erwächst eben zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes, nicht aus seinen Autobahnen und Kindergärten, und das gilt einmal mehr für Deutschland mit allen seinen Brüchen."
Doch was genau ist schützenswertes nationales Kulturgut? Zunächst: grundsätzlich alle Sammlungen öffentlicher Museen und Archive. Darüber hinaus Kulturgüter, die, so die Definition laut Gesetzentwurf, "besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe Deutschlands, der Länder oder einer seiner historischen Regionen und damit identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands" sind und "deren Abwanderung einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten" würde.
"Beispielsweise sprechen wir von der Himmelsscheibe von Nebra, oder wir reden über den Schreibtisch von Friedrich dem Großen. Oder wir reden über ein Autograph von Johann Sebastian Bach oder die Handschrift von Goethe. Das sind die Stücke, die in der Tat, so finden wir, für Deutschland so wichtig sind, dass sie auch hier für jeden zugänglich und bleiben sollten."
Noch bevor der Gesetzentwurf in seiner ersten Fassung veröffentlicht wurde, brach jedoch ein Tsunami der Empörung los. Bernd Schultz vom Auktionshaus Villa Grisebach nannte die Pläne eine "Guillotine für den Kunsthandel". Der Berliner Anwalt und Kunstsammler Peter Raue spricht von "Enteignung": "Wenn ich ein Werk habe, das auf dem internationalen Markt zehn Millionen wert ist, und ich kriege dafür, weil es in Deutschland gefangen ist, nur eine Million, das ist eine Form von Enteignung, und das sage ich nicht nur als soziologischen Begriff, sondern das meine ich ganz rechtlich im Sinne von Artikel 14 Grundgesetz. Das ist keine Eigentumsbindung, sondern das ist eine Enteignung, und die muss entschädigt werden."
Kritik am Begriff des nationalen Kulturguts
Wenn der Staat tatsächlich Interesse am Verbleib eines Werkes in Deutschland habe, so das Argument des Kunsthandels, dann reiche ein Vorkaufsrecht wie in Großbritannien. Dann könne das Werk zu fairen Marktpreisen für die öffentliche Hand erworben werden. Allerdings führt dies in Großbritannien dazu, dass das Land ein Großteil der Werke ziehen lassen muss, weil es sich die horrenden Preise nicht leisten kann – Kulturgutschutz nach Kassenlage also. Das lehnt Grütters ab. Kristian Jarmuschek meint zudem, dass es ohne Sammler und Kunsthändler, die früh in Künstler investierten, viele Kunstkarrieren heute gar nicht mehr gäbe.
"Nur, warum verlange ich jetzt von Menschen, die ihr privates Vermögen in Kunst investiert haben, das heißt, etwas für den Kultur- und Kunststandort Deutschland getan haben, jetzt denen zu sagen: Jetzt haben wir entdeckt, dass du etwas hast, was wir gerne hätten und dann ist die Konsequenz, die jetzt im Gesetz formuliert ist, ab dann, wenn wir feststellen, das ist für uns ein relevantes nationales Kulturgut, dann darfst du es nur noch in Deutschland verkaufen."
Der Jurist und Kunstsammler Harald Falckenberg geht sogar noch einen Schritt weiter. Der deutsche Staat handele mit dem Gesetz im eigenen ökonomischen Interesse, schrieb er in der FAZ:
"Es ist offensichtlich ein Anliegen der Kulturstaatsministerin, Kunstwerke in Deutschland zu halten, um den Museen oder der Kulturstiftung der Länder den Ankauf von Kunstwerken zu vernünftigen Preisen zu ermöglichen. Evident ist, dass eine solche Unterstützung von Museen nichts mit dem Schutz nationalen Kulturerbes zu tun hat."
Private Sammler sind verunsichert
Grütters weist die Vorwürfe zurück. Der Bund und die Kulturstiftung der Länder hätten seit 1988 viele solcher Ankäufe aus Privathand ermöglicht. Und dies werde auch in Zukunft so sein. Doch ob die gebotenen Preise dann noch so hoch sein werden? Es gehe nur um wenige, besonders bedeutsame Kunstwerke, betont Grütters. Und handele es sich wirklich mal um ein national wertvolles Kulturgut, dann gelte eben auch: Eigentum verpflichtet. "Dann muss dieser Besitzer dann auch wissen, dass manchmal das Interesse der Allgemeinheit, der Öffentlichkeit, der deutschen Bevölkerung mindestens so hoch einzuschätzen ist wie sein eigenes, privates Veräußerungsinteresse."
Zeitgenössische Kunst – und damit macht der deutsche Kunsthandel 80 Prozent seiner Geschäfte - stand allerdings nie im Fokus des Kulturgutschutzes, und das soll auch künftig so bleiben. Von der Genehmigungspflicht bei der Ausfuhr ist sie durch die Altersgrenze von 70 Jahren sogar explizit ausgenommen. Doch was ist mit der klassischen Moderne und der Kunst der Nachkriegszeit? Für Verwirrung sorgte der Streit um zwei Warhols, die das Land Nordrhein-Westfalen kürzlich versteigerte. Sehr zum Ärger der Staatsministerin für Kultur. In ihren Augen seien die beiden Werke nationales Kulturgut, so Grütters, weil sie die ersten Werke des Künstlers überhaupt gewesen seien, die öffentlich erworben wurden. Allerdings handelte es sich in diesem Fall nicht um Privatbesitz, sondern um Kunstwerke in Landesbesitz, die versilbert wurden, um eine Spielbank zu sanieren - das schon sorgte für einen Skandal. Grütters‘ Begründung aber, warum die Warhols deutsches Kulturgut sein sollten, erschien dennoch vielen konstruiert - und Unsicherheit ging um bei privaten Sammlern, in deren Sammlungen vielleicht auch Warhols, Beckmanns, Richters oder Kirchners hängen. Kristian Jarmuschek vom Bundesverband der Kunsthändler und Galeristen:
"Wir merken das schon, jetzt kommen ja auch einige Beispiele auch schon, dass Privatsammler ihre versprochenen Leihgaben für Ausstellungen zurückziehen, weil ja in der jetzigen Konstellation es so wäre, dass diese Teile aus Privatsammlungen, wenn sie in der öffentlichen Sammlung gezeigt werden, sofort auch unter diesen Kulturgutschutz gestellt werden, was ja international ein Vorteil ist, aber auf der anderen Seite entsteht natürlich immer noch das Gefühl, es wird gescannt, dann weiß jemand, was ich habe."
"Wir merken das schon, jetzt kommen ja auch einige Beispiele auch schon, dass Privatsammler ihre versprochenen Leihgaben für Ausstellungen zurückziehen, weil ja in der jetzigen Konstellation es so wäre, dass diese Teile aus Privatsammlungen, wenn sie in der öffentlichen Sammlung gezeigt werden, sofort auch unter diesen Kulturgutschutz gestellt werden, was ja international ein Vorteil ist, aber auf der anderen Seite entsteht natürlich immer noch das Gefühl, es wird gescannt, dann weiß jemand, was ich habe."
Kunstwerke werden von ihren Besitzern ins Ausland gebracht
Prominentester Fall: Hasso Plattner, Gründer des Software-Konzerns SAP und großer Mäzen Potsdams. Sollte das Gesetz wie geplant kommen, werde er von dem Plan Abstand nehmen, seine Kunstsammlung – darunter Werke von Liebermann, Monet, Munch und Nolde – nach Potsdam ins wiedererrichtete Palais Barberini zu geben, das Ende des Jahres eröffnet werden soll. Der Kunsthandel berichtet außerdem von einem Exodus von Kunstwerken, die von ihren Besitzern derzeit ins Ausland gebracht würden – in Sicherheit vor der vermeintlichen Raffgier des Staates. Da nützt es wenig, dass Grütters immer wieder darauf verweist, dass in den letzten 60 Jahren nicht ein einziges Bild dieser Kategorie aus Privatbesitz zum nationalen Kulturgut erklärt worden sei. Dass sich dies in Zukunft ändern werde, sei äußerst unwahrscheinlich.
"Ob das Max Liebermann ist, ob das Menzel ist oder ob das ein lebender Künstler wie Herr Baselitz oder Gerhard Richter ist. Dann können die natürlich Kunstwerke geschaffen haben, die tatsächlich so bedeutsam sind, dass man sie für identitätsstiftend für Deutschland hält. Aber es muss dann zusätzlich die Abwanderung ein Verlust für Deutschland sein. Da wir aber von diesen Künstlern viele Werke längst in unseren Museen haben, und zwar sehr herausragende Werke, ist es unwahrscheinlich, dass Einzelwerke, die in Privatbesitz sind von diesen Künstlern auf die Liste gesetzt werden, damit sie Deutschland nicht verlassen."
Dennoch bleibt eine Unschärfe in der Definition dessen, was nationales Kulturgut eigentlich ist – und die Frage, ob solche Werke tatsächlich unbedingt in Deutschland bleiben müssen. Die Nofretete gehört zu Berlin wie die Mona Lisa zu Paris. Die RAF-Serie von Gerhard Richter schmückt das MoMa in New York und erzählt den internationalen Besuchern dort ein Stück deutsche Geschichte. Im Zeitalter der Globalisierung sei ein nationales Kulturgutschutzgesetz ein Anachronismus, schrieb Peter Raue kürzlich im Berliner Tagesspiegel. Kunst sei schon immer international gewesen. Doch daraus spricht ein Kunstverständnis, das Kunst vor allem als Handelsgut sieht, dem ein freier Markt garantiert werden muss. Viele Sammler, die mit viel Herzblut über Jahre ihre Sammlungen zusammentragen, sehen das nicht so. Übrigens auch viele Künstler nicht. Der Deutsche Künstlerbund und der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler begrüßten ausdrücklich, dass mit dem Gesetzentwurf endlich wieder ein Diskurs über den Wert von Kunst jenseits von marktorientierten Interessen geführt werde. Am Ende geht es wohl auch um einen schlichten Interessenkonflikt, den Grütters mit dem Satz zusammenfasst: "Die einen reden von Kunst, die anderen von Geld".