Religiöse Gesänge erklingen zum brachialen Lärm von Vorschlaghämmern. Allah akbar-Rufe und immer wieder das krachende Geräusch, wenn eine weitere Jahrtausende alte Statue auf dem Boden zerschellt.
Das makabere Propaganda-Video, mit dem die IS-Terroristen im Februar 2015 ihren Zerstörungszug durch das Museum von Mossul dokumentierten, erschütterte die Welt. Doch das war nicht der Anfang des islamistischen Bildersturms in der größten Stadt im Nordirak.
Sommer 2014: Zerstörung der Jonas-Moschee
Schon kurz nach der Eroberung von Mossul im Sommer 2014 legte ein Sprengkommando der Milizen die berühmte Jonas-Moschee in Schutt und Asche. In dem Gebäude aus dem 8. Jahrhundert hatte sich das Grab des Heiligen Jona befunden, auch ein von Muslimen geachteter Prophet. Das Gebet an diesem Ort sei "Götzendienst”, so die selbst ernannten Gotteskämpfer. Sie hätten die Moschee zerstört, um ihre Religion "reinzuhalten".
Mit den gleichen Worten triumphierten die Terroristen auch nach der Zerstörung der antiken Ausgrabungsstätten von Ninive, im 7. Jahrhundert die Hauptstadt des assyrischen Reiches, und nach der Sprengung der über 3.000 Jahre alten Tempel von Nimrud und Hatra, Weltkulturerbe vor den Toren Mossuls. Das sei "mehr als eine kulturelle Tragödie", so die UNESCO-Generalsekretärin Irina Bokova. Das sei ein "Angriff auf das irakische Volk und dessen Jahrtausende alte Geschichte”, ein "Kriegsverbrechen”. Auch Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin zeigte sich damals erschüttert.
"Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass ja nicht nur vorislamisches, archäologisches Kulturerbe, sondern, dass in Mossul eben auch die Zentralbibliothek zerstört worden ist. Dass dort Abertausende von wertvollen Manuskripten zerstört worden sind. Dass aber auch zum Beispiel Statuen von irakischen Autoren, die diesen Bewegungen nicht genehm zu sein scheinen, zerstört worden sind. Dann sieht man, dass das, was die UNESCO als 'kulturelle Säuberung' bezeichnet, sehr viel weiter geht und in der Tat der Versuch ist, all das, was an kulturellen Referenzpunkten über das hinaus geht, was der IS an Referenzpunkten anbietet, auszulöschen."
Mossul war immer ein Schmelztiegel der Kulturen
Dabei war Mossul, am Ufer des Tigris, seit jeher ein Schmelztiegel der Kulturen: Araber und Kurden, Assyrer, Turkmenen und Jesiden lebten hier. Die christlichen Gemeinden blickten stolz auf eine über 1.600 Jahre alte Geschichte in dieser Stadt zurück. Gleich mehrere Bischöfe hatten hier ihren Sitz. Die IS-Schergen haben die Andersgläubigen mit Gewalt aus Mossul vertrieben, wenn sie nicht hohe Steuern zahlen oder zum islamischen Glauben konvertieren wollten. Wer Widerstand leistete, wurde kaltblütig umgebracht. Selbst das Kloster Sankt Elias, 1.400 Jahre lang auf einem Hügel über Mossul wachend, wurde dem Erdboden gleich gemacht.
Mit Hoffen und Bangen beobachten Kulturforscher und Archäologen nun die Großoffensive der irakischen Armee und ihrer Verbündeten zur Rückeroberung Mossuls. Auch Margarete van Ess, wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Institutes, derzeit auf Forschungsreise im Südirak, kann kaum abschätzen, wie groß die Schäden sind.
"Nein, das ergibt kein komplexes vollständiges Bild. Das kann nur durch den örtlichen Augenschein entschieden werden. Wir sehen allerdings auf den Satellitenbildern tatsächlich schon sehr viel von dem, was an mittelalterlicher Bausubstanz zerstört worden ist, und das ist ganz erheblich. "
Bereits im September hatte der Deutsche Archäologische Dienst irakische und europäische Experten zu einer Tagung nach Berlin eingeladen, bei der über mögliche Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen in Mossul diskutiert wurde. Doch wie Beobachter fürchten, wird die Rückeroberung Wochen und Monate andauern. Eine erneute humanitäre Katastrophe durch die hohe Zahl flüchtender Einwohner wird ebenfalls befürchtet.
"Tiefe Wunden" der Kultur
Die "tiefen Wunden", die der IS in Mossul in die Kultur und die Geschichte des Irak gerissen hat, so Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, können erst später versorgt werden. Wie Margarete van Ess erklärt, sind die irakischen Kollegen jedoch schon in Bereitschaft:
"Die irakische Antikenverwaltung wartet in jedem Fall darauf, das Ganze in Augenschein zu nehmen. Ich bezweifle, dass westliche oder nicht-irakische Archäologen sofort dort hinterher reisen können. Dazu ist die Lage im Moment einfach zu unwägbar, sowohl militärisch als auch von der ja sozialen und gesellschaftlichen Komponente her. Wir können das im Moment überhaupt nicht einschätzen, das heißt, da muss abgewartet werden."