"Wer die eigene Kultur nicht nährt, wird eine fremde Armee ernähren müssen". Ob in diesem Satz noch das Pathos überwiegt oder schon die Paranoia, ist schwer zu sagen. Dass Pathos und Paranoia nicht die ideale Grundausstattung für einen Kulturminister im 21. Jahrhundert sind, scheint hingegen sicher. Und doch veröffentlichte der russische Kulturminister Wladimir Medinski am Mittwoch einen programmatischen Text unter eben dieser Losung in der Tageszeitung Iswestija. Medinski ernennt darin die Kultur zu einer Frage der nationalen Sicherheit, erklärt der politischen Zensur eine Absage und verspricht gleichzeitig, die Meinung der konservativen Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr "totalitär" ignorieren zu wollen. Aber der Reihe nach.
Medinskis General-Thema lautet: Geld und Freiheit. Der Hintergrund ist einsichtig. Genau wie in Deutschland gäbe es auch in Russland ohne großzügige Finanzspritzen vom Staat weder große Theater noch Opernhäuser noch eine Filmindustrie. Weil der Staat die Kultur nun so freigiebig subventioniert, so Medinski, sei es nicht nur logisch sondern zwingend nötig, dass er sich auch dafür interessiert, was mit dem Geld angestellt wird. So weit so verständlich. Was aber sind Medinskis Kriterien?
Offene politische Zensur lehnt der Minister mit Hinweis auf die Erfahrungen der Sowjetzeit ab. Die Zensur habe dazu geführt, dass die sowjetische Kultur nicht mehr in der Lage gewesen sei, der westlichen Popkultur oder wie es bei Medinski an anderer Stelle in seinem Text heißt, dem "weltumspannenden Hollywood" etwas entgegenzusetzen. Das soll nicht noch einmal passieren. Allerdings: Verbieten solle der Staat zwar nichts, alles und jedes bezahlen müsse er aber auch nicht. Dass das eventuell auf dasselbe hinausläuft kümmert Medinski nicht. Der Minister ist überzeugt: es gibt allgemein anerkannte Werte, zu deren Verteidigung Staat, Kultur und Gesellschaft aufgerufen seien: Der Dienst am Vaterland, die Einheit und Kontinuität der tausendjährigen Geschichte Russlands und die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft. Staatlich subventionierte Kultur habe die Pflicht, diese Werte zu vertreten, weil dies die Werte der Mehrheit der Steuerzahler seien.
Ultrakonservative sind im Aufwind
In einem hat Medinski recht: Russland ist tatsächlich ein konservatives Land. Doch im Gegensatz zum Kulturminister hat die Bevölkerung andere Sorgen als Kunstwerke, die andere oder gar keine Werte vertreten. Schließlich kann man missliebige Kunst auch ignorieren. Medinski allerdings mag sich auf Geschmack und Urteilsfähigkeit seiner Landsleute nicht verlassen, er will sie formen und diktieren. Immer wieder haben ultrakonservative Kreise in den letzten Jahren Skandale rund um missliebige Künstler inszeniert. Von Pussy Riot über die Ausstellung "Achtung Religion" bis hin zu Andrej Swjaginzews Film "Leviathan", der in diesem Jahr den Golden Globe gewann und für den Oskar nominiert war. Jedes Mal wurde behauptet, es handele sich um authentischen Unmut aus dem Volk, jedes Mal war klar, dass dieser Unmut bezahlt, inszeniert oder schlicht erfunden war.
Doch so martialisch Medinski sich auch gibt - ob er sich durchsetzt ist nicht ausgemacht. Ultrakonservative wie er sind derzeit im Aufwind, doch der Widerstand, der dem Kulturminister seit seinem Amtsantritt 2012 entgegenschlägt, ist heftig. Der Grund ist einfach: Moskau ist seit Jahrhunderten ein Zentrum der europäischen Kultur. In der Stadt leben hunderttausende Bürger, die mit Medinskis "unstrittigen ethischen Werten" und seinen Vorstellungen von staatstragender Kunst wenig anfangen können.
Vergangene Woche musste Medinski den Plan aufgeben, ein monumentales Denkmal für den Täufer der Kiewer Rus Fürst Wladimir auf den Moskauer Sperlingsbergen zu errichten. Zehntausende hatten dagegen protestiert. Am Mittwoch teilte das Bolschoj Theater mit, der Regisseur Timofej Kuljabin werde in der nächsten Saison eine Donizetti-Oper inszenieren. Anfang des Jahres hatte Medinski noch dafür gesorgt, dass eine Tannhäuser-Inszenierung von Kuljabin in Nowosibirsk abgesetzt wurde. Sein aktueller Artikel ist mit Fotos von dieser Inszenierung illustriert - als Beispiel für Kunst, die sein Ministerium nicht mehr finanzieren werde. Den Direktor des Bolschoj, das ebenfalls vom Staat finanziert wird, scheint das nicht zu interessieren. In Moskau tobt ein offener Kulturkampf.