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Kulturphänomen "Bling-Bling"
Extrem schön und unglaublich bunt

Zickende Promis, Strasssteine und Glitzer-Selfies: Irgendwo zwischen Flirtverhalten, Protzobjekten und Zahnpasta-Werbung ist die Redewendung "Bling-Bling" wohl entstanden. Schöne bunte Welt! Das Fotobuch "Bling Bling Baby" will zum tieferen Sinn und Wesen des Kitsches vordringen.

Von Peter Backof | 14.11.2016
    Wie viele seiner Kollegen im Rap-Business trägt auch er gerne protzigen Goldschmuck: Der US-amerikanische Rapper T.I.
    Wie viele seiner Kollegen im Rap-Business trägt auch er gerne protzigen Goldschmuck: Der US-amerikanische Rapper T.I. (imago / UPI Photo)
    Passt fast ins Klischee, das ich verkörpere, aber ich war ja wirklich da, sagte der Rapper Lil' Wayne bei Promointerviews in New York für sein im Oktober erschienenes Buch "Gone 'til November" - ein Gefängnistagebuch: Ein Jahr hatte er gesessen, wegen Herumfuchtelns in der Öffentlichkeit mit nicht registrierter Waffe. Lil' Wayne und B.G., die - vor zehn Jahren bereits - einen Hit landeten mit "Bling Bling" und Video der Sorte "Meine Girls, meine Rolex, meine Stretchlimousine": Sie sind – auch ganz naheliegend - präsent in "Bling Bling Baby!"
    Man denkt an Bunga-Bunga und plemplem: Das rund 200-seitige, opulente Coffeetable-Fotobuch sondiert Lamettawelten rund um den Globus. Herumzickende Promis, Selfies, die - absolut nur - aus Glitzer bestehen: Alles ist von beträchtlicher Künstlichkeit und effektbetonter Schönheit. Ein Party-Dromedar, mit Spitzhut und Sattel im indisch verkitschten Discokugellook, ist scheinbar postiert für Touristen an irgendeinem Ort in der Sahara. Oder ist es virtuell und nur Parodie für diese Partyemoticons bei Skype, Facebook und Co.?
    Glamouröse Überinszenierung
    Das Foto im Zeitalter seiner umfassenden Retuschierbarkeit und digitalen Teilbarkeit möchte Herausgeberin Nadine Barth herausstellen. Es ist als solches Medium des Bling-Bling. Die Berliner Bildredakteurin, Künstlerin und Philosophin trennt hierbei nicht zwischen Kunst und Werbung, nicht zwischen glatt und hintergründig.
    Stefan Raab bei TV Total, Oktober 2013: "Ich brauche hier noch so ein bisschen Bling-Bling-Zeug."
    Sebastian Pufpaff in der Heute-Show 11.11.2016: "Wir sehen jetzt das motherfucking Positive, ab heute wird Lametta gefurzt."
    Stefan Raab, Sebastian Pufpaff. Klar, in der Fernsehunterhaltung hat glamouröse Überinszenierung festen Platz. Und es darf goldenes Konfetti regnen. Was ist das eigentlich genau: Bling-Bling? - Mehr als der inszenierte Glamour, mehr auch als nachgemachter Luxus in Form facettierter Strasssteine: wenn man eine ausweglose Situation meistert und hernach mit souveräner Pose dasteht, sodass die gebleckten Zähne noch mal kurz nach blitzen. So wie bei Gangsterrapper Lil' Wayne, dessen Gefängnisentlassung - von einem Blitzlichtgewitter begleitet - zum Walk of Fame wurde: ein Sinnbild, sogar ein Kulturphänomen.
    We can be Heroes, zumindest für eine Nacht
    So agumentiert Herausgeberin Nadine Barth im einleitenden Essay. Alles, was danach an Bildern folgt, ist Bestandsaufnahme und Analyse zur These. Da sieht man eine junge Frau in Shanghai in ihrem ärmlichen Zuhause. Sie hat sich gerade fertig gemacht für eine rauschende Partynacht: We can be Heroes, zumindest für eine Nacht. Da sieht man auch: Models, die sich in Landschaften aus paradiesischen Blumenbuketten rekeln: Bling Bling, weil es um Scheinwelten geht, verlorene Paradiese. Insgesamt zitiert "Bling Bling Baby!" so ein Lebensgefühl der – zu goldenen verklärten - 1920er herbei, als Déjà-vu und Update. Feiere den Augenblick, du weißt nicht, was morgen kommt: Hyperinflation oder so etwas wie Donald Trump?
    Da ist das vor einiger Zeit konzipierte Buch nun in gewisser Hinsicht von der Aktualität eingeholt worden: Rein ästhetisch betrachtet hätte Trumps operettenhafter Geschmack bei der Inneneinrichtung ganz gut ins Konzept gepasst, von "Bling Bling Baby!", vielleicht als fiktive Homestory aus dem bald lamettabehangenen Weißen Haus? Diese Reise mit weltweiten Künstlichkeiten ist ganz nah am ironischen Teil des Zeitgeists gebaut. Wenn eine Wirklichkeit – so wie in den 1920ern schon – überwiegend als schrecklich oder irrational erlebt wird, darf sie im Spiegel oder für die Kamera gerne mal kitschig aussehen. Macht Sinn.