"Cultural intelligence", politische Aufklärung und Verständigung durch Kultur, das predigt Frank-Walter Steinmeier seit Jahren. Nicht einmal bei den eigenen Genossen, in der SPD, hatte er bisher viel Gehör gefunden. Womöglich klang "intelligence", damals noch aus dem Munde eines Außenministers, allzu sehr nach CIA. Also nach jener US-amerikanischen "Central Intelligence Agency", die im Kalten Krieg auch die Kultur instrumentalisierte, um nationale Interessen durchzusetzen. Wie diese Indienstnahme im Einzelnen ablief, davon erzählt gerade eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, gleich neben dem Kanzleramt, in Sichtweite des Parlaments.
Diese kritische Analyse, üppig finanziert vom Bund, von der Staatsministerin für Kultur, wurde, so scheint es, bei den Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition ausgeblendet. Denn da wird die Kultur eingespannt, um – im nationalen Interesse – ganze Problembündel oder Krisen zu lösen. Kulturpolitik soll fortan die Hilfe für Flüchtlinge ebenso umfassen wie eine Internationalisierung deutscher Theater. Vorgesehen ist die Finanzierung von Museen für restituierte Kunst in den Herkunftsländern oder der Ausbau der Goethe-Institute als Außenposten gegen Hunderte von chinesischen Konfuzius-Instituten.
Vorwurf des "Kulturimperialismus"
Wenn, so die positive Sicht, der Rang der Kultur künftig gestärkt und ressortübergreifend gebündelt wird – dann bedeutet das in der Konsequenz eben auch ihre Vereinnahmung für Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungs-, am Ende sogar für die Militärpolitik. Denn auswärtige Kulturpolitik soll mobilisiert werden gegen aggressive Propaganda, die im Koalitionspapier "hybride Informationsverfälschung" genannt wird. Das bedeutet eine Kampfansage gegen Putin, den Meister der hybriden Kriegsführung.
Und der Frage, ob "die Kultur" für solche Offensiven in einem "Wettbewerb der Nationen" überhaupt gerüstet, geschweige denn geeignet ist, mag sich Michelle Müntefering gar nicht erst stellen. Für die SPD spricht die Kulturpolitikerin lieber vom "Wettbewerb der Narrative". Sie möchte die Deutungshoheit für deutsche beziehungsweise europäische Werte wie demokratische Strukturen und Meinungsfreiheit nicht kulturkämpferisch, sondern mit dem Einsatz von "soft power" gewinnen. Ein friedlicher Anglizismus, auch auf gut Deutsch zu definieren. Originalton Nietzsche: "Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt."
Aber auch mit wohlklingenden Maximen wird sich der Vorwurf des "Kulturimperialismus" nicht vermeiden lassen. Dagegen helfen keine gut gemeinten, aber gedanklich äußerst blassen Absichtserklärungen wie die Ausrufung des Humboldt-Forums zur, so wörtlich, "internationalen Dialogplattform für globale kulturelle Ideen".
Kunst lässt sich nicht kommandieren
Diese Fixierung auf hauptstädtische "Leuchtturm-Projekte" dürfte zur parallel verordneten Stärkung der Kultur im Innern, in den "ländlichen Regionen", ebenso wenig beitragen wie die zahlreichen Auslandsaktivitäten. Und so könnte sich am Ende die Aufwertung der Kulturpolitik als Bumerang erweisen. Zum einen wird mit zahlreichen Forderungen haushaltspolitisch ein Fass ohne Boden aufgemacht. Zum anderen ist "die Kultur" als Instrument der Konfliktlösung – mit innen- wie außenpolitischen Aufträgen – hoffnungslos überfordert.
Gar nicht zu reden von der individuellen, für jedermann freien Kunst – und einer föderalistisch verfassten Kulturlandschaft. Weder Künstler noch Museumsdirektoren lassen sich kommandieren, wie es der republikanische Sonnenkönig Emmanuel Macron derzeit im zentralistisch regierten Frankreich versucht.