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Kulturpolitisches Klima in der Türkei
"Es gibt ständig Zensurfälle"

Die Zensur in der Türkei greife auch bei Kleinigkeiten bereits hart, es träten dauernd Theaterdirektoren zurück, sagte Christian Lüffe, Leiter des Goethe-Instituts Istanbul, im Deutschlandfunk. "Man spürt hier in mehrfacher Hinsicht die Einschränkungen der Pressefreiheit jeden Tag."

Christian Lüffe im Gespräch mit Michael Köhler |
    Türkische Fahne an einem Boot weht bei der Fahrt über den Bosporus bei trübem Wetter
    Eine absolute Mehrheit für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP würde weitere autoritäre Tendenzen in der Türkei verstärken, meint Christian Lüffe. (AFP / Bülent Kilic)
    Michael Köhler: Die Proteste im Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz, sie sind erst zwei Jahre her. Aber der kulturelle Wandel, schlägt der sich auch im Wahlverhalten nieder? Die Wahl in der Türkei hat begonnen. Die Regierungspartei AKP hofft, stark genug zu werden, um die Verfassung zu ändern. Und die pro-kurdische HDP unter Oppositionsführer Demirtas gewinnt an Stimmen. Wahlveranstaltungen in den letzten Tagen aber wurden von Attentaten mit Toten und vielen Verletzten überschattet. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP strebt eine 60-prozentige Mehrheit an und will eine Verfassungsreform. Grund für uns, Christian Lüffe zu fragen, den Leiter des Goethe-Instituts in Istanbul: Ist die Türkei auf dem Weg in die Präsidialdiktatur?
    Christian Lüffe: Ich fürchte, in einer gewissen Weise, ja. Man spürt hier in mehrfacher Hinsicht die Einschränkungen der Pressefreiheit jeden Tag. Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass der Journalist, der entdeckt hatte, dass der Geheimdienst wahrscheinlich Waffen ins syrische Krisengebiet geschmuggelt hatte, dass der jetzt mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bedroht wird von Young Hürriyet. Man merkt nicht nur im Journalismus, sondern auch im alltäglichen Leben, dass der Einfluss von religiös-konservativen Werten, die immer stärker imponiert werden auf die Gesamtbevölkerung, dass das doch sehr, sehr spürbar ist. Ich persönlich habe die Befürchtung, wenn nun diese absolute Mehrheit zustande käme: Die Verfassungsänderung wäre damit ja noch nicht möglich, aber immerhin würde das weitere autoritäre Tendenzen hier verstärken.
    Köhler: Ich greife das gerne mal auf. Sie sprechen von der Einschränkung der Pressefreiheit. Sie sagen, man merkt es auch im Leben. Was bedeutet das für die Kultur? Führt das zu verstärkter Zensur?
    "...daraufhin sollte dann die ganze Vorstellung abgesagt werden"
    Lüffe: Wir, was unsere eigenen Filme angeht, spüren das noch nicht. Es ist aber hier beim letzten Filmfest, Istanbul International Film Festival, ein Film verboten worden, woraufhin die anderen Regisseure ihre Filme alle zurückgezogen haben. Es sind dann nur noch die internationalen Filme gezeigt worden. Die Jurys sind auch zurückgetreten. Es war ein Film, ein Dokumentarfilm, der das Alltagsleben unter PKK-Kämpfern beschrieb. Was unsere Programme angeht, spüren wir es nicht so stark. Wir haben einen Fall erlebt, als wir die Schaubühne Berlin eingeladen hatten mit einem Stück von Thomas Ostermeier, ein Volksfeind, und da hat Thomas Ostermeier als Regisseur diesen Fußtritt von Soma - das ist, daran können Sie sich vielleicht erinnern, wo ein Präsidentenberater einen Familienangehörigen von diesem Bergwerksopfer getreten hat - auf die Bühne eingebaut in dieses Ibsen-Stück. Daraufhin sollte dann die ganze Vorstellung abgesagt werden und die Schaubühne sollte zurückfliegen nach Berlin. Gott sei Dank ist das nach fünf Stunden Diskussion dann verhindert worden, aber es sind natürlich Dinge, die man ständig spürt. Es treten, seitdem ich hier bin - das sind ungefähr anderthalb Jahre jetzt -, ständig Theaterdirektoren zurück, es gibt ständig Zensurfälle auch bei Kleinigkeiten. Es gab in Ankara neulich eine etwas modernere Goethe-Inszenierung, ich glaube von Tasso war das, da kamen ein paar Wörter unterhalb der Gürtellinie vor und da wurde gleich die ganze Inszenierung gekippt.
    Köhler: Herr Lüffe, die Bilder stummer Demonstranten mit Büchern in der Hand oder einem Klavier auf dem Taksim-Platz sind uns in Erinnerung von vor zwei Jahren. Meine Frage: Sind die Folgen dieser Proteste vom Gezi-Park, vom Taksim-Platz aus dem Juni 2013 heute noch spürbar, denn wir leben in einer internationalisierten Medienöffentlichkeit? Anders gefragt: Ist nicht der Demokratisierungs-, der Modernisierungsschub, kann der nicht an den Grenzen der Türkei einfach so Halt machen? Was denken Sie?
    "Ein gewisses Misstrauen von der religiösen Seite gegenüber der westlichen Kultur"
    Lüffe: Es gibt natürlich hier eine sehr, sehr große, hoch gebildete Bevölkerungsgruppe, nicht nur in Istanbul, auch in anderen großen Städten, die auch dieses Bekenntnis zum säkularen Staat und zur Demokratie in sich trägt und die diese Demokratie auch verteidigen will. Aber man muss leider sagen, diese Kräfte im Gezi, das war ja mehr eine Bewegung als sozusagen eine realpolitische Parteiengruppe, die sich da wirklich durchgesetzt hat. Es gibt eine Gezi-Partei, aber die hat verschwindend geringe Zahlen. Das sind, glaube ich, drei Prozent oder was und spielt überhaupt keine Rolle hier. Also man muss leider sagen, das wird politisch nicht abgebildet, was sich dort ergeben hat. Dennoch glaube ich, dass es diese ganz starke Gruppe gibt. Was ich sehr, sehr bedauerlich finde ist leider, dass es zwischen diesen beiden Gruppen, dass dort die Polarisierung immer stärker steigt. Man hat das Gefühl, die einen Leute werden fundamentalistisch religiöser und die anderen werden fundamentalistisch säkularer, und für ein auswärtiges Kulturinstitut dazwischen zu kommen und zu sagen, man möchte nicht nur mit denen zusammenarbeiten, beispielsweise die eine bestimmte Meinung vertreten, ist sehr, sehr schwierig, weil es auch ein gewisses Misstrauen gibt von der religiösen Seite gegenüber der westlichen Kultur schlechthin.
    Köhler: Das sagt Christian Lüffe, Leiter des Goethe-Instituts in Istanbul, zum kulturellen Klima anlässlich der Wahlen in der Türkei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.