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Kulturstaatsministerin Monika Grütters
"Diversität ist ein großer Gewinn"

"Der Kulturbereich kann ein Musterbeispiel dafür abgeben, Pluralität als Reichtum anzuerkennen", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Dlf. Darüber hinaus spiele die Kultur auch bei der Integration von Migranten und Flüchtlingen eine fundamentale Rolle.

Monika Grütters im Gespräch mit Karin Fischer |
    Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU.
    Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Karin Fischer: Monika Grütters, Kultur ist Lebensmittel. Das haben wir gelernt. Kultur ist ein ganz wichtiger Integrationsfaktor. Das hören wir immer wieder. Aus der Kultur stammt unser gesamter Wertekanon, wenn wir an die Philosophie der Aufklärung denken. Ist das nicht auch eine grundsätzliche Überforderung, sozusagen eine Inhaftnahme der Kultur für mögliche Versäumnisse des Staates zum Beispiel bei der Integration?
    Monika Grütters: Ich bin überzeugt davon, dass nationale Identität zu allererst aus dem Kulturleben eines Landes erwächst, und es ist die Verpflichtung der Politik, das sicherzustellen, indem man die Freiheit der Kultur ernst nimmt, die bei uns aufgrund der Erfahrung zweier Diktaturen in einem Jahrhundert einen so noblen Verfassungsrang hat. Artikel fünf unseres Grundgesetzes sagt, Kultur und Wissenschaft sind frei. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik, diese Freiheit durch zum Beispiel eine auskömmliche Finanzierung zu sichern.
    Trotz aller Offenheit für Menschen anderer Herkunft müssen Deutschland und Europa ihr Selbstverständnis definieren - allein schon deshalb, weil wir das Bedürfnis nach Selbstversicherung und Selbstvergewisserung ansonsten den Nationalisten und ihrer, ich sage mal, Ideologie des Eigenen überlassen, die in der Abwertung des anderen Rassismus nährt und Ausgrenzung fördert. Deshalb ist es keine Überforderung, wenn wir die Kultur dafür in Anspruch nehmen, sondern es ist die einzig sinnvolle Berufung auf unsere kulturelle Tradition.
    Kultur als Mittel zur Selbstvergewisserung und Selbstbefragung
    Fischer: Wir haben ja schon das Gefühl, dass wir im Moment tatsächlich in so einem ganz großen Krisenraum leben, und Identitätsfragen werden wieder anders und auch intensiver gestellt, ob zum Beispiel aus Anlass der AfD oder der Globalisierungsängste, die spürbar sind in dieser Gesellschaft, ob wegen Donald Trump oder des Brexits, ob das der Terror des IS in europäischen Metropolen ist oder die Debatte über die Flüchtlinge. Auch Kulturbürger sehen sich extrem herausgefordert von solchen Identitätsfragen. Was ist die Rolle der Kultur dabei, Ihrer Ansicht nach?
    Grütters: Ich glaube, gerade der Kulturbereich kann ein Musterbeispiel dafür abgeben, Pluralität als Reichtum anzuerkennen. Das war immer auch schon ein Lebenselixier der Entwicklung der Künste. Es betrifft heute die Vielfalt und Verschiedenheit unterschiedlicher Lebensformen unserer Gesellschaft und es liegt auf der Hand, dass Diskurse über Leitkultur oder Stolz auch in diesen Kontext gehören. Ich denke, dass zur Selbstvergewisserung und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gerade Kunst, Kultur, Medien, kreative in besonderer Weise beitragen können, und nicht umsonst hat Deutschland, das sich diese zivilisatorischen Errungenschaften nach der nationalsozialistischen Barbarei im Übrigen ja mühsam wieder hat erarbeiten müssen, die Freiheit der Kunst und der Presse in den Verfassungsrang erhoben. Und die Erinnerungspolitik spielt dabei aus eben diesen Gründen eine herausragende und wichtige Rolle.
    "Gesellschaftliche Integration nur durch kulturelle Integration"
    Fischer: Sie haben ja, Frau Grütters, das Stichwort Leitkultur erwähnt. Das ist ein schwieriges Thema natürlich, weil mit der Leitkultur, vor allem mit einer deutschen Leitkultur könnte Kultur ja auch wieder Mittel der Ausgrenzung werden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist für seinen Vorstoß, "Wir sind nicht Burka", auch heftig kritisiert worden. Wir müssen das jetzt nicht im Detail aufarbeiten, aber die interessante Frage lautet doch, wie schaffen wir diesen Spagat zu meistern, die Kultur Deutschlands einerseits zu definieren, eine Art Konsens herzustellen, vielleicht auch für die Menschen, die sich in Deutschland abgehängt fühlen, andererseits diese Werte zu vermitteln an jene, die vielleicht einer ganz anderen Kultur entspringen.
    Grütters: "Zusammenhalt in Vielfalt" - das ist das Motto der 15 Thesen, mit denen wir unter Federführung meines Hauses und zusammen mit dem Deutschen Kulturrat Akteure der Zivilgesellschaft an einen Tisch gebracht haben. Und zugrunde liegt diesen Thesen die Überzeugung, dass gesellschaftliche Integration nur durch kulturelle Integration gelingen kann.
    Fischer: Aber was ist das?
    Grütters: Man kann das jetzt mit Inhalt füllen. Zum Beispiel sage ich immer, wir alle sind gefordert, mit vereinten Kräften dafür zu werben, dass die Diversität in unserer Gesellschaft Deutschland - gerade Berlin beispielsweise war immer ein Ort der Zuwanderung und wir haben nicht nur viele integriert, sondern ihnen auch wirklich Heimat gegeben -, dass wir alle klar machen, die Diversität in unserer Gesellschaft sollte als das wahrgenommen werden, was sie ist, nämlich als ein großer Gewinn. Und wenn man das konkret macht, europäisch gewachsene Kulturnation, das ist etwas, mit dem ich gerne umgehe.
    Demonstranten tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Was ist das für 1 Leitkultur?".
    "Nur wer sich seiner Identität sicher ist, kann dem anderen Raum geben, auch dem Fremden, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen", sagt Monika Grütters. (dpa / picture alliance)
    Die deutsche Kultur ist in den Jahrhunderten des grenzüberschreitenden Austausches mit anderen Kulturen das geworden, was sie heute ist, und Europa fußt auf dem christlich-jüdischen Erbe und der griechisch-römischen Antike, Renaissance, Aufklärung, Klassik, Romantik bis hin zur Moderne. Europäische Strömungen mit spezifisch nationalen Ausprägungen, also auch deutschen, sind das, auf das wir uns berufen können. Wir machen deshalb im kommenden Jahr ein europäisches Kulturerbe-Jahr, um sichtbar zu machen, gerade an den kulturellen Traditionen, die grenzüberschreitend sind - früher war Europa ja auch ein anderes Grenzgebilde, als es heute ist -, um klar zu machen, dass uns hier viel mehr verbindet als uns trennt. Und am Ende soll eine wichtige Botschaft stehen: Nur wer sich seiner Identität sicher ist, kann dem anderen Raum geben, auch dem Fremden, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen. Und ich glaube, dass die Prägung anderer Kulturen, die über die Jahrhunderte ja auch Einfluss auf unsere deutsche Wesensart genommen haben, tatsächlich uns bereichert haben.
    Integration als Aufgabe der Kultur
    Fischer: Was ist das konkrete Ziel dieser Initiative "Kulturelle Integration", bei der Sie mitmachen? Olaf Zimmermann, einer der Mitgründer, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, hat in seinem Vorwort ja ziemlich realistisch beschrieben, dass blumige Worte über Integration oder voneinander lernen oder Teilnahme nicht ausreichen, dass sie eigentlich zu wenig führen.
    Grütters: Der Sinn oder das Ziel der Übung ist, natürlich Hilfestellung zu geben über 15 Thesen. Das ist ja anspruchsvoll genug, 15 Thesen zu formulieren. Über diese 15 Thesen also eine Hilfestellung zu eben dieser Selbstvergewisserung zu geben. Das Bedürfnis danach wird ja immer deutlicher, gerade in Zeiten der Unsicherheit und der Globalisierung. Und am Ende hat es natürlich auch eine ganz konkrete Funktion. Ich denke, dass auch die Aufnahme so vieler Menschen, die geflohen sind, uns natürlich vor eine riesengroße Aufgabe der Integration stellt, und die wird auf der einen Seite sozial oder im Arbeitsmarkt natürlich geleistet, ist aber ganz generell und fundamental eine kulturelle Aufgabe.
    Fischer: Was ist Ihre Rolle dabei, beim Thema Integration als Kulturstaatsministerin, Frau Grütters?
    Grütters: Wir haben große Programme aufgelegt, die angefangen bei dem Spracherwerb bis hin natürlich zur Vermittlung unserer deutschen Identität die neu zu uns Gekommenen erreichen muss. Ein ganz konkreter Punkt, der uns zu schaffen macht, ist, dass zu unserem heutigen Selbstverständnis natürlich der Umgang auch mit den Abgründen unserer jüngeren Geschichte gehört. Und das heißt, dass für uns die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk eine Staatsräson ist und dass Menschen auch aus anderen kulturellen Kontexten, in denen es latent antisemitische Strömungen gibt, akzeptieren müssen, dass das hier in Deutschland nicht verhandelbar ist, sich mit eben genau diesem christlich-jüdischen Kontext zu identifizieren. Diese Dinge müssen vermittelt werden.
    Das ist schwierig, aber es ist möglich. Ich sage ein Beispiel. Es hat eine Initiative-Bewegung unter Geflüchteten gegeben, die in das tolle Kulturprojekt "Multaka" gemündet ist. Die haben festgestellt, dass in unseren Museen auf der Museumsinsel ihre Kulturschätze aus dem orientalischen Raum, Mittelmeerraum gezeigt werden, und waren ganz begeistert und gerührt, wie sorgfältig Deutschland mit dem Ischtar-Tor oder mit einer Gebetsnische aus Damaskus umgeht. Und dann haben sie ihre eigenen Landsleute in dieses Haus geführt und am Ende ist daraus eine große Bewegung geworden, in der Geflüchtete ihre eigenen Leute, aber auch uns durch unsere Kulturschätze aus ihren Heimatländern führen, also auch mal die Rollen tauschen. Die Geflüchteten führen uns durch diese Schätze, die ihnen vertraut sind und die wir bewahren. Daran sieht man aber auch, dass es diesen Austausch geben kann und dass gerade unsere Kultureinrichtungen dazu prädestiniert sind. - Die Museen stellen ja immer so etwas wie die Frage nach dem Wir, und ich glaube, auch da erkennt man, dass uns Menschen überall auf der Welt viel mehr verbindet, als uns trennt.
    Erinnerungskultur und Gedenken "wichtiger denn je"
    Fischer: Ich wollte es noch an einem anderen Beispiel sagen und weil Sie die Erinnerungskultur ins Feld geführt haben: Sie haben in diesem Sommer im August ja einen ziemlichen Gedenkstätten-Marathon hinter sich, sage ich jetzt mal: Berlin-Hohenschönhausen, die Bernauer Straße, die Gedenkstätte Point Alpha - das ist ein ehemaliger Beobachterstützpunkt der US-Armee an der innerdeutschen Grenze. Hier wird an den Kalten Krieg in der Nähe von Fulda erinnert. Sind das denn integrative Lernorte, inklusive Lernorte sozusagen, oder nicht doch tatsächlich Spezialgedenkorte für unsere deutsche Geschichte?
    Grütters: Ich bin, gerade weil Sie Point Alpha oder die Berliner Mauer-Gedenkstätte erwähnen, jetzt immer wieder gefragt worden, ob wir eigentlich, 28 Jahre nach dem Fall der Mauer, mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, diese Rituale immer noch brauchen. Und ich glaube, wir brauchen sie mehr denn je, und zwar deshalb, weil sie Anlass sind, über diese jüngere Geschichte zu sprechen, nämlich darüber, Geschichte in Bezug zu setzen zur Gegenwart, sie auf die Lehren hin zu befragen, die sie für uns Heutige bedeuten und bereit halten. Das macht eine lebendige Erinnerungskultur aus und das sind wir den Opfern schuldig, dass wir streng und auch mit dem Anspruch, moralisch angemessen damit umzugehen, unsere Geschichte aufarbeiten.
    Das muss vermittelt werden an jüngere Generationen und passiert vor allen Dingen an authentischen Orten. Die können ja viel mehr vermitteln als das beste Geschichtsbuch. Zeitzeugen sterben ja dann weg und deshalb brauchen wir eine lebendige Erinnerungskultur, die auf andere Vermittlungskompetenzen setzt.
    Alleine die Berliner Mauer in ihrer Gnadenlosigkeit erfahrbar zu machen, passiert ja nur, wenn man vor einem Teilstück davon steht. Alleine sichtbar zu machen, was diese konkrete Konfrontation über Jahrzehnte für die Menschen bedeutet hat, das wird eine bleibende Verpflichtung sein.
    "Zerstörungen in Timbuktu betreffen auch die deutsche Seele"
    Fischer: Wir sprechen in den "Kulturfragen" des Deutschlandfunks in der Reihe "Kultur-Vermittler in Krisenzeiten" mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters darüber, was die Krisen dieser Zeit für die Kultur bedeuten. - Frau Grütters, Sie haben die syrischen Museumsführer erwähnt. Die Opfer von Krisen und Krieg, die in Ihren Bereich fallen, sind natürlich auch genau diese Kunstschätze aus ganz alter Zeit, die schnell mal zur Geisel genommen werden oder auch verkauft werden sollen, zum Beispiel, um den IS zu finanzieren. Der IS hat Weltkulturerbe zerstört, er soll auch mit Kunstwerken handeln. Was können Sie tun?
    Grütters: Klar machen, dass Kulturgüter keine Ware sind wie jedes andere Gut, sondern - das liegt bereits in der Natur der Sache - dass sie nur begrenzt verfügbar sind und dass es unser aller Aufgabe ist, sie zu bewahren und zu beschützen, dass es so etwas wie ein Menschheitskulturerbe gibt und nicht nur ein nationales, dass wir verantwortlich sind für das, was weltweit auf den Markt kommt, erlaubt oder unerlaubt, und dass nichts zerstört werden darf, dass Zerstörungen in Timbuktu auch die deutsche Seele betreffen, aber dass es ganz wichtig ist, klar zu machen, dass Kulturgüter die Seele eines Volkes, einer Ethnie, einer Religionsgemeinschaft oder einer regionalen Gruppe von Menschen betrifft und damit die Menschheit als Ganzes zu zerstören in der Lage ist. Deshalb hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im September 2016 tatsächlich ein Mitglied der Islamistischen Milizen wegen der Zerstörung der UNESCO-Welterbestätten in Timbuktu zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und vor kurzem auch noch einmal nachgelegt und gesagt, das muss mit Schadensersatzleistungen einhergehen.
    Das wird so nicht möglich sein und inzwischen sind mit internationaler Beteiligung ja auch die Welterbestätten in Timbuktu im Wiederaufbau begriffen. Aber was ganz wichtig ist, ist klar zu machen: Kulturgüter haben nicht nur einen materiellen Preis, sondern sie haben vor allen Dingen einen Wert, mit dem es auch immer um Identitätsrang geht.
    Streitfall Kulturgutschutz
    Fischer: Wir müssen über das Kulturgutschutz-Gesetz sprechen, denn das ist von Ihnen erarbeitet worden und sollte zum Bollwerk tatsächlich gegen die Einfuhr von geraubten oder illegal gehandelten Kulturschätzen, auch gegen illegalen Antikenhandel werden. Stattdessen, so sagen die Vertreter des Kunsthandels, stellt es Verkäufer und Händler unter Generalverdacht beziehungsweise - so die Experten - auch für Raubgrabungen ist es relativ nutzlos, denn alles was vor 2016 beziehungsweise 2007 schon in Deutschland war, ist legal. Und alles was kommt, könne durch einfache eidesstattliche Erklärungen sozusagen alt gemacht werden. - Wie kann dieses Gesetz tatsächlich den illegalen Handel mit antiken Kulturschätzen dann stoppen?
    Grütters: Kriminalität kann man ja nicht per Gesetz verbieten; man kann sie nur per Gesetz verfolgen. Und tatsächlich ist es so, dass Deutschland 38 Jahre lang einer UNESCO-Konvention zum Kulturschutz, der Verantwortung auch für Kulturgüter jenseits der eigenen nationalen Grenzen, nicht beigetreten ist.
    Fischer: … nicht zugestimmt hat.
    Grütters: Aus Rücksicht auf einige - Entschuldigung - wenige Händler. Denn ich glaube, gerade die Kulturnation Deutschland mit ihrem großen, berechtigterweise großen, auch moralischen Anspruch, korrekt mit Kulturgütern, mit den eigenen wie mit fremden umzugehen, gerade die Kulturnation Deutschland war das der Menschheitsgeschichte schuldig, und deshalb bin ich froh, dass wir jetzt endlich UNESCO-, weltweite Regeln, europäisch geltende Regeln anerkennen und in nationales Recht umgesetzt haben.
    Dabei geht es in der Tat um Einfuhr und um Ausfuhr. Bei der Einfuhr ist es so, dass wir vorher völlig unbrauchbare weiche Regeln hatten. Es durfte alles rein, was nicht auf einer Verbotsliste des Herkunftsstaates steht, aber Herkunftsstaaten, in denen Krieg ist, die führen keine Kulturgutschutz-Listen, sondern stellen alles, was sie besitzen, kollektiv auf eine Ausfuhr-Verbotsliste. Deshalb haben wir eine neue Regelung geschaffen, die für alle anderen in der Welt bisher auch gilt, nämlich jemand, der Kulturgüter aus einem anderen Land bei uns einführt, muss eine Erlaubnis des Herkunftsstaates bei sich führen.
    Es gibt in Deutschland keinen rückwirkenden Strafrechtsbeschluss. Das heißt, wir können nicht rückwirkend etwas unter Strafe stellen. Deshalb mussten wir eine Stichtagsregelung finden. Sie können mir glauben, das finde auch ich unbefriedigend, ist aber der deutschen Rechtssystematik geschuldet. Deshalb wird nicht eine ganze Branche unter Generalverdacht gestellt, sondern der Appell und diese Regelung betreffen natürlich diejenigen, die die Standards unterlaufen. Neue Sorgfaltspflichten waren dringend erforderlich. Deutschland hatte die weichsten Regelungen, und es ist angemessen, dass wir uns jetzt den Standards nähern, die auch andernorts üblich sind.
    Das Humboldt-Forum: "Neugier auf das Andere, das Fremde"
    Fischer: Kultur ist schon immer gewandert. Kultur ist schon immer zum Teil auch illegal ins Land gekommen, zum Beispiel auch durch die früheren Kolonisatoren. Lassen Sie mich das zum Anlass nehmen, um jetzt auf das Humboldt-Forum zu sprechen zu kommen, das ja sozusagen den ganz großen Brückenschlag versucht. Und so umstritten das Gebäude, die Rekonstruktion aber damals, als man diskutiert hat, war und so massiv es jetzt bereits schon im Bau dasteht, so diffus scheinen auch die Konzepte zu sein, es mit Inhalt zu füllen - nach langer, langer Planungszeit und einem höchstrangigen Triumvirat an der Spitze des Humboldt-Forums mit Hermann Parzinger, Neil MacGregor und Horst Bredekamp. Wo stehen wir heute? Wie wird das Museum der Weltkulturen aussehen?
    Grütters: Richtig ist, dass in der Tat die Wiedererrichtung der äußeren Gestalt des Berliner Stadtschlosses viel früher begonnen wurde, als man angefangen hat, in der Kulturpolitik die Inhalte zu besprechen. Deshalb gibt es ein Stück Ungleichzeitigkeit zwischen dem Gebäude und der inhaltlichen Konzeption. Aber ich habe als eine meiner ersten Amtshandlungen vor knapp vier Jahren einen Intendanten berufen, um genau dieses inhaltliche Konzept voranzubringen, und bin stolz, dass ein welterfahrener Mann wie der damalige Direktor des British Museum, Neil MacGregor, sich bereit erklärt hat, tatsächlich dieses Konzept mit den Kollegen in Berlin, Parzinger und Bredekamp, auf den Weg zu bringen.
    Das Humboldt-Forum soll so etwas sein wie das Berliner Schloss zur Welt, und das ist ein einzigartiges Schatzhaus der Kulturen der Welt, wie es nur in London, Paris und New York sonst noch möglich ist. Wir möchten hier erfahrbar machen, wofür der Name Humboldt steht: für die Tradition der Aufklärung, für die Idee der selbstbewussten, weltoffenen Annäherung der Völker, das Ideal auch eines friedlichen Dialogs. Da stehen der Kosmos-Gedanke eines Alexander von Humboldt und der Universitas-Gedanke seines Bruders Wilhelm ein Stück weit Pate. Wir möchten die Neugier auf das Andere, das Fremde, das Neuartige wecken und eine gewissermaßen Einladung an die Besucher sein, sich als Weltbürger zu fühlen, in ein Haus einzutreten, in dem auch ihre Kultur sichtbar wird und die Minderheitserfahrungen aufgehoben werden.
    Auf der Modellkuppel thront das Kreuz, auf der echten noch nicht
    Auf der Modellkuppel thront das Kreuz, auf der echten noch nicht (imago stock&people)
    Das ist das große Ganze, und was uns wichtig ist, ist, dass wir dort nicht mehr in Regionen denken, hier Asien, dort Afrika, dort der Mittelmeer-Raum und der Orient, sondern dass wir querschnittsartig Menschheitsthemen aufgreifen: Wie sind die Menschen überall auf der Welt mit Kindern umgegangen? Was bedeuten Anfang und Ende des Lebens für die Menschheit an den unterschiedlichen Orten der Welt? Oder welche Rolle haben die Religionen? Und ich glaube, dass das mit den Schätzen unserer Museen und natürlich zusätzlich dem großen Veranstaltungsbereich unten, der ja auch interdisziplinär dann mit Musik, mit Sprache, mit Podiumsdiskussionen diese Themen aufgreifen will, dass das dort gelingen kann.
    "Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit muss Deutschland einiges nachholen"
    Fischer: Nun gibt es gerade eine heftige Diskussion darüber, vor allem, wie man in diesem Humboldt-Forum mit den ethnologischen Sammlungen umgeht. Und vielen Kritikern scheint klar, dass es eigentlich schon jetzt nicht mehr dem Anspruch, auch in dieser Hinsicht ein avantgardistisches Haus zu werden, gerecht werden kann. Welche Art von Umgang mit diesen Objekten und ihrer möglicherweise ungeklärten Herkunft wünschen Sie sich? Welchen Umgang muss man fordern? Konkret: Brauchen wir eine Provenienz-Stelle fürs Humboldt-Forum?
    Grütters: Nur um noch mal den Begriff avantgardistisch aufzugreifen: Ich als Kulturpolitikerin und am Ende Zuständige ja auch für das große Humboldt-Forum - es wird ja in der Zuständigkeit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien bleiben - halte mich aus inhaltlichen Einlassungen und ästhetischen Fragen aus gutem Grund raus. Da gilt die Autonomie der Einrichtungen als oberstes Prinzip. Aber die Rahmenbedingungen müssen natürlich stimmen, und ich bin froh, dass das Humboldt-Forum im Übrigen schon vor seiner Eröffnung und jetzt endlich - lange hat nämlich die äußere Gestalt die Debatte beherrscht -, jetzt aber endlich die Inhalte so in den Fokus der öffentlichen Debatte geraten sind und dass wir schon vor der Eröffnung Anlass haben, über so eine wichtige und notwendige Debatte wie über den Umgang mit unserem kolonialen Erbe zu sprechen. Das, finde ich, ist der erste Beweis dafür, dass die Idee eines Humboldt-Forums richtig war.
    Bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit muss Deutschland einiges nachholen. Wir fangen damit spät an, besser jetzt als nie, und das Humboldt-Forum hat das ganze Thema ins Zentrum gerückt. Da können und müssen auch …
    Fischer: Muss es deswegen dort auch stattfinden?
    Grütters: Ja, ich glaube, da können und müssen auch die Museen in Deutschland - und die spektakulärsten Sammlungen gehören der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ziehen von Dahlem nach Mitte um -, da können und müssen diese Museen noch einiges leisten. Und als Staatsministerin sehe ich meine Aufgabe vor allen Dingen darin, die Museen bei dieser Herausforderung mit allen geeigneten Mitteln zu unterstützen. Das kann und sollte vielleicht dann auch wirklich mindestens eine Stelle dazu sein. Ich sage mal, der Fall Gurlitt hat uns ja auch bewegt, neben den schon vorhandenen Anstrengungen, die es in der Aufarbeitung nationalsozialistischer Kunstraube vor allen Dingen an Juden schon gab, diese zu bündeln und zu verstärken. Ähnlich, könnte ich mir vorstellen, sollten wir es auch bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit tun.
    Welche Standards da heutzutage international gelten, das müssen die Experten sagen. Wir finanzieren BKM-seitig zurzeit eine große Studie, die der Deutsche Museumsbund genau zu dieser Frage, zum Umgang mit unserem kolonialen Erbe jetzt erstellt, um eine Handreichung auch für die anderen Häuser zu sein. Und neben der Finanzierung solch einer Studie - auch diese Initiative ging von uns aus - kann ich mir auch gut vorstellen, dass ich die Anstrengungen auch finanziell, materiell und organisatorisch in die Hand nehme, um den Häusern zu helfen.
    "Die großen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens kulturell beantworten"
    Fischer: Frau Grütters, demnächst ist Bundestagswahl. Sie haben in Ihrer Zeit als Kulturstaatsministerin in vielen Bereichen die Rahmenbedingungen für Kultur sozusagen ins Plus verschoben, sage ich jetzt mal, natürlich auch pekuniär. Was ist Ihr dringlichstes Anliegen für die Zukunft?
    Grütters: Zum einen, der Rolle der Kultur weiterhin zu einem starken Auftritt im öffentlichen Bewusstsein zu verhelfen, weil ich glaube, dass die Kultur lange schon keine Frage mehr eines bestimmten Milieus der Gesellschaft ist, sondern zu einer fundamentalen Berufung auf unsere eigene Identität beiträgt. Und diese Sehnsucht nach Selbstvergewisserung in einer zunehmend globalen Welt wird in der Kultur beantwortet, also auch in der Kulturpolitik. Und deshalb möchte ich, dass im öffentlichen Bewusstsein die Frage der kulturellen Bezüge in unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt - und das heißt auch bei der gesellschaftlichen Integration vieler, die zu uns kommen -, dass die Kultur dabei eine Hauptrolle spielt, und das setzt natürlich voraus, dass man einen guten Etat hat, aber vor allen Dingen, dass die großen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens auch kulturell beantwortet werden.
    Natürlich gibt es ein paar konkrete Projekte, die daraus folgen: Zum Beispiel das Humboldt-Forum, zum Beispiel die Rolle der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die unser Erbe verwaltet, aber auch in der Gegenwart angemessen ankommen muss. Da gibt es einiges zu tun und die Erinnerungskultur ist und bleibt ein ganz wesentliches zentrales Element deutscher Kulturpolitik.
    Fischer: Dann danke ich Ihnen für dieses Gespräch.
    Grütters: Und ich mich für die Einladung dazu. Danke sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.