Ob und wie die Schrifttechnik auf den Inhalt des Geschriebenen zurückwirkt, ist eine ebenso interessante wie offene Frage. Jedenfalls gibt es zu diesem Thema fast keine wissenschaftlichen Forschungen und erst recht keine überzeugenden Ergebnisse. Dabei liegt es doch nahe, eine Kausalverbindung zu vermuten: Wir wissen ja, dass die Entwicklung von Musikinstrumenten die Tätigkeit der Komponisten wesentlich beeinflusst hat; auch in der bildenden Kunst führte die Verfügbarkeit von neuen Materialien immer wieder zu Epochenbrüchen. Und warum sonst interessiert man sich so sehr für die Schreibtische, Schreibmaschinen oder Federhalter von Schriftstellern und Dichtern?
Trotzdem lässt sich einem Text nicht ansehen, ob er mit Kugelschreiber oder Computer verfasst wurde. Und die Behauptung von irgendwelchen Wirkungszusammenhängen ist hoch spekulativ. Aber natürlich gibt es sie. Der Wortfindungsprozess verläuft anders, wenn er auf einem Papierblatt sichtbar in Form von Durchstreichungen dokumentiert wird, als wenn mit dem Computer alles beliebig gelöscht und umformatiert werden kann.
Gilt Ähnliches auch für die Verwendung von Schreib- oder Druckschrift? Die Angewohnheit, die Buchstaben eines Wortes miteinander durch Schlaufen und Bögen zu verbinden, entstand ja aus einem Bedürfnis nach Vereinfachung: Die vorwärtsdrängende Verkettung spart verglichen mit einem ständigen Ab- und Neuansetzen der Schreibbewegung Kraft und Zeit. Daher ist es absurd, wenn die Abkehr von dieser gebundenen Schrift zugunsten der Druckbuchstaben wiederum als Vereinfachung dargestellt wird. Es handelt sich eher um ein Lernsparen; man verzichtet auf die Aneignung einer als unnötig erachteten Kulturtechnik.
Und unnötig ist sie im Tastaturzeitalter tatsächlich. Ihre Bedeutung liegt jenseits des Notwendigen: So hat zum Beispiel die lateinische Schreibschrift eine nationalstaatliche Differenzierung erfahren, die bewirkt, dass man am bloßen Schriftbild erkennen kann, ob jemand in Frankreich, England oder Deutschland zur Schule gegangen ist. Und zwar vor allem an der jeweiligen Art der Buchstabenverbindungen. Denn die Druckbuchstaben als solche sehen alle sehr gleich aus.
Überhaupt beruht die Handschrift, die ja als besonders wichtiges Zeichen von Individualität gilt, auf subtilen, aber charakteristischen Abweichungen von der Schreibnorm. Und für solche Abweichungen bietet die gebundene Schrift ungleich mehr Möglichkeiten. Ohne diese wird auch eines der juristisch immer noch wichtigsten Beglaubigungsmerkmale für persönliche Willensäußerungen, nämlich die Unterschrift, sinnlos. Mit der Handschrift im herkömmlichen Sinn verschwinden auch die Grafologen, und Apotheker haben es mit dem Entziffern von Rezepten leichter.
Unsere Sprache aber, so wie wir sie beim Schreiben nicht nur in den Fingern, sondern auch im Kopf fühlen, bekommt eine etwas andere, nämlich granulare Konsistenz. Die Wörter liegen weniger kompakt gebacken vor; es gibt keine andere Aggregatstufe als Buchstabengeraspel. Und niemand weiß, wohin das führt.