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Kulturverluste
Debatte über die schwierige Frage der Restitution

Die Debatte um die Rückführung von außereuropäischen Kulturobjekten wird kontrovers geführt. Eine Konferenz in Berlin hat nun den Umgang mit verlagerten Kunstobjekten weltweit untersucht - und fordert mehr Dialog und eine stärkere Zusammenarbeit anstelle einer systematischen Restitution.

Von Cornelius Wüllenkemper |
Holzobjekte, vermutlich aus einer Grabplünderung in den 1880er Jahren. Das Ethnologische Museum Berlin hat die Objekte 2018 zurückgegeben. Bei der Restitution an die Chugach Alaska Corporation handelte es sich um die erste Rückgabe in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Ethnologischen Museums an eine Herkunftsgesellschaft.
Zurückgegeben an die Ureinwohner Alaskas: Grabobjekte aus dem Ethnologische Museum Berlin (imago / Christian Ditsch)
Auf welchen Wegen Kunstgegenstände in deutsche Museen gelangten, zeigte der Kunsthistoriker Sebastian Willert. Im Panel über die juristischen Aspekte sprach er von der Fassade des jordanischen Wüstenschlosses von Mschatta. Obwohl das Osmanische Reich Ende des 19. Jahrhunderts strenge Gesetze gegen die Ausfuhr von Kunstobjekten erließ, fand die Fassade aus dem achten Jahrhundert unter Sultan Abdülhamid II. 1904 seinen Weg nach Preußen.
"Das ist natürlich ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass Archäologen versuchten, den Einfluss über Wilhelm II. zu generieren, um im Sinne von persönlichen Geschäften zwischen den Monarchen eben dieses Objekt zu erhalten. Osman Hamdi Bey wurde als Generaldirektor der Istanbuler Museen umgangen, wurde nicht informiert, zunächst jedenfalls, und es gab dann ein Tauschgeschäft. Wilhelm II. hat das Portal geschenkt bekommen von Abdülhamid II. und hat im Gegenzug dafür Pferde aus dem Gestüt der Trakehner in Ostpreußen an Abdülhamid II. geschenkt."
Multilaterale Zusammenarbeit gefordert
Die Herkunft von Sammlungsgut ist nicht immer so eindeutig zu bewerten, wie es politische Forderungen nach Restitution gern nahelegen. Das gilt etwa auch für die Botenstäbe und Justiz-Säbel aus dem antiken westafrikanischen Königreich Dahomey, die heute im Depot des Leipziger Völkerkundemuseums lagern. Kunsthistoriker Romuald Tchibozo aus dem heutigen Benin betonte, dass es in der Debatte um das Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in erster Linie um eine multilaterale Zusammenarbeit zur kunsthistorischen Einordnung der Objekte geht.
"Für die Konservierung dieser Objekte hat man sehr viel Energie, Geld und Wissen aufgewendet. Das Ziel kann nicht eine systematische Rückführung an ihren Herkunftsort sein. Stattdessen sollten wir eine Zusammenarbeit auf die Beine stellen, bei der man gemeinsam die Objekte definiert, die man nach Benin zurückschicken kann, damit das Wissen der Vorfahren, das kulturelle Erbe an die junge Generation des Landes weitergegeben werden kann."
Spirituelles Wissen ging verloren
Kollaboration statt systematischer Restitution, das war ein Tenor auf der Tagung über verlagertes Sammlungsgut. Besonders anschaulich zeigten das die Kulturanthropologen Andrea Scholz und Thiago da Costa di Oliveira. In enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und der indigenen Bevölkerung des Amazonas-Gebiets untersuchen sie spirituell aufgeladene Objekte aus dem Depot des Ethnologischen Museums Berlin. Statt über Restitution zu diskutieren, solle man zunächst den alternativen Eigentumsbegriff der Amazonas-Indigenen betrachten, forderte Andrea Scholz.
"Darüber hinaus hat ja dort auch eine Geschichte stattgefunden von Kolonisierung und Missionierung, und die Leute beherrschen nicht mehr die Techniken, um diese Objekte zu ,handeln` – die spirituellen Techniken. Was dann dazu führt, dass die häufig Angst haben, diese Objekte im Depot zu sehen oder mit denen umzugehen und sich dann schützen müssen, und die Vorstellung, die jetzt zurückzuholen, eine komplette Überforderung wäre. Und das wird auch genau so formuliert, dass das nicht in Frage kommt."
Kunstobjekte nicht einfach restituieren
Statt der eurozentristischen Schuldaufarbeitung müsse vielmehr die heutige Situation der Bewohner am Herkunftsort im Mittelpunkt stehen, meinte auch der brasilianische Kulturanthropologe Thiago da Costa di Oliveira.
"Wenn man die Objekte einfach restituiert, unterbindet man damit zugleich die Beziehung zwischen den Indigenen und den Europäern, die heute die Kunstobjekte ihrer Vorfahren archivieren. Wenn man aber in der Diskussion bleibt, etwa gemeinsam Ausstellungen organisiert, bringt man die Anliegen dieser Völker an eine viel größere Öffentlichkeit. Und das hat für den täglichen Kampf der indigenen Bevölkerung am Amazonas gegen die Minderheitenpolitik der brasilianischen Regierung eine weitaus größere Bedeutung."
An politischen Willenserklärungen zu Rückführungen von Kulturgütern, die in rechtlich oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise an andere Orte verbracht wurden, mangelt es nicht. Die praktische Umsetzung dieser politischen Absicht stellt sich derweil als weitaus komplexer dar. Statt den Schwerpunkt allein auf die Aufarbeitung der Translokationsgeschichte zu legen, sollte man die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Herkunftsländer und die Bedürfnisse der heutigen Bewohner stärker in den Blick nehmen.