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Kulturzerstörung
"Solche Verbrechen zu verfolgen, ist keine Selbstverständlichkeit"

Mit Äxten und Eisenstangen zertrümmerten Dschihadisten 2012 heilige Grabstätten in Mali. Nun steht Rebellenführer Al-Mahdi wegen Verbrechen gegen das UNESCO-Weltkulturerbe vor Gericht. Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum in Berlin sagt, es gehe darum, "Kriegsverbrechen, die sich gegen Kulturerbestätten und damit auch gegen die Identität von Gesellschaften richten, zur Anklage zu bringen."

Markus Hilgert im Gespräch mit Mascha Drost |
    Die Sankore-Moschee aus dem 15. Jahrhundert war der Grundstein fuer die Universitaet von Sankore, Mali, Timbuktu
    Auch Teile der Lehmmoscheen von Timbuktu fielen der Zerstörung der Islamisten 2012 zum Opfer (imago)
    Mascha Drost: Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum in Berlin, haben wir auf einen solchen Prozess schon viel zu lange gewartet?
    Markus Hilgert: Ich auf jeden Fall. Ich glaube auch, dass die Weltgemeinschaft zu lange auf einen solchen Prozess gewartet hat, denn das Phänomen der Kulturgut-Zerstörungen in bewaffneten Konflikten, die ideologisch oder religiös motiviert sind, ist kein neues Phänomen, sondern eines, was uns ja schon länger beschäftigt. Denken Sie an die Buddha-Statuen in Bamian oder denken Sie jetzt ganz aktuell an die Zerstörungen an der Welterbestätte Palmyra. Und ich glaube, was bislang gefehlt hat, ist ein juristisches Instrument, was das humanitäre Völkerrecht so anwendet, das es tatsächlich zu einer Anklage kommen kann und dann hoffentlich auch zu einer Festsetzung eines Strafmaßes, das dann auch eine politische Signalwirkung hat.
    "Das wird auf bestimmte Personen und Gruppen eine Abschreckungswirkung haben"
    Drost: Aber was kann außer einer politischen Signalwirkung denn so ein Prozess überhaupt bewegen? Denn Fanatiker werden sich doch kaum von weiteren Taten abhalten lassen.
    Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin
    Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin (Deutschlandradio - Philipp Eins)
    Hilgert: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, dass wir es hier vor allen Dingen mit zwei Dingen zu tun haben, und das eine ist doch noch einmal das politische Signal, das ich nicht unterschätzen würde. Denn wir dürfen nicht vergessen: Das Völkerrecht ist immer nur so stark wie nationale Gesetzgebungen es tatsächlich umsetzen. Und dass wir einen Internationalen Strafgerichtshof haben, der für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zuständig ist und der dann tatsächlich auch in der Lage ist, solche Verbrechen effektiv zu verfolgen und zur Anklage zu bringen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Da ist ein wichtiges Instrument auch der Exekutive geschaffen worden auf internationaler Ebene.
    Zum anderen muss man, glaube ich, abwarten, bevor man zu stark kritisiert, was denn jetzt überhaupt geschieht. Wenn es tatsächlich zu einem guten Verfahren kommt, wenn es zu einem angemessenen Strafmaß kommt und dieses Strafmaß dann tatsächlich auch in der Weise vollstreckt wird, dann wird das auf bestimmte Personen und Gruppen sicher auch eine gewisse Abschreckungswirkung haben. Auf andere wieder nicht, da gebe ich Ihnen recht. Aber ich glaube, das ist kein Grund, um das Konstrukt, um das Institut als solches grundsätzlich in Frage zu stellen.
    Drost: Sie sehen auch nicht die Gefahr, dass man durch einen solchen Prozess möglichen Tätern vielleicht sogar zusätzliche Attraktivität bietet, ihnen sozusagen eine große Bühne verschafft und die Gewissheit, mit solchen Verbrechen auch besondere Aufmerksamkeit zu bekommen?
    Hilgert: Auch das hängt - das ist sicher ein richtiger Einwand - natürlich von zwei Dingen ab: zum einen von der Prozessführung. Aber es hängt natürlich auch von der Berichterstattung der Medien ab. Es ist schon richtig, dass die Medien und auch die mediale Aufmerksamkeit für die Kulturgut-Zerstörungen sicher auch im größeren Rahmen dessen anzusiedeln sind, was vielleicht auch islamistische Gruppierungen dazu veranlasst hat, tatsächlich zu solchen Taten zu greifen. Insofern, denke ich, müssen wir uns auch genau überlegen, wie wir über solche Phänomene berichten.
    Aber noch mal: Ich glaube, dass die möglichen kritischen Anmerkungen, die man machen muss, die vielleicht gerade in der Anwendung, im Verfahren bestehen, nicht Argumente sind gegen das, was hier gerade passiert, nämlich dass wir zum ersten Mal die Möglichkeit haben, Kriegsverbrechen, die sich gegen Kulturerbestätten richten und damit auch gegen die Identität von Gesellschaften, effektiv zu verfolgen und zur Anklage zu bringen. Ich glaube, dass das auch eine Konsequenz eines veränderten, eines erweiterten Bewusstseins davon ist, was Kultur uns bedeutet, und ich denke, dass sich die Menschheit gewissermaßen da insgesamt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bewegt hat, denn wir alle wissen, dass Kultur nicht nur Steine sind, sondern dass Kultur uns Orientierung und Halt gibt.
    "Absichtliche Kulturgut-Zerstörungen sind potenzielle Fälle für den Internationalen Strafgerichtshof"
    Drost: Wie realistisch sind denn dann eigentlich Szenarien, in denen man die Zerstörungen etwa im Irak, die von den Amerikanern begangen wurden, oder jetzt in Syrien durch Assad, durch die Rebellen, durch Russland, dass man solche Zerstörungen, wenn nicht nur ein einzelner Anführer einer Splittergruppe dafür verantwortlich gemacht wird, sondern Weltmächte, wie realistisch sind denn dann Prozesse?
    Hilgert: Da kommen wir in eine juristisch relativ diffizile Diskussion, denn wenn Sie von absichtlichen Kulturgut-Zerstörungen im Rahmen von kulturellen Säuberungen etwa in Syrien oder im Irak sprechen, dann sind das potenzielle Fälle für den Internationalen Strafgerichtshof nach meiner Einschätzung. Wenn Sie von Kriegsschäden im Rahmen von militärischen Auseinandersetzungen sprechen, die auch beispielsweise als sogenannte Kollateralschäden entstehen, dann gehören die natürlich nicht vor den Internationalen Strafgerichtshof, auch wenn sie außerordentlich bedauerlich sind aus unserer Sicht.
    Drost: … sagt der Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin, Markus Hilgert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.