"Es herrschte ein totales Chaos. Ich habe meine Kinder nicht finden können. In der Dunkelheit konnte ich nichts sehen. Erst im Morgengrauen habe ich ihre Leichen gefunden. Sie waren zerstückelt. Die Arme waren nicht mehr da. Ihre Beine fehlten."
Die Angehörigen der Opfer waren aus den Dörfern der Umgebung zusammengelaufen. Als die Sonne aufging, bot sich ihnen ein grausiges Bild. Zwei verkohlte Tankwagen auf der Sandbank im Kundus-Fluss im Norden Afghanistans. Zerfetzte Körper, verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, Leichenteile
"Ich habe nur einen Kopf gefunden. Er hatte einen Bart wie mein Vater. Dann fand ich einen Kopf, der hatte Zähne wie mein Bruder. Wir haben sie dann nach Hause gebracht. Irgendein Nachbar sagte dann: Das ist nicht dein Vater. Und nicht dein Bruder. Wir haben sie dann zurückgebracht."
Journalisten fanden später in akribischer Recherche heraus, dass der Angriff der amerikanischen Kampfjets in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 etwa 90 Menschen getötet hatte, unter ihnen viele Kinder, die allermeisten Zivilisten. Befohlen hatte ihn ein deutscher Offizier, Oberst Georg Klein.
Am Abend zuvor hatten Taliban bei Kundus die beiden Tanklastzüge gekapert. Einer der Fahrer, Abdul Malek, überlebte Überfall und Bombardierung.
"Wir sind gerade aus der Stadt raus, als plötzlich Taliban auf die Straße sprangen. Es waren 20 bis 30 Mann. Alle schwer bewaffnet. Ein Taliban ist dann mit vorgehaltener Waffe in meinen Wagen gestiegen."
Viele Menschen kamen zu dem Tanklaster
Als die Taliban einsahen, dass sich die Trucks im Flussbett festgefahren hatten, öffneten sie die Treibstoffhähne – um sich als Wohltäter zu zeigen. Bald strömten Menschen herbei, um das kostbare Gut abzuzapfen. Im Feldlager der Deutschen, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt, beobachteten Offiziere dies auf ihren Radarbildschirmen.
Oberst Kleins fatale Fehleinschätzung: Er nahm an, die sich bewegenden Punkte seien Hunderte von Taliban, die planten, die LKWs zu fahrenden Benzinbomben umzufunktionieren, ins Lager einzudringen und sie zur Explosion zu bringen. Er rief zwei F-15 Düsenjets der US-Amerikaner zu Hilfe, die auf seinen Wunsch hin gezielt und massiv bombardierten.
Zuvor hatten die Piloten vorgeschlagen, zunächst über den Tatort hinwegzufliegen, um Unschuldige zu warnen. Der Oberst lehnte ab. Er hielt alle Menschen im Flussbett von Kundus für Feinde.
"Nach ersten Informationen wurden über 50 Kämpfer der Opposing Militant Forces getötet. Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen."
Kapitän zur See Christian Dienst, Sprecher des Bundesverteidigungsministers, blieb am Tag danach in Berlin bei dieser Interpretation.
Franz Josef Jung blieb bei seiner Interpretation
Selbst als Korrespondenten Belege dafür fanden, dass Kinder unter den Opfern waren, wiederholte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, was ihm aus der Bundeswehr und seinem Ministerium übermittelt worden war: Das Lager sei in Gefahr, die Bombardierung alternativlos gewesen.
"Was wir bisher nur wissen, ist, dass beispielsweise auch verkohlte Waffen dort gefunden worden sind, so dass hier die Indizien sehr klar für Taliban sprechen."
Tagelang blieb Jung dabei. Nach der Bundestagswahl am 27. September 2009 sprach Angela Merkel ein Machtwort: In ihrem neuen Kabinett wurde Jung Arbeitsminister. Für ihn rückte ein hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker der Union nach, Karl-Theodor zu Guttenberg. Der sah die Sache anders, entließ hohe Beamte und räumte vor dem Bundestag ein, dass verheerende Fehler gemacht worden waren.
"Obgleich Oberst Klein, und ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind, zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht, im Lichte aller, auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch nicht angemessen."
Am 26. November veröffentlichte die "Bild"-Zeitung Belege dafür, dass Franz Josef Jung in den Tagen nach der Bombardierung hätte wissen müssen, dass fast nur Zivilisten unter den Opfern waren. Jung trat zurück – am 27. November 2009.
"Ich übernehme damit die politische Verantwortung für die interne Informationspolitik des Bundesverteidigungsministeriums gegenüber dem Minister bezüglich der Ereignisse vom 4. September in Kundus."
"Ich übernehme damit die politische Verantwortung für die interne Informationspolitik des Bundesverteidigungsministeriums gegenüber dem Minister bezüglich der Ereignisse vom 4. September in Kundus."
Jung war nur einen Monat lang Arbeitsminister gewesen. Kein Bundesminister vor ihm war kürzer im Amt.