"Das Programm für heute ist: Wir werden jetzt eine kleine Stunde unsere Reden machen. Dann ist die Ausstellung quasi eröffnet."
Der niederländische Stadtplaner und Künstler Ton Matton eröffnet auf einem Dorfplatz im nordhessischen Gottsbüren eine vierwöchige Kunstaktion. Sie soll der Wiederbelebung eines mittelalterlichen Wallfahrtsortes dienen, in dem leer stehen. Matton ist seit einem Jahr Professor für Raum- und Designstrategien an der österreichischen Kunstuniversität Linz. Mit 30 Studierenden bespielt er zeitlich befristet das Dorf, in dem die Lebensmittelläden und die meisten Kneipen längst geschlossen sind:
"Sie haben alle einen Plan bekommen, auf dem ausgemalt ist, was die Studenten gemacht haben, damit sie es finden. Und dann um sechs erwarten wir sie hier alle wieder zurück."
"Im Moment haben sie es schon aufgemischt hier"
Matton lädt die verbliebenen 800 Einwohner des Dorfes ein, sich bei einem Rundgang durchs Dorf anzuschauen, wie seine Studierenden sich leer stehende Häuser oder öffentliche Plätze künstlerisch angeeignet haben. Was die Gottsbürener, die sich auf den Weg machen, auch im inneren der Häuser zu sehen bekommen, überrascht auch viele, die hier schon immer gelebt haben: Ein alter Schweinestall ist zu einem "Dorflabor" für Kunstaktionen mit Schulklassen umgebaut worden, aus dem leer stehenden Edeka-Markt ist eine Galerie entstanden, in dem Werke ausgestellt werden, in denen Kuhhäute oder Mist zu Schmuckstücken verarbeitet wurden. Die Nachbarinnen Ivonne Tölle und Brigitte Herbold loben die Aktionen:
"Es ist schon eine andere Bewegung hier im Dorf, durch diese Studenten. Im Moment haben sie es schon aufgemischt hier. Sind auch sehr angenehm, nicht so, dass man sagt: furchtbar! Also es ist ganz gut."
An einem Dorfbrunnen ist ein öffentliches Badezimmer entstanden, mit Dusche, Waschbecken und Badewanne mit freiem Blick auf die Dorfstraße, auf der die Künstler in einer Nacht- und Nebelaktion einen Zebrastreifen angebracht haben. Eine Aktion, die bei den Anwohnern der Durchgangsstraße besonders gut ankam:
"Was 'ne Super-Idee, weil das sinnvoll wäre. Aber das durfte natürlich nicht sein, da gab es gleich Probleme mit der Straßenverkehrsordnung – am Montag. Am Sonntag haben sie es gemacht, am Montag mussten sie es schon wieder abschrubben. Weil das darf man halt nicht so. Aber es wäre super."
Veronika Platz: "Jetzt sind wir am Dorf-Labor, das ist auch ein leer stehendes Fachwerkhaus, was wir uns eben angeeignet haben, um hier mit Kindern Projekte zu machen."
Veronika Platz steht kurz vor ihrem Abschluss als Master-Studentin der Raum- und Designstrategien an der Kunstuni Linz. Seit zweieinhalb Wochen arbeitet sie jetzt schon in Gottsbüren. Sie sei schon gefragt worden, ob sie nicht für immer bleiben wolle, erzählt die Österreicherin. Das wird Veronika Platz nicht tun, obwohl sie ein Fachwerkhaus schon für 25.000 Euro erwerben könnte und die künstlerischen Arbeitsbedingungen in Gottsbüren durchaus schätzen gelernt hat:
"Was hier so schön ist, abgesehen davon, dass es hier so wenig kostet, wenn man davon konkret redet, einfach auch die Freiheit und den Raum, Sachen konkret umzusetzen. In einer Stadt wie Linz, wo ich eigentlich meine Sachen mache, funktionieren die Sachen ganz anders. Hier hast du wirklich den Freiraum, alles zu tun und das ist wirklich eine große Qualität, die man aufzeigen muss."
Gottsbüren als Documenta-Außenprojekt?
Der Maler Paul Kitzmüller hat sich vorgenommen, in knapp zwei Wochen Aquarell-Porträts aller Einwohner von Gottsbüren zu fertigen. Als Atelier hat er kurzerhand ein leer stehendes Ladenlokal in der Ortsmitte bezogen, die ersten Werke hängen bereits im Schaufenster. Anders als Mit-Studentin Veronika Platz kann sich Paul Kitzmüller durchaus vorstellen, ganz hierzubleiben, und erzählt das dem jungen Bürgermeister Kai Georg Bachmann, als dieser vorbeikommt:
"Ich habe auch schon überlegt, ob ich mir da ein kleines Häuschen kaufe und vielleicht auch länger bleibe."
Bürgermeister: "Ja, wir haben da ein breites Spektrum im Angebot."
Kitzmüller: "Da kann man vielleicht mal was machen."
Bürgermeister: "Da kann man sicher mal drüber reden. Schon wenn man einen Arbeitsplatz für einen Künstler schafft, dann kriegen wir auch Fördermittel."
Man müsste sich mal zusammensetzen, sagt der Bürgermeister. Zusammensetzen will er sich demnächst auch mit den Machern der "Documenta 2017" im nur eine halbe Autostunde entfernten Kassel. Bachmann will ausloten, ob es ein Documenta-Außenprojekt in Gottsbüren geben kann. Eine Idee, die Veronika Platz großartig findet. Sie möchte überdies im Dorf ein "Artists in Residence"-Projekt zum Thema "Landflucht" initiieren, mit Stipendien, die vom Land Hessen finanziert werden:
"Ich glaube einfach auch, dass die Kunst ein Werkzeug sein kann, auch Sachen umzukrempeln und anzupacken und konkret werden zu lassen. Im Umkreis von Kassel gibt es ja rund 400 Dörfer, die das betrifft. Wo die Menschen einfach wegziehen und wo man sich fragt, was passiert in 30 Jahren, wie schaut dieses Dorf aus und ich glaube, dass das ein heißes Thema wäre auch für die Documenta."