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Kunst als Bedrohung

In Kassel hat die katholische Gemeinde Sankt Elisabeth ihren Kirchturm für eine Installation des Künstlers Stephan Balkenhol zur Verfügung gestellt. Der documenta-Leitung fühlt sich von der Plastik bedroht und will, dass diese entfernt wird. Ein ziemlich eigen- und einzigartiges Verlangen, meint Burkhard Müller-Ullrich.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Das Verhältnis zwischen Kunst und Kirche hat sich in den letzten paar Jahrhunderten eindeutig verschlechtert. Das liegt wohl vor allem daran, dass es früher so ein enges war: die Kirche war Gegenstand und Auftraggeberin der Kunst; es gab gar keine anderen als religiöse Werke. Erst nach und nach wagten sich Maler, Bildhauer und Tonsetzer ins Freie vor, blieben aber dabei der Ecclesia oft negativ verhaftet. Bis heute arbeiten sich Künstler mit blasphemischen Schöpfungen am Christentum ab; es gibt unzählige Museumsausstellungen, die bischöflichen Zorn erregten, Ausstellungen, die auch provokativ nahe bei Gotteshäusern abgehalten wurden. Natürlich nützten die Proteste von Seiten der Kirchenverantwortlichen gar nichts; die Kunstfreiheit verlangt, dass jeder Gläubige ein in Urin getunktes Kruzifix oder die Darstellung eines von einem Meteor erschlagenen Papstes tolerieren muss.

    Die Kunst ist nämlich unterdessen zur neuen Religion geworden. Künstler werden wie Heilige verehrt, ihr Schaffen verweist auf einen letzten Rest Mystik in unserer durchrationalisierten Welt, der Umgang damit ist von liturgischer Andacht und Ehrfurcht geprägt, wie man sie aus Klöstern und Kathedralen kennt. Ja, die heutige Kunst erhebt nicht selten den Anspruch einer gewissen Göttlichkeit – selten allerdings so explizit wie jetzt in Kassel.

    Die documenta, die sich als Hochamt der internationalen Kunstszene versteht, nimmt Anstoß an einer gleichzeitig stattfindenden Ausstellung des international berühmten Plastikers Stephan Balkenhol. Die künstlerische Leiterin der documenta 13 fühlt sich von einem der Werke Balkenhols sogar bedroht. Denn dieses Werk droht hoch droben von einem Kirchturm in der Nähe des documenta-Eingangs herab. Es ist, wie meist bei Balkenhol eine menschliche Figur, und dem Menschen, lässt die documenta-Chefin wissen, möchte sie in ihrer Ausstellung nun gerade keinen wesentlichen Platz einräumen.

    Nun fordert sie in lustiger Verkehrung des traditionellen Empörungsgefälles, dass Balkenhols Kirchenkunst entfernt werde – ein ziemlich eigen- und einzigartiges Verlangen einer Kunstkuratorin. Die Parole ‚Weg mit der Kunst‘ hat ja in Kassel, wo Balkenhol übrigens aufwuchs, Tradition; dort wurde sogar mal jemand zum Bürgermeister gewählt, weil er versprochen hatte, ein allgemein missfallendes Kunstobjekt rechtswidrig abzureißen, nämlich die vor zwanzig Jahren von dem Landschaftsarchitekten Gustav Lange errichtete Holztreppe auf dem Königsplatz, im Volksmund "Elefantenklo" genannt.

    Allerdings wurde dieses gerade dadurch weltbekannt. Denn generell gilt in der Kunst die negative Dialektik, die bewirkt, dass Abwesendes interessanter ist als Vorhandenes. Gestohlene, vermisste und verschwundene Kunst hat etwa in den Medien einen viel höheren Stellenwert als alles Vorzeigbare. Und wer als Documenta-Chefin unter Beachtungsmangel leidet, kann sich als Kunstbeseitigerin ungleich stärker profilieren.

    Aber warum beschränkt sie sich auf die Stadt Kassel? Strahlt die documenta nicht weit über das Stadtgebiet hinaus und wird nicht die documenta deshalb auch von Kunstwerken, die aus dem übrigen Hessenland hineinstrahlen, bedroht? Droht solche Beeinträchtigung nicht sogar aus dem Ausland, weil doch die documenta international ist? Müsste nicht, um endlich zum wesentlichen Punkt zu kommen, jegliche künstlerische Aktivität auf Erden, die nicht von der documenta-Chefin lizensiert wurde, für die Dauer der documenta unterbleiben? Dass diese Forderung auf der gestrigen Pressekonferenz nicht erhoben wurde, spricht für die enorme Bescheidenheit, Verständigungsbereitschaft und Demut des documenta-Geschäftsführers Bernd Leifeld und der künstlerischen Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev.