Archiv


Kunst als Hygiene der Welt

Im Salon Bruckmann trafen sich am Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst Verfechter der Moderne - sie sahen sich als Weltbürger. Immer stärker jedoch fanden Rassetheoretiker Gehör. Bis dann am 1924 der geistige Umschwung manifest wurde: Adolf Hitler besuchte den Salon in München.

Von Katrin Hillgruber |
    Als "eine Art fürstliche Kaufmannsresidenz" erschien dem Historiker Karl Alexander von Müller das Prinz-Georg-Palais am Münchner Karolinenplatz 5, in dem heute der Bayerische Sparkassen- und Giroverband residiert. Doch in den instabilen Jahren zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg ging hinter der vornehmen Fassade eine ungute geistige Saat auf - zwischen Gobelins und Plüschsesseln aus der Werkstatt von Paul Ludwig Troost. Der gefragte Architekt und Designer hatte das Interieur mehrerer Überseedampfer der Schiffsgesellschaft Lloyd gestaltet. Von Hitler persönlich wurde er mit zwei Großprojekten betraut: dem sogenannten Führerbau und einem Verwaltungsbau am Münchner Königsplatz. Wo hatten sich der Stararchitekt und der gescheiterte Kunstmaler kennengelernt? Im Salon Bruckmann.

    "Der Salon Bruckmann ist ein Skandalon", sagt Wolfgang Martynkewicz. Minutiös und anekdotenreich beschreibt er in seinem Buch "Salon Deutschland. Geist und Macht 1900-1945", wie aus dem geschwungenen Jugendstil-Ornament ein Hakenkreuz wurde. Wie kam der in Bamberg lehrende Literaturwissenschaftler auf das Thema?

    "Ich bin vor einigen Jahren auf die Geschichte des Salons Bruckmann gestoßen. Der Salon, von dem ich gehört habe, hatte eine heterogene Zusammensetzung zu Anfang: Literaten, Musiker, Künstler, und dann natürlich – so habe ich es zu Anfang gesehen – der große Einbruch in den 20er-Jahren, das Auftreten Hitlers in dem Salon. Und diese Mischung, die fand ich von Anfang an natürlich faszinierend. Und insoweit habe ich dann recherchiert, auch hier in München recherchiert vor einiger Zeit, die Briefe Hofmannsthals gelesen, Wolfskehls gelesen und so weiter, und dann wurde das Thema interessanter und interessanter."

    Ab Januar 1899 luden die Bruckmanns Geistesgrößen wie Rudolf Alexander Schröder, Harry Graf Kessler und Thomas Mann, aber auch ihren Hausautor Houston Stewart Chamberlain zum Jour fixe ein, damals noch in das Verlagshaus Bruckmann im Stadtteil Nymphenburg. Der belgische Jugendstilarchitekt Henry van de Velde hatte es entworfen. Der deutsche Kaiser verachtete van de Veldes Wellenlinien: Er fürchte, davon seekrank zu werden, sagte Wilhelm II. auf 1902 auf der Düsseldorfer Industrieausstellung. Standhaft weigerte er sich, einen von van de Velde gestalteten Saal zu betreten.

    Im Winter 1908/09 zogen Elsa und Hugo Bruckmann in den Schatten des schwarzen Obelisken am Karolinenplatz um. Die Reform- und Freiheitsbewegungen der Moderne zeigten erste Müdigkeitserscheinungen, wie Martynkewicz anhand von Einzelporträts illustriert. Die Stammgäste des Salons Bruckmann wie Rainer Maria Rilke sehnten sich nach Einfachheit und Natürlichkeit, aber auch nach einer charismatischen Führungsfigur, einem "heimlichen Kaiser". Stefan George warnte seine Jünger vor dem Salon, in dem er selbst verkehrte: Er wolle nicht, schrieb der Dichterfürst, "dass seine Nächsten einen Winter lang herumgereicht werden und dann wie eine ausgepresste Zitrone fortgeworfen werden".

    Um 1900 hatten sich die meisten Gäste noch als Verfechter der Moderne, als Lebensreformer und Kulturerneuerer begriffen. Sie sahen sich als Weltbürger, als Protagonisten eines Ideenlaboratoriums. Immer stärker jedoch wurde über das Deutsche in der Kunst reflektiert. Biologische und kulturelle Diskurse vermischten sich. Runenkunde wurde betrieben, Rassetheoretiker wie der glühende Pangermane Chamberlain und der Physiognom Rudolf Krasser fanden zunehmend Gehör. Selbst der jüdische Dichter Karl Wolfskehl betrachtete den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Geburtshelfer für ein neues Deutschland und die Mobilmachung als Katharsis. Wolfgang Martynkewicz:

    "Es gab ganz früh so Einheitsträume und auch diese Versuche, festen Boden und Zusammenhang zu gewinnen und im Prinzip wieder einen Rahmen zu gewinnen, an dem man sich orientieren kann. Und so wurde dann Kunst als etwas aufgefasst, was ein ganz weites Spektrum einnehmen sollte, nämlich Kunst als etwas, was das Leben zusammenhalten soll, im Grunde genommen – Elsa Bruckmann sagt es an einer Stelle: die Hygiene der Welt. Kunst soll sozusagen reinigend wirken, Kunst soll stilbildend wirken. Und es war nicht Kunst im Sinne einer abgegrenzten Ästhetik, sondern im Sinne eines gesellschaftlichen Entwurfs. Und das ist das Spannende an dieser Geschichte, das dann weiter betrieben wird."

    Am 23. Dezember 1924 wurde der geistige Umschwung manifest: Adolf Hitler besuchte den Salon. Für die großbürgerliche, hochgebildete und bis dahin geschmackssichere Salonnière Elsa Bruckmann erfüllte sich damit ein Traum. Zuvor hatte die ehemalige Schauspielerin aus dem byzantinischen Fürstengeschlecht Cantacuzène und Muse des jungen Hugo von Hofmannstahl Hitler im Landsberger Gefängnis besucht, wo er wegen Hochverrats einsaß. Wie so viele Frauen ihrer Zeit schien sie von seiner Ausstrahlung ergriffen, selbst wenn der Demagoge kurze Trachtenhosen und ein "gelbes Leinenjöpperl" trug, wie sie notierte. Wie erklärt sich der Autor diese Faszination? War Elsa Bruckmann beispielsweise antisemitisch gesonnen?

    "Nein, so würde ich sie nicht sehen. Ich würde eher sagen, sie war von Anfang an interessiert an Leuten, die Ideen hatten, die was Neues verkörperten. Sie war fasziniert ganz früh von Hofmannsthal, als Hofmannsthal mit 19 Jahren seine ersten Werke veröffentlicht hat und er als junges Genie galt in Wien. Sie war fasziniert von jemand wie Chamberlain, der dieses große Werk "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" geschrieben hat. Sie war fasziniert von Rilke. Sie war von Leuten fasziniert, die auftreten konnten, die Ideen hatten und die Charisma hatten. Und Hitler hatte – für sie jedenfalls – Charisma. Und sie hat ihn von Anfang an als jemand gesehen, der in ihr sonstiges Raster nicht passte. Denn was sie ansonsten gesehen hat, waren Leute, die kultiviert waren, die entsprechend gebildet waren. Und Hitler verkörperte einen ganz anderen Typus, der quasi herausfiel aus diesem Raster, und der ihr jedenfalls – man kann das heute gar nicht mehr nachvollziehen – als authentisch erschien. Und sie haben ja immer wieder damit gespielt: Wenn diese Gesellschaft oder wenn diese Kultur verändert werden kann und wenn diese Kultur jetzt sich neu entwickeln kann und gerettet werden kann, dann nur durch jemand, der von außen kommt. Und das war so jemand wie Hitler, der nicht aus dem gebildeten Bürgertum kam."

    Elsa und ihr Mann Hugo, ein glühender Mussolini-Verehrer, erhielten die niedrigen NSDAP-Mitgliedsnummern 91 und 92, was als besondere Ehre galt. Der Salon bestand bis zum Tod des Verlegers im Jahre 1941. Während Elsa, die 1946 starb, von ihrer Gesinnung bis zuletzt nicht abrückte, verhielt sich Hugo Bruckmann vorsichtiger. So weigerte er sich, Hitlers "Mein Kampf" in sein auf Kunstbücher spezialisiertes Verlagsprogramm aufzunehmen.

    Das Ehepaar Bruckmann war es auch, das Adolf Hitler zum Erwerb seiner Parteizentrale verhalf, dem "Braunen Haus" ganz in der Nähe des Karolinenplatzes. Bruckmanns persönlicher Assistent war Hans Prinzhorn, der Sammler von Kunstwerken angeblicher Geisteskranker, die fast alle der Euthanasie zum Opfer fielen. Prinzhorn diente sich den Nationalsozialisten als sogenannter seelenkundlicher Führer an.

    Es ist die Fülle atemberaubender Monstrositäten und Querverbindungen, die "Salon Deutschland" zu einer erhellenden Lektüre machen, zu einem Lehrstück über die Verführbarkeit der Intellektuellen. Unbeabsichtigt hat Wolfgang Martynkewicz auch die ideale Ouvertüre für das NS-Dokumentationszentrum "Braunes Haus" geschaffen. Es soll am Ort des Geschehens entstehen.

    Wolfgang Martynkewicz: "Salon Deutschland. Geist und Macht 1900-1945".
    Aufbau Verlag, Berlin 2009. 617 Seiten mit 29 Abbildungen, 26,95 Euro.