Auf die Frage, ob er lieber Politiker oder Dramatiker sei, antwortet Vaclav Havel eindeutig:
"Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich ein Politiker bin. Es ist zwar richtig, dass ich politisch tätig war, es ist wichtig, dass ich mich damit befassen musste. Es ist auch richtig, dass ich mich eine bestimmte Zeit damit beschäftigt habe, aber wenn ich wählen sollte, würde ich eher sagen, dass ich ein Schriftsteller bin."
Im Mittelpunkt von Havels neuem Schauspiel "Abgang" steht Dr. Wilhelm Rieger; eben ist er als Kanzler abgewählt worden. Sieghart Klein dürfte sein Nachfolger werden. Rieger hat sich an die bequeme Dienstvilla gewöhnt, die ihm als Kanzler zustand, er würde gern darin wohnen bleiben. Sein Nachfolger und Rivale Klein - nomen est omen - legt nahe, das könne er, wenn ... ja, wenn er mit seiner Opposition aufhöre und in der Öffentlichkeit den Anschein erwecke, Klein sei sein legitimer Nachfolger, der Erbe seiner humanistischen Politik. Ansonsten droht die Verschickung in ein abgelegenes Dorf. Rieger zögert, da entwirft Klein seinen Alternativplan. Er will die Villa kaufen und in ein Zentrum für das Volk umwandeln. Geschäfte sollen dorthin und für den Abend ein Erotikzentrum. Die Villa wird zum Bordell.
Das ist die zentrale Metapher des Stücks. Havel hat nichts von seinem Biss verloren. Er hatte noch nie Angst vor den Mächtigen. "Abgang" ist ein wunderbares Zeugnis seiner bewährten Zivilcourage. Havel meint nicht nur sein Heimatland, das Thema ist universell.
Wie seine früheren Gegner, die Kommunisten, nutzt er die Kunst als Waffe im politischen Kampf - eine Ironie der Literaturgeschichte. Aber er spielt auch mit den Formen: "Abgang" bezieht das Handlungsmuster und Zitate aus Shakespeares "König Lear" ein - als der Kanzler abgewählt wird, verliert er mit der Macht seine Anziehungskraft auf alle Opportunisten in seiner Umgebung - und die meisten erweisen sich als Opportunisten. Selbst seine Freundin verlässt ihn wie eine junge Bewunderin, die seine Biographie schreiben wollte. Wie Lear steht der Exkanzler allein, dem heulenden Sturm auf der Heide preisgegeben.
Die zweite Anspielung gilt Tschechow, dem "Kirschgarten". Am Ende kreischen Motorsägen, und man hört das Fallen der Bäume im Park. Die neue Zeit. Vielleicht wird ein Parkplatz angelegt für die zu erwartenden Kunden des Erotikzentrums.
Nicolai Sykosch wird in seiner Erstaufführungsinszenierung den vielfältigen Facetten des Stückes gerecht: Das Reale ist absurd, das Absurde real. Bühnenbildner Stephan Prattes hatte eine glänzende Idee: seine Szene dominiert eine überdimensionale herausgestreckte Zunge, ein riesiger Mund mit roten Lippen und schneeweißen Zähnen - die Rolling Stones lassen grüßen: "Leck mich!" Das ist der Gestus des Stücks wie der Erstaufführung.
Das Ensemble gibt sein bestes, Heinz Kloss spielt den Ex-Kanzler. Er skizziert einen netten, gar liebenswürdigen, den Genüssen geneigten älteren Herrn, aber er ist schwach, Versuchungen kann er nicht widerstehen, und der Ex-Kanzler ist ein ganz klein bisschen korrupt. Damit gibt er seinem noch viel korrupteren Nachfolger Gelegenheit, ihn zur Seite zu drängen. Die Mechanismen der Macht laufen überall ähnlich. Ein Grund zum Lachen? Wer genau hinhört, bemerkt eine leise didaktische Absicht Havels. Eigentlich könnte nur einer Abhilfe schaffen - der Bürger, die Wähler, der Souverän - für den das Publikum stellvertretend im Saal sitzt. Deshalb ist das Ende, wenn noch einmal der Dramatiker per Lautsprecher aus dem Off das Wort ergreift, sehr, sehr doppeldeutig:
"Ich danke den Schauspielern, dass sie nicht übertrieben haben. Das Theater dankt den Zuschauern, dass sie ihre Handys ausgeschaltet haben. Schalten Sie ihre Telefone ein, Gute Nacht und süße Träume"
Hinter dem Gutenachtwunsch verbirgt sich der Aufruf, der Verantwortung als Staatsbürger gerecht zu werden und Leute von der Macht fern zu halten, die sich den Staat zur Beute machen.
Die deutschsprachige Erstaufführung von Vaclav Havels neuem Schauspiel "Abgang" am Samstagabend auf Aachens städtischer Bühne in der Inszenierung von Nicolai Sykosch war hochpolitisch und eine Sternstunde des europäischen Theaters.
"Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich ein Politiker bin. Es ist zwar richtig, dass ich politisch tätig war, es ist wichtig, dass ich mich damit befassen musste. Es ist auch richtig, dass ich mich eine bestimmte Zeit damit beschäftigt habe, aber wenn ich wählen sollte, würde ich eher sagen, dass ich ein Schriftsteller bin."
Im Mittelpunkt von Havels neuem Schauspiel "Abgang" steht Dr. Wilhelm Rieger; eben ist er als Kanzler abgewählt worden. Sieghart Klein dürfte sein Nachfolger werden. Rieger hat sich an die bequeme Dienstvilla gewöhnt, die ihm als Kanzler zustand, er würde gern darin wohnen bleiben. Sein Nachfolger und Rivale Klein - nomen est omen - legt nahe, das könne er, wenn ... ja, wenn er mit seiner Opposition aufhöre und in der Öffentlichkeit den Anschein erwecke, Klein sei sein legitimer Nachfolger, der Erbe seiner humanistischen Politik. Ansonsten droht die Verschickung in ein abgelegenes Dorf. Rieger zögert, da entwirft Klein seinen Alternativplan. Er will die Villa kaufen und in ein Zentrum für das Volk umwandeln. Geschäfte sollen dorthin und für den Abend ein Erotikzentrum. Die Villa wird zum Bordell.
Das ist die zentrale Metapher des Stücks. Havel hat nichts von seinem Biss verloren. Er hatte noch nie Angst vor den Mächtigen. "Abgang" ist ein wunderbares Zeugnis seiner bewährten Zivilcourage. Havel meint nicht nur sein Heimatland, das Thema ist universell.
Wie seine früheren Gegner, die Kommunisten, nutzt er die Kunst als Waffe im politischen Kampf - eine Ironie der Literaturgeschichte. Aber er spielt auch mit den Formen: "Abgang" bezieht das Handlungsmuster und Zitate aus Shakespeares "König Lear" ein - als der Kanzler abgewählt wird, verliert er mit der Macht seine Anziehungskraft auf alle Opportunisten in seiner Umgebung - und die meisten erweisen sich als Opportunisten. Selbst seine Freundin verlässt ihn wie eine junge Bewunderin, die seine Biographie schreiben wollte. Wie Lear steht der Exkanzler allein, dem heulenden Sturm auf der Heide preisgegeben.
Die zweite Anspielung gilt Tschechow, dem "Kirschgarten". Am Ende kreischen Motorsägen, und man hört das Fallen der Bäume im Park. Die neue Zeit. Vielleicht wird ein Parkplatz angelegt für die zu erwartenden Kunden des Erotikzentrums.
Nicolai Sykosch wird in seiner Erstaufführungsinszenierung den vielfältigen Facetten des Stückes gerecht: Das Reale ist absurd, das Absurde real. Bühnenbildner Stephan Prattes hatte eine glänzende Idee: seine Szene dominiert eine überdimensionale herausgestreckte Zunge, ein riesiger Mund mit roten Lippen und schneeweißen Zähnen - die Rolling Stones lassen grüßen: "Leck mich!" Das ist der Gestus des Stücks wie der Erstaufführung.
Das Ensemble gibt sein bestes, Heinz Kloss spielt den Ex-Kanzler. Er skizziert einen netten, gar liebenswürdigen, den Genüssen geneigten älteren Herrn, aber er ist schwach, Versuchungen kann er nicht widerstehen, und der Ex-Kanzler ist ein ganz klein bisschen korrupt. Damit gibt er seinem noch viel korrupteren Nachfolger Gelegenheit, ihn zur Seite zu drängen. Die Mechanismen der Macht laufen überall ähnlich. Ein Grund zum Lachen? Wer genau hinhört, bemerkt eine leise didaktische Absicht Havels. Eigentlich könnte nur einer Abhilfe schaffen - der Bürger, die Wähler, der Souverän - für den das Publikum stellvertretend im Saal sitzt. Deshalb ist das Ende, wenn noch einmal der Dramatiker per Lautsprecher aus dem Off das Wort ergreift, sehr, sehr doppeldeutig:
"Ich danke den Schauspielern, dass sie nicht übertrieben haben. Das Theater dankt den Zuschauern, dass sie ihre Handys ausgeschaltet haben. Schalten Sie ihre Telefone ein, Gute Nacht und süße Träume"
Hinter dem Gutenachtwunsch verbirgt sich der Aufruf, der Verantwortung als Staatsbürger gerecht zu werden und Leute von der Macht fern zu halten, die sich den Staat zur Beute machen.
Die deutschsprachige Erstaufführung von Vaclav Havels neuem Schauspiel "Abgang" am Samstagabend auf Aachens städtischer Bühne in der Inszenierung von Nicolai Sykosch war hochpolitisch und eine Sternstunde des europäischen Theaters.