Karin Fischer: Die Restitution von Kunstwerken aus der Kolonialzeit ist in diesem Tagen ein hochaktuelles Thema. Die Kunsthistorikerin Bénédict Savoy hatte die Debatte in Deutschland und für das Humboldt-Forum angestoßen, als sie mit Aplomb aus dem Stiftungsbeirat austrat und eine Forderung formulierte: "Ich will wissen, wieviel Blut von einem Kunstwerk tropft." Der französische Präsident Emanuel Macron wiederum hat Anfang des Jahres eine erstaunliche Rede vor afrikanischen Studentinnen und Studenten gehalten, die ein Versprechen enthielt, dass nämlich innerhalb der nächsten fünf Jahre das afrikanische koloniale Erbe zeitweilig oder vollständig an Afrika zurückgegeben wird. Den Masterplan dafür sollten Bénédicte Savoy und der senegalische Wirtschaftsprofessor und Autor Felwine Sarr erarbeiten, am Freitag wird er vorgestellt, heute sind Einzelheiten daraus bekannt geworden, Lorenz Rollhäuser fasst uns die wichtigsten Ergebnisse zusammen:
Lorenz Rollhäuser: Bénédict Savoy und Felwine Sarr haben erst mal eine genaue Auflistung dessen gemacht, was in französischen Museen überhaupt zu sehen ist und zu finden ist, und zwar nicht nur in den Ausstellungen, sondern auch in den Depots, und haben festgestellt, dass insgesamt etwa 90.000 Werke aus dem Afrika südlich der Sahara in öffentlichen Museen Frankreichs lagern oder gezeigt werden, zirka 70.000 davon alleine im Musée du quai Branly in Paris. Die Herkunft dieser Werke ist sehr genau dokumentiert und von daher konnten sie auch feststellen, dass gut 46.000 davon zwischen 1885 und 1960, also während der Kolonialzeit in die Museen gelangten, so dass man von einer strukturellen Asymmetrie sprechen kann, die diesen Aneignungen oder Käufen oder Rauben zugrunde liegt.
Es geht immer um Beziehungen
Fischer: Das ist jetzt die Vorgeschichte. Wie lauten ihre Pläne?
Rollhäuser: Die Vorschläge lauten als erstes, dass man eine Liste all dieser Dinge anfertigt und die den jeweiligen Ländern zur Verfügung stellt und sagt, dies haben wir und wir sind bereit, es zurückzugeben, wenn ihr es wollt. Das finde ich sehr interessant vor dem Hintergrund des Begriffs der Restitution, der Rückgabe. Ich würde das gern mal ganz kurz zitieren. Da sagen die in ihrem Bericht: "Dieser Begriff der Restitution erinnert daran, dass die Aneignung und die Nutzung des Werks, das man zurückgibt, auf einer moralisch zu verurteilenden Tat beruht, zum Beispiel Raub, Plünderung, erzwungenes Einverständnis und so weiter. Offen von Rückgaben zu sprechen bedeutet, von Gerechtigkeit, von der Wiederherstellung eines Gleichgewichts, von Anerkennung, von Reparation zu sprechen, vor allem aber einen Weg zu eröffnen in Richtung neuer kultureller Beziehungen, die auf einer neu gedachten oder überdachten Ethik der Beziehungen ruht."
Das, glaube ich, ist ein ganz zentraler Satz. Das heißt, es geht beim Umgang mit all diesen Werken immer auch um Beziehungen zu Ländern, zu Völkern, und das muss man mit bedenken, dass es nicht nur um Dinge geht, weil diese Werke oft auch in diesen Kulturen gar nicht nur Dinge sind.
Fischer: Damit wäre zum ersten Mal eine Kommunikation auf Augenhöhe angefangen.
Rollhäuser: Genau darum geht es.
Fischer: Wie ernst ist aber der Vorschlag der Restitution genommen, der zeitweisen oder der vollständigen, und wird darüber konkret gesprochen?
Rollhäuser: Es wird gesagt, dass im Moment einer Restitution das französische Recht entgegensteht. Das heißt, man müsste erst mal das französische Recht ändern. Bis dahin muss man sehen, was kann man tun, kann man Dinge vielleicht erst mal dauerhaft verleihen. Aber sie sagen auch, das ist immer nur ein temporärer Zustand, weil es dazu kommen muss, dass, sobald diese Länder und Völker das möchten, diese Dinge zurückgegeben werden, und zwar dauerhaft, weil sie uns nicht gehören.
Mogelpackung namens "shared heritage"
Fischer: Deutschland und England verhalten sich ja extrem zurückhaltend, was die umfassende Rückgabe der kolonialen Schätze betrifft. Man will jetzt die afrikanische Perspektive einbeziehen, oder man arbeitet mit afrikanischen Ethnologen zusammen, um die Objekte in ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu definieren. Wie radikal ist in Ihren Augen dieses Papier, was jetzt vorliegt, und was können die Deutschen, das Humboldt-Forum zum Beispiel daraus lernen oder machen?
Rollhäuser: Na ja. Hier wurde ja in den letzten Jahren häufig von "shared heritage" und ähnlichen Begriffen gesprochen, und das war immer ein bisschen heikel, meiner Auffassung nach, weil nie über Eigentumsrechte gesprochen wurde. Wenn wir mal das Beispiel nehmen: In den letzten Wochen wurde ja bekannt, was die Werke aus Benin City angeht, dass man jetzt vorhat, dort ein Museum zu bauen, das auch finanziell zu unterstützen, und Objekte, die dort von den Engländern geplündert und dann weiterverkauft wurden, dort auszustellen als Leihgaben. Das halte ich für total problematisch. Das kann man vielleicht tun, weil die momentane rechtliche Situation auch in Deutschland etwas schwierig ist, aber ich bin mir sicher, wenn man wirklich den politischen und moralischen Willen hätte, dann könnte man auch wirklich Dinge zurückgeben. Und es ist ganz sicher, dass dieser Bericht von Felwine Sarr und Bénédict Savoy die deutsche Seite massiv unter Druck setzen wird. Die Museumsleute haben schon die ganze Zeit wie die Karnickel auf die Schlange geschaut, in dem Wissen, dass dieser Bericht kommt und womöglich eine ziemliche Bombe explodieren lassen wird.
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