"Wie können in der Kunst neue Technologien als Hilfsmittel benutzt werden?" lautete vor ein paar Jahren die Frage in einem Kurs der "Carnegie Mellon Universität" in Pittsburgh. Für die damalige Studentin Claire Hentschker war es der Beginn einer neuen Arbeitsweise.
Claire Hentschker: "Ich komme von der Ölmalerei, habe aber das Set-Up daran immer gehasst. Wenn man inspiriert ist, sollte man sofort loslegen können. Es ist total lästig, wenn man erst die Farben bereitstellen und danach alles wieder sauber machen muss."
Inspirationsquelle: GTA 5
Das Problem hat sie am Computer nicht. Die bildende Künstlerin begann mit 3D Visuals zu experimentieren und baute zum Beispiel eine virtuelle Landschaft der Drehorte von Stanley Kubricks Film "The Shining" nach. Die Sängerin Björk hat das so begeistert, dass sie Hentschker vor ein paar Jahren als ihre Inspiration nannte.
Hentschkers Inspirationsquelle hingegen: Das Videospiel "Grand Theft Auto" kurz GTA. Und die Online-Videos, in denen GTA-Fans ihre Avatare beim Spielen abfilmen und das Geschehen kommentieren, so genannte "Let`s Play Videos". Beim Betrachten davon entstand die Idee, Bilder zu erzeugen, die an das frühromantische Werk "Wanderer über dem Nebelmeer" des Malers Casper David Friedrich erinnern.
Claire Hentschker: "Es handelt sich dabei um die sogenannte "Rückenfigur", bei der man seine Perspektive auf den Charakter in dem Gemälde übertragen kann. Durch diesen Charakter soll man dann die Schönheit der Natur und der Landschaft erkennen. Ich hatte das Gefühl, dass es da eine Ähnlichkeit mit den Videospielen gab, da man sich selbst irgendwie auf den virtuellen Avatar überträgt. Aber anstatt der Schönheit der Natur, sieht man diese verrückte, vom Menschen erzeugte Welt."
Romantisch wie ein Autounfall in den Bergen
Ein beliebtes Motiv ist dabei das Autofahren. Viele Spieler versuchen auf den Straßen der Stadt Chaos zu erzeugen, indem sie Unfälle produzieren. Ein Beipiel des YouTubes-Konto mit dem Namen "Let´s Play" klingt so:
"Oh, missed it - This guy is so... - Ahhhh - Get him on the beach - Who the hell was that?"
Hentschker hat sich unzählige "Let´s Play Videos" angeschaut und sich auf verschiedene Orte in der virtuellen Landschaft von GTA 5 fokussiert, unter anderem eine Autofahrt auf dem Highway, ein Avatar vor dem Meer oder ein Autounfall in den Bergen. "All diese Leute sehen mit ihren virtuellen Charakteren denselben digitalen Sonnenuntergang. In den Kommentaren schreiben dann viele: "Das ist so wunderschön und tiefgründig." Ich fand das faszinierend und habe angefangen, die Videos als Medium zu benutzen."
Was "Image Averaging" bedeutet
"Die "Image Averaging" Technik schien perfekt dafür zu sein, weil es eine Darstellung von dem ist, was über einen Zeitraum am meisten auf dem Bildschirm zu sehen war."
"Image Averaging" beschreibt den Prozess, aus verschiedenen Bildern eine Art Durchschnitt zu bilden. Dazu betrachtet man einen Pixel, eine Farbe an einer bestimmten Stelle im Bild. Die vielen Bilder, beziehungsweise einzelnen Pixel, werden quasi übereinandergelegt, wodurch ein Mittelwert entsteht. Am Ende wird dieser Farb-Mittelwert der einzelnen Farbpixel wieder an den jeweiligen Stellen zu einem vollständigen Bild zusammengesetzt.
"Dadurch entstehen diese großartigen Bilder, weil man sehen kann, was auf dem Bildschirm oder eben in dem Bild am meisten verwendet wird. Alles was irgendwie nicht so präsent oder nur speziell auf einem Bild zu sehen ist, erscheint verschwommen."
Malerin am Computer
Hentschker hat einige ihrer Werke bereits ausgedruckt und ausgestellt. Wie viele andere moderne Künstler musste auch sie sich der Kritik stellen, dass es sich dabei nicht wirklich um Kunst handele. "Ich weiß nicht, ob ich mich als Malerin bezeichnen würde, aber vielleicht sollte ich das. Das würde mir schon gefallen. Auch am Computer habe ich eine Komposition, ein Thema und ähnliche Herausforderungen wie auf einer Leinwand, nämlich die Frage, wie man kleine Dinge verändern und dann eine Absicht dahinter erkennen kann. Das finde ich auch in digitalen Arbeiten spannend."
Die Verbindung von Mensch und Natur im Weichzeichner
Die Bilder von Claire Hentschker sind eine Weichzeichnung der digitalen Realität und Brutalität von "GTA". Die Entwickler des Spiels versuchen von Jahr zu Jahr, die virtuellen Landschaften realer erscheinen zu lassen, damit die Spieler sich als ein Teil der Geschichte fühlen können. Wer aber die Kunstwerke von Hentschker betrachtet, spürt diesen Effekt - die Verbindung von Mensch und Natur - wohl eher bei ihren leicht verschwommenen Bildern.
Claire Hentschker: "Die Videokultur ist so faszinierend, weil es diesen einen Internetstar gibt: Der fährt Auto und trifft Entscheidungen vor einem Publikum von mehreren Millionen Menschen, darunter vielen Kindern. Man feuert ih an, sieht ihn verlieren und gewinnen. Das macht Sinn, weil es der Ursprung von Geschichten ist: Man schaut dem Helden bei seinen Abenteuern zu."