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Biathlon
Die Kunst des Schießens

Unter Druck und nach Höchstbelastung zu schießen, ist ein hochkomplexes Unterfangen. Besonders wichtig ist dabei, den Herzschlag und die Atmung unter Kontrolle zu bringen. In der Praxis entscheiden meist Millisekunden, ob Athleten den richtigen Zeitpunkt für den Abschuss treffen.

Von Maximilian Rieger |
Biathletin Vanessa Voigt bei den Olympischen Spielen in Peking
Ausgerechnet die beste deutsche Schützin, Vanessa Voigt, hat heute ihre Schüsse nicht ins Ziel gebracht. (picture alliance/dpa/Hendrik Schmidt)
5 Schüsse. 50 Meter. 4,5 Zentimeter breite Ziele im Liegen. 11,5 Zentimeter im Stehen. Das Schießen im Biathlon. Eine Präzisionsaufgabe unter größter körperlicher und mentaler Belastung. Und trotzdem gibt es Schützinnen wie Dunja Zdouc, die eine Trefferquote von rund 90 Prozent haben.
 „Zunächst einmal muss ich glaube ich schon sagen, dass Talent auch dazu gehört“
Aber das reicht natürlich nicht. Für einen erfolgreichen Schuss muss Zdouc ihr Gewehr, ihren Kopf und ihren Körper beherrschen – das trainiert sie seit Jahren mehrmals in der Woche. Denn im Wettkampf muss vieles automatisch ablaufen. Und ein erfolgreicher Schuss beginnt schon beim Einlaufen in den Schießstand.
 „Sobald ich in den Schießstand reinlaufe, also quasi ab Stand 30, probiere ich mich aufs Schießen zu konzentrieren. Ab da probiere ich alle äußeren Faktoren auszublenden, schaue mir an, wie die Fähnchen auf dem Schießstand stehen, also was der Wind macht, wie das Licht steht.“

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Auch wichtig in dieser Phase: Den Herzschlag und die Atmung unter Kontrolle kriegen.
„Irrtümlicherweise wird gedacht, dass es wichtig ist beim Schießen, dass der Puls relativ niedrig ist, dass man quasi durch Training den Puls herunterdrückt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dem nicht so ist.“

Schuss sollte möglichst spät nach dem Herzschlag erfolgen

Das zeigen auch die Forschungsergebnisse von Thomas Finkenzeller. Der Sportwissenschaftler von der Uni Salzburg hat bei Biathletinnen mit einem EKG den Herzschlag beim Schießen gemessen.
 „Der Herzschlag an sich erzeugt eine große Durchrütttelung im Körper.“
Und diese Erschütterung wird stärker, wenn der Puls nach einer hohen Belastung zu niedrig wird – denn das Herz muss dann stärker schlagen, um genug Blut und damit Sauerstoff durch den Körper zu pumpen. Deswegen sollte der Puls nicht zu niedrig sein. Und dann ist es eine Frage des Timings: Der Schuss sollte möglichst spät nach dem Herzschlag erfolgen.
 „Es wird so vorgeschlagen, dass man eine Phase hat, in der man lange ausatmet und im Prinzip den Atem kurz anhält und dementsprechend ist man dann auch höchstwahrscheinlich in einer Phase, wo man zwischen den Herzschlägen drin liegt – in dieser Phase sollte man abdrücken.“
Diese Atemtechnik nutzen viele Athletinnen und Athleten, das lässt sich auch am Fernsehen beobachten – der Brustkorb senkt sich, dann verharrt die Athletin, drückt ab und beendet das Ausatmen. Klingt in der Theorie einfach. In der Praxis entscheiden Millisekunden, ob eine Athletin den richtigen Zeitpunkt trifft. Und gleichzeitig muss sie in diesem Moment das Ziel im Auge haben – ohne Hilfe von einem Zielfernrohr, nur ein Diopter ist erlaubt. Dunja Zdouc blickt also durch eine kleine Öffnung, dadurch wird ihr Blick wie durch eine Weitsicht-Brille geschärft. Und dann geht es darum, die schwarze Zielscheibe vor dem weißen Hintergrund zu zentrieren.
„Wenn man auf die Scheibe zielt und das Weiß ist auf der rechten Seite mehr wie auf der linken Seite, dann darfst du nicht abdrücken, denn dann wird dir ein Fehler passieren. Weil das Kontrollweiß nicht gleichmäßig ist und somit die Scheibe nicht in der Mitte ist.“

Augenaktivität wird wissenschaftlich untersucht

Dieser Blick und die Augenaktivität wird auch im deutschen Team wissenschaftlich untersucht, erzählt Vanessa Voigt. Wissenschaftler hätten mit einer Kamera das Verhalten des Auges beim Schießen analysiert.
„Und es war natürlich sehr witzig zu sehen, dass wirklich gute Schützen wie Erik Lesser zwischen den Schüssen überhaupt gar nicht blinzeln, auch während des Repetierens passiert da überhaupt nichts beim Auge.“
Nur bei einem Fehler, da würde Lesser blinzeln. Automatisch. Auch Voigt fällt in ihrer ersten vollen Weltcup-Saison mit guten Schießergebnissen auf. Das liegt auch an ihrer mentalen Vorbereitung.
 „Wenn ich dann meine Matte sozusagen sehe, dann habe ich halt ein Wort im Kopf, was ich über Jahre immer ein bisschen visualisiert habe. Das dauert natürlich auch eine Weile.“
Inzwischen passiert das aber automatisch. Und der Fokus auf dieses eine Wort sorgt dafür, dass sich Voigt nicht auf einzelne Aspekte des Schusses zu sehr konzentriert.
„Weil, wenn ich nur ans Zielen denke, dann ist bei mir das Zielen vielleicht richtig gut, aber der Abzug kommt nicht. Und wenn ich nur an den Abzug denke, dann ist vielleicht ein bisschen das Zielen vernachlässigt. Und bei mir ist es so: Ich bin tatsächlich durch dieses Wort so im Flow, dass ich meistens gar nicht sagen kann, was ich während des Schießens gedacht habe. Allerdings ist es dann so, wenn natürlich dann Windsituationen kommen wie zum Beispiel in Östersund, wo es brutal windig ist, dann komme ich gerne mal raus.“

Bei guten Schützen: höhere Aktivitäten im vorderen Bereichs des Gehirns

Genau das ist ihr womöglich auch bei der Mixed-Staffel in Peking passiert, als böiger Wind über den Schießstand gezogen ist und Voigt zweimal in die Strafrunde musste. Aber dass Voigt an guten Tagen beim Schießen im Flow ist, lässt sich auch wissenschaftlich erklären.
„Wir haben auch weitere Analysen der Gehirnaktivität gemacht und dort hat sich herausgestellt, dass Experten - im Vergleich zu weniger guten Schützen – höhere Aktivitäten im vorderen Bereichs des Gehirns aufweisen, in einem ganz bestimmten Rhythmus, dem Theta-Rhythmus. Und der ist ein Indikator für hohe, fokussierte Aufmerksamkeit.“
Erklärt Sportwissenschaftler Finkenzeller. Seine Analysen zeigen außerdem: Wenn die körperliche Belastung sehr hoch ist, weisen die motorischen Areale im Gehirn eine höhere Aktivität auf, also die Areale, die für das Zielen und das Abdrücken besonders verantwortlich sind. Finkenzellers Theorie: Diese erhöhte Gehirnaktivität gleicht die Nachteile aus, die durch die hohe körperliche Belastung entstehen. Das würde auch erklären, warum gute Biathletinnen und Biathleten unter Belastung genauso gut schießen wie im Ruhezustand.