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Kunst im Krematorium

Ob gekauft oder erbgepachtet: Berliner Galeristen zieht es mit ihren Künstlern in Kirchen, Krematorien und weitere, eigentlich einem anderen Zweck gewidmete Gebäude jenseits der Epizentren der Kunstszene. Die Aussteller wollen sich damit gegen den Trend an einen Standort binden.

Von Andreas Main |
    Krematorium - dieses Wort vermeidet Patrick Ebensperger. Wir reden mehr als eine Stunde, aber es fällt nur zwei-, dreimal: das böse Wort mit K. Krematorium:

    "Ich will überhaupt nichts kaschieren. Es hatte den Verwendungszweck. Und ich will es auch nicht hochstilisieren. Ich möchte das nicht als Marketingmaßnahme haben, was es wohl automatisch ist. Da kann ich auch keinen großen Einfluss drauf nehmen. Aber dann muss ich es nicht noch auf einen Podest heben."

    Galerist Patrick Ebensperger vor sieben Wochen. Da war gerade der Boden gegossen - im ehemaligen Krematorium in Berlin-Wedding. Die Wände der Trauerhalle, früher ganz in Gelb und Braun gehalten, leuchten jetzt weiß. Der Raum mit seiner parabelförmigen Decke, bis zu neun Meter hoch, hat was Sakrales. Das Krematorium stand lange leer.

    "Die erste Maßnahme war, mit verschiedensten Künstlern herzugehen. Du brauchst einfach einen ganz tollen Skulpturenmacher, Du brauchst einen ganz tollen Videokünstler, Du brauchst einen super Maler. Du brauchst die verschiedenen Medien. Und das ist mir hundertmal lieber als jeder Architekt."

    Kosten niedrig halten und nichts unwiderruflich verändern - so die Maxime. Wir stehen in einem Denkmal - und in einem Stadtteil, der als einer der raueren in Berlin gilt.

    "Und ich muss ganz ehrlich gestehen, es wäre mir ganz egal gewesen, wo dieses Gebäude steht. Ich hätte es mir, das muss ich auch ganz offen sagen, in einer anderen Gegend schlichtweg nicht leisten können, ja."

    Rund sieben Kilometer weiter südlich. In einer toten Ecke von Kreuzberg. Nachkriegsmoderne. Wohnblocks. Mittendrin eine 60er-Jahre-Kirche. St. Agnes ist ebenfalls ein Denkmal. Wie eine graue Festung wirkt dieser Beton-Bau. Eine Festung, die die katholische Kirche nicht halten konnte. Das Erzbistum jubilierte, als klar wurde: In diesen minimalistischen Kirchenraum zieht Kunst ein.

    "Wir stehen ja in einem Raum, der hat Höhen zwischen 12 und 15 Metern. Das ist ein wahnsinnig vertikaler Raum. Und durch diese Staffelung, dass der Altarraum noch höher ist, gibt es, wenn man so will, eine bestimmte Energierichtung, die natürlich nach oben, in Richtung Gott, führt, einmal sozusagen durch den ganzen Raum durch."

    Gregor Hose, Mitarbeiter der Galerie Johann König. Erste Ausstellungen hat es bereits gegeben, Ende September sind Werke von Jeppe Hein zu sehen, und 2014 soll richtig eröffnet werden.

    "Wir werden diese Kirche umbauen müssen. Sonst könnten wir sie gar nicht als Galerie nutzen."

    Architekt Arno Brandlhuber wird in diesen kühlen Raum einen riesigen Betontisch setzen, den man auch wieder zurückbauen kann. Nichts soll diesen Kirchenraum in seiner Substanz zerstören. Der Tisch wird auf der Orgel-Empore als neues Geschoss aufliegen. Besucher werden über die Tischplatte laufen und Kunst gucken.

    "Also, dadurch, dass das ganze mehr in die Horizontale geholt wird, ich würde auch von einer Säkularisierung im Grunde genommen sprechen. Also, wir kommen der Kunst durch diesen Eingriff einen bestimmten Schritt entgegen, ohne die Architektur in ihrem Originalkonzept völlig zu zerhauen."

    800 Quadratmeter Ausstellungsfläche: Johann König hat St. Agnes erworben - und zwar in Erbpacht für 99 Jahre. Eine Investition - fast für die Ewigkeit. Geschätzte Sanierungskosten: drei Millionen Euro.

    Zurück ins Krematorium. Galerist Patrick Ebensperger entspannt sich langsam. Das Schlimmste ist geschafft. In drei Wochen ist Eröffnung. Thomas Rentmeister, einer von 14 Künstlern, die an der ersten Ausstellung beteiligt sind, baut gerade auf.

    "Als ich das erste Mal hier war, habe ich gemerkt, dass ich die Türklinken nur mit zwei Fingern anfasste. Aber dann gewöhnte man sich ganz schnell."

    Die Krematoriums-Patina jedenfalls sei weg, sagt Rentmeister. Nur ein Hauch von Sakralem sei geblieben.

    "Also, wenn ich hier rein käme und wüsste nicht, was es war, würde ich denken, dass es mal eine Kapelle oder so etwas war. Ne Kirche."

    Krematorium und die Kirche St. Agnes - historisch besetzte Orte werden umgewidmet, jüngst auch die ehemalige DDR-Fahrbereitschaft oder eine Kinderbücherei im Plattenbau. Leerstand wird gefüllt mit neuen Ideen. Das tut Kunst schon immer. Doch nach wie vor gibt es in Berlin mehr nicht besetzte Orte als in anderen Metropolen. Die Folge: Die Künstler- und Galeristen-Karawane zieht immer weiter - manchmal in einem Tempo, dass die Kundschaft nicht hinterherkommt.

    "Du müsstest in Berlin alle zwei Jahre den Standort ändern und hinter der Herde nachlaufen und hoffen, dass Du die Kuh bist, der am Arsch geklopft wird und die dann um dieses Arschklopfen schneller durchs Örtchen läuft. Und das ist provinziell und dumm. Und die Zeiten sind auch wirklich vorbei - aber es ist halt auch ein Phänomen unserer Branche, dass man nichts dazu lernt."

    Ebensperger will - wie auch Johann König - seine neuen Ausstellungsräume nicht nur kurzfristig bespielen. Er hat die 1000 Quadratmeter nicht gemietet, sondern gekauft. Das schützt ihn vor steigenden Kosten - und vor dem, was er als den "Zwang zum Weiterwandern" bezeichnet.

    "Dieser Teil der Karawane zu sein, dagegen kann man sich vielleicht ein bisschen besser verwehren. Und die Versuchung ist ja immer da, gerade in Berlin. Irgendwo schreit jemand Kikeriki - und dann läuft man nach. Und damit ist das mal erledigt für die nächsten Jahre, würde ich sagen."

    Das ist der Gegentrend: Einige Galeristen es leid, von einem Viertel zum nächsten zu hüpfen. Sie legen sich jetzt fest. Sie wollen größer werden, können sich das aber nur an der Peripherie leisten, jenseits der hochgejubelten Epizentren des Kunstbetriebs. Wo sich diese Kunst-Karawanen-Verweigerer niederlassen, das ist so individuell wie die Menschen, die den Kunstbetrieb ausmachen. Der Reiz besteht in der Metamorphose an sich.

    Mehr dazu:

    Ausstellungen im ehemaligen Krematorium Wedding

    Autocenter - Space for Contemporary Art

    Galerie Johann König

    Ausstellungseröffnung Jeppe Hein