Archiv

Kunst im Supermarkt
Zeitgeist steckt in der Werbung

Kunstausstellungen finden mittlerweile ja nicht mehr nur in traditionellen Museumsgebäuden statt. Die Aktion "Kunst an U-Bahnhöfen" lief in mehreren deutschen Städten. In Ingolstadt findet jetzt erstmals eine Ausstellung in einem Supermarkt statt - bei laufendem Betrieb.

Von Julian Ignatowitsch |
    Eine EDEKA-Filiale in der Fußgängerzone von Ingolstadt. Über dem Eingang - nicht zu übersehen - prangt ein großes Banner: "Konsumidealismus" steht drauf – Eine neue Werbekampagne? Naja, nicht ganz.
    Drinnen jedenfalls ist auf den ersten Blick alles normal: Die Kunden schieben vor sich her, packen Tomaten hinein und zahlen an der Kasse.
    Mittendrin steht eine kleine, rothaarige Frau fuchtelt mit den Händen und spricht, genau, über "Konsumidealismus":
    "Wir können das selbst bestimmen. Meine Idee des starken Konsumenten, dass wir starke Konsumenten sind, jeder von uns. Wir können uns selbst überlegen, was wir wollen und ob wir uns glücklich fühlen wollen oder entspannt, das können wir uns selber wünschen von einem Produkt. Wir brauchen da nicht die Werbung dazu."
    Stephanie Senge ist Künstlerin. Schon lange beschäftigt sie sich mit Konsum und Werbung - sie fertigt Bilder, Skulpturen, macht Fotos, sammelt Produkte. Der Supermarkt ist zu ihrem Arbeitsort geworden und stellt für sie ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft dar:
    "Ich geh ja immer in alle Supermärkte auf der Welt, immer erst mal in den Supermarkt. Ich spüre wie es einem Land geht, wenn ich im Supermarkt bin. Klingt doof, aber da sehe ich wie die Leute sind, wie die miteinander reden. Ich bin für den Supermarkt und geh nicht ins Museum, wenn ich irgendwo bin."
    Kunstausstellung in einem Supermarkt
    Wieso also nicht gleich im Supermarkt ausstellen?, hat sich Senge schon länger gedacht. Und jetzt tut sie es! In Kooperation mit dem Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt hat sie einen Besitzer gefunden, dem die Idee sofort gefiel. Kuratorin Miriam Fuggenthaler half bei der Vermittlung:
    "Wie wir es wissen, ist es das erste Mal, dass es eine Kunstausstellung in einem noch existierenden Supermarkt gibt. Der Supermarktbesitzer ist begeistert gewesen, und wir durften alles machen, was wir machen wollten."
    Und so stehen nun Vitrinen zwischen den Regalen, in denen Senge Lebens- und Hausmittel thematisch nach ihren Werbeslogans geordnet hat:
    "Hier, das sammele ich seit langer Zeit, Produkte, die mit Zeit werben: Sofortgelantine, "Im Nu", ein altes DDR-Produkt, Relax, Ratzfatz. Diese Konsumprodukte sagen uns ganz viel über uns und unsere Zeit aus. Weil wir leben in einer Zeit, wo es einfach rund geht, man muss sich beeilen, man ist im Stress und das find ich schon irre. Hier Hurry up oder Speed... Stress Protection hm?!"
    Der Zeitgeist gespiegelt in der Werbung. Und die Kunden, sie laufen tatsächlich fast alle hektisch daran vorbei und übersehen die versteckten Botschaften.
    Mit Produkten auseinandersetzen
    Als Konsum- oder Kapitalismuskritik will die Künstlerin ihre Aktion gar nicht verstanden wissen. Sondern einfach als Anstoß für jeden, dass er sich mit dem Produkt, das er kauft, auseinandersetzt:
    "Es gibt halt viele Ideologien – und darum geht's mir auch: Man muss diese ganzen Ideologien wenigstens erkennen. Im Konsumbereich gibt es so viele Sekten, Ideologien – und man kann eben nicht sagen Öko, Bio ist prima und uns geht's gut, sondern man muss sich genau anschauen, was die da alles veranstalten."
    Genau hinschauen, das tut Senge. Auch bei der Werbung:
    "Ich schau mir seit Jahren ja immer alle Werbekampagnen an. Und verfolge das und finde es sehr spannend – und die kopieren ja auch von der Kunst. Es gibt ganz viele Werbekampagnen, die wie eine Kunstaktion gemacht sind. Und viele sind auch besser als Kunst, muss ich leider auch sagen. Bei manchen Werbekampagnen muss ich sagen: Das ist aber verdammt gut!"
    Irgendwo zwischen Pop Art und Dada bewegt sich die Künstlerin. Dadurch dass sie nur abbildet und nicht bewertet, verschwimmt der Grat zwischen Kunstaktion und Marketing – das macht die Sache so absurd. Kein Witz!, manche Kunden halten die Ausstellungsstücke an diesem Nachmittag tatsächlich für eine Marketingkampagne von EDEKA.