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Kunst in China
"Zeigen, dass es möglich ist, individuell zu sein"

Mit ihrem Fotoband "Chicken are not naked" wolle sie einen anderen Blick auf China eröffnen, sagte die deutsche Fotografin Stefanie Schweiger im Corsogespräch. Sie wolle zeigen, dass es in China möglich sei, individuell zu sein. In ihrem Fotoband geht es um neun junge Künstler, die versuchen, "ihr eigenes Leben zu leben".

Stefanie Schweiger im Corso-Gespräch mit Susanne Luerweg |
    Hunan, Südchina, ein Dorf in der Nähe von Lanshan, Li Binyuan vor der Wand seiner ehemaligen Grundschule, 2015
    Hunan, Südchina, ein Dorf in der Nähe von Lanshan. Der Künstler Li Binyuan vor der Wand seiner ehemaligen Grundschule. (DISTANZ / Stefanie Schweiger)
    Susanne Luerweg: Kunst aus China ist mehr als nur Ai Weiwei, aber dennoch ist es der inzwischen in Berlin lebende Regimekritiker, der jedem als erstes in den Sinn kommt, wenn die Begriffe Kunst und China fallen. Dabei ist China einer der am stärksten wachsenden Kunstmärkte weltweit, in diesem Jahr öffnete die Art Peking zum 11. Mal ihre Pforten, chinesische Künstler haben in den Metropolen der Welt Einzelausstellungen. Dennoch ist wenig über die chinesische Kunstszene bekannt, einzelne Mitglieder rücken erst in den Fokus, wenn sie wie Ai Weiwei politisch aktiv sind. Die deutsche Fotografin Stefanie Schweiger stellt nun in einem Buch neun sehr verschiedene Künstler aus China vor, vom Punkmusiker über den bildenden Künstler bis hin zur zeitgenössischen Tänzerin. Aber ist ihre Kunst auch politisch und kann man eigentlich in einem Land wie China, zentral regiert und gesteuert, so etwas individuelles wie die gerade genannten Kunstrichtungen verhandeln, ohne unangenehm aufzufallen? Oder ist nicht allein das schon ein politischer Akt- das Individuelle, das nicht ins System passt? "Chicken are not naked", so der fast schon geheimnisvolle Titel von Stefanie Schweigers Buch. Und die begrüße ich nun in Shanghai im Studio. Schönen guten Tag, Frau Schweiger.
    Stefanie Schweiger: Schönen guten Tag aus Shanghai.
    Luerweg: Frau Schweiger, "Hühnchen sind nicht nackt", so der Titel. Warum? Weil sie Federn haben und demnach auch Federn lassen können oder warum haben Sie diesen Titel gewählt?
    Schweiger: Der Titel ist ein Zitat von Liu Dong Hong, einem der Musiker, den ich in meinem Buch fotografiert habe. Und wir saßen in den Bergen in Peking, im Westen der Stadt, und haben geredet über Politik, über Gesellschaft. Und über Mao, über Hühner, über Schweine. Und irgendwann meinte er, um mir die Unterschiedlichkeit zu Schweinen zu erklären 'and you know, chicken are not naked'. Und ich fand den Spruch so toll, dass ich ihn danach erstmal auf ein T-Shirt drucken wollte und irgendwann wurde er dann zum Titel meines Buches.
    Luerweg: Sie haben gerade schon einen der Künstler erwähnt, es sind sehr unterschiedliche Neun, die Sie da vorstellen, die Sie präsentieren. Allen gemeinsam ist, dass sie sehr individuell sind. Ist das in einem Land wie China schon außergewöhnlich, so individuelle Kunst zu machen?
    Schweiger: Ja. Darum ging es mir auch. Zu zeigen, dass es möglich ist, individuell zu sein. Nicht immer nur der Norm zu folgen und dem, was die Gesellschaft einem vorgibt, die Eltern einem vorgeben, sondern eben sich auf seine eigene Reise durchs Leben zu machen.
    Luerweg: Stichwort, sagen Sie gerade, was die Eltern einem vorgeben. Die Familie ist unglaublich wichtig in China, die Künstler, die Sie portraitieren, die haben sich alle ein Stück weit entfernt von dieser Tradition, von diesen Normen.
    Schweiger: Ja, richtig. Also 'normal', sag ich mal in China ist es, vor 30 zu heiraten, ein Haus zu haben, einem geregelten Job nachzugehen, die Eltern zu versorgen. Das ist ein normales Leben in China. Einige dieser Neun haben sicherlich auch Familie oder Kinder, aber sie haben sich alle trotzdem von diesem 'System Familie' entfernt würde ich sagen. Also sie versuchen einfach, ihr eigenes Leben zu leben, dem nachzugehen, was sie lieben, und ihre Passion quasi zu leben.
    "In China ist nicht alles Schwarz und Weiß"
    Luerweg: Ist das schon was, wie eine Art Rebellion, eine Gesellschaftskritik, wenn man genau so lebt in China?
    Schweiger: Ich würde sagen, manche sehen das so. Vielleicht könnte man eher sagen, dass sie in sowas wie einem Parallelsystem leben. In China ist ja nicht unbedingt alles immer Schwarz und Weiß, es gibt ja auch viel Grau dazwischen sag ich mal. Also ich würde nicht sagen, dass es gegen das System ist, aber es ist ein anderes System.
    Luerweg: Haben wir ein völlig falsches Bild von China hier? Also unser Bild ist Ai Weiwei und danach haben wir so irgendwie keine Ahnung mehr.
    Schweiger: Ja. Ich würde sagen, ein eingeschränktes. Und aus dem Grund wollte ich das auch zeigen, dass es eben in China noch etwas anderes gibt, abseits der Exotik, die man sieht in der Berichterstattung in Deutschland, abseits der politischen Themen, die natürlich richtig und wichtig sind. Für mich ist China aber sehr viel mehr, sehr vielfältiger. Darum ging es auch, das dem Westen näher zu bringen.
    Luerweg: Ja. Die Menschen, die man da sieht in Ihrem Buch, also die Fotos, das könnten jetzt auch Bilder sein von Hipstern in London, Paris, New York. Also man kommt nicht unbedingt als erstes auf die Idee, die in China zu verorten. Also ist das der Globalisierung geschuldet oder? Also wenn Sie drunter geschrieben hätten, in New York aufgenommen, dann hätte ich mich auch nicht gewundert.
    Schweiger: Das stimmt. Ja, natürlich ist es auch hier inzwischen international, sie gucken westliche Medien, hören westliche Musik. Ich würde aber sagen, dass die Neun ihren eigenen Stil gefunden haben. Also, es sind jetzt keine Kopien von irgendjemandem, sondern das ist ihr eigenes, was sie zeigen, was sie machen, was sie anziehen, wie sie leben. Und das fand ich auch so besonders an denen.
    Langsame Annäherung
    Luerweg: Wie haben Sie denn diese Neun gefunden? Wie haben Sie sich kennengelernt, sich angenähert?
    Schweiger: Ich war ja schon einige Zeit vorher in China und hatte chinesische Freunde und bin zu Konzerten gegangen, zu Ausstellungen. Und immer, wenn mir was gefallen hat oder mich besonders berührt hat, dann hab ich mir den Namen notiert und habe dann die Menschen kontaktiert, und dann haben wir uns getroffen, haben miteinander Tee getrunken, gegessen, gesprochen, Zeit verbracht, und wenn das dann gepasst hat, dann haben wir uns dazu entschieden, einen Weg zusammen zu gehen und dann habe ich sie portraitiert. Das ganze ging ja über zweieinhalb Jahre. Also, ich hatte auch sehr viel Zeit, um unter die Oberfläche zu gehen und tiefer zu tauchen.
    Luerweg: Und haben Sie über Politik geredet mit den Künstlern?
    Schweiger: Ja. Nicht mit allen, aber mit denen, die sehr offen waren natürlich, auf alle Fälle. Also da gab's auch keine Tabus.
    Luerweg: Da gibt es keine Tabus. Was sagen die denn so? Also sind die ähnlich regimekritisch wie Ai Weiwei?
    Schweiger: Einige sind bestimmt regimekritisch, anderen ist es nicht so wichtig. Also natürlich ist es wichtig, aber es ist jetzt nicht so wichtig, auf Konfrontation zu gehen. Also in China ist es sehr schwierig, auf Konfrontation zu gehen, weil,dann passiert sowas, was mit Ai Weiwei passiert ist. Und es gibt hier andere Mittel und Wege, seine Art der Kunst zu machen, die vielleicht auch politisch motiviert ist, ohne eine Kollision zu verursachen.
    Luerweg: Welche?
    Schweiger: Ich glaube, eine subtilere, sag ich mal. Also, man kann ja auch mit Worten anders umgehen in Lyrics, verschlüsselt quasi eine politische Meinung haben. Es gibt natürlich jetzt Selbstzensur vor jedem Werk. Also ich glaube, jeder Künstler macht ja Selbstzensur, bevor man überhaupt ein Kunstwerk erschafft, denkt man darüber nach, was man damit bewirkt.
    "Die Klischees verlassen"
    Luerweg: Aber wie ist den generell die Kunstszene? Sie haben lange in Peking gelebt, jetzt sind Sie nach Shanghai gezogen. Gibt es, im Grunde genommen, auch so ähnliche Probleme wie hier? Zu viele Künstler, zu wenig Galerien, zu wenig Ausstellungsmöglichkeiten? Ist das auch was, was die Leute beschäftigt?
    Schweiger: Ja. Ich denke, das ist wirklich genau das gleiche. Und von daher sind vor allem die jüngeren Künstler weniger politisch, würde ich sagen, weil die sich um ganz andere Themen drehen. Also, sie wollen eher auf dem Kunstmarkt vieles richtig machen und nicht unbedingt politisch arbeiten. Also ich habe die Künstler jetzt auch nicht ausgesucht danach, ob sie politisch arbeiten oder nicht. Weil es ging ja auch genau darum, dieses Klischee ein bißchen zu verlassen und eine andere Form der Realität zu zeigen. Und Ai Weiwei ist natürlich eine Realität, aber er steht ja nicht für ganz China.
    Luerweg: Sie haben gesagt, Sie möchten gerne mit Ihrem Buch den Blick auf China verändern. Wie hat denn Ihr Blick auf China sich gewandelt durch die Arbeit an dem Buch?
    Schweiger: Der hat sich sehr gewandelt. Dadurch, dass wir so lange und so viel Zeit miteinander verbracht haben und sie mich einfach in ihre Provinzen, wo sie herkommen, gebracht haben, und ich mit den Familien zusammen unter einem Dach gelebt habe, teilweise in sehr armen Verhältnissen. Also, ich hab gelernt, nicht alles Schwarz und Weiß zu sehen, was man ja manchmal im Westen gerne tut, flexibler zu werden. Wir haben unser visuelles Sehen verglichen und angepasst. Wir haben auch festgestellt, dass es sehr viele Ähnlichkeiten gibt. Ich würde sagen, ich bin nicht mehr die Gleiche wie vor zweieinhalb Jahren, oder wie vor drei Jahren, als ich das Projekt angefangen habe.
    Luerweg: Stefanie Schweiger, Fotografin, über ihr Buch "Chicken are not naked". Und da gibt es Bilder von neun zeitgenössischen Künstlern aus China, die dort zu sehen sind. Das Buch ist im Distanz Verlag erschienen. Frau Schweiger, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.
    Schweiger: Ja. Vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.