Bernd Gürtler: Fünfundzwanzig Jahre Konzertagentur Berthold Seliger. Was fällt Ihnen, Herr Seliger, als Gründer und Chef der Agentur da ein?
Berthold Seliger: Da fällt mir vor allem ein, dass ich nicht vollkommen unstolz bin, so lange überlebt zu haben in der Haifischbranche Musikindustrie. Verdienste erwirbt man sich nicht viele, wie Brecht gesagt hat, aber ein Verdienst ist sicher, überlebt zu haben, und das mit einem Konzept, das nicht das einfachste ist, nämlich mit anspruchsvoller Musik auf dem Markt zu bestehen. Dass dieses Konzept einstweilen doch aufgegangen zu sein scheint.
Gürtler: Was, würden Sie sagen, sind die Höhepunkte ihrer 25-jährigen Agenturgeschichte gewesen?
Seliger: Ich würde das immer als einen der unbestreitbaren Höhepunkte meiner Konzertagentenkarriere bezeichnen, dass ich die letzten Jahre seines Lebens mit Townes Van Zandt zusammenarbeiten durften, einem der größten Singer/ Songwriter unserer Tage. Dass der mir sein Vertrauen geschenkt hat, ich war Europa-Agent für Townes die letzten Jahre seines Lebens, und dass er in den USA erzählt hat, dass er das erste Mal einen Europa-Agenten hat, dem er vertraut. Das bedeutet mir die Welt, da muss man nicht drum rum reden, und das ist sicher das Größte, das ich machen durfte.
Ich will ja nun nicht verhehlen, ich bin großer Velvet Underground-Fan, und dass es mir gelungen ist, Lou Reed auf Tournee zu bringen, das beutet mir auch sehr viel. Aber man darf sich nicht nur an den großen Namen orientieren. Genau so großartig ist es, und das ist genau das, was einen umtreibt, wenn es Ihnen gelungen ist, eine Band, die vollkommen unbekannt ist, auf ein gewisses Level zu heben. Wenn ich mir anschaue, Lambchop zum Beispiel, eine intensive, ich würde sagen, radikale Musik, sehr ruhig, nicht kommerziell. Ich habe die vom ersten Europa-Auftritt an betreut, und da kamen damals dreißig, vierzig Leute in die Konzerte. Und wenn sie dann so eine Band dazu geführt haben, dass sie in der Royal Albert Hall in London vor fünftausend Leuten spielen oder auf großen Festivals, dann ist das natürlich ein großartiges Erlebnis, da muss man nicht drum herum reden.
Gürtler: Sie sind sich zweifellos aber auch der Risiken bewusst, Sie selbst nennen die Musikindustrie eine Haifischbranche.
Seliger: Ja, Sie können ganz schnell ganz viel Geld verlieren. Sie machen ja ein Angebot an den Künstler, und die Wette ist dann eine gemeinsame Wette meines örtlichen Partners und meine, ob wir so viel Tickets verkaufen können, dass wir da als erstes Ziel plus minus null raus gehen und vielleicht auch noch den einen oder anderen Euro übrig behalten. Das ist ja immer eine Wette, und größer die Wette ist, also je größer die Gage ist, umso größer ist das Risiko. Geld verlieren können Sie immer, und das habe ich bei meinen ersten Konzerten schon gelernt, Sie können mit einem ausverkauften Konzert nicht annähernd so viel Geld verdienen, wie Sie mit einem floppenden Konzert verlieren können.
Das muss einem immer klar sein, jeder in der Branche hat Lehrgeld bezahlt, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Aber die eigentliche, die spannenden Aufgabe ist, und da definiere ich meine Firma anderes als viele andere Tourveranstalter, mir kommt es darauf an, dass ich die Gewinne, die ich mit einzelnen Künstler mache, dass ich die reinvestiere in Künstler, die auf dem Markt keine Chance haben. Das heißt, ein guter Teil meines Programms, mindestens ein Drittel des Programms ist etwas, das sich nicht rechnet. Sie dürfen ja nicht vergessen, wir haben heute den Quotenterror. Es gilt nur noch etwas, was viel verkauft. Das ist aber eine unsinnige Haltung. Denken Sie daran, die Verkaufszahlen von Franz Kafka bei seinen Werken zu Lebzeiten, das waren zwischen 800 und 2000. Also auch wieder personifizierte Erfolglosigkeit.
Wir sind uns aber sicher einig, dass Franz Kafka einer der größten Autoren der Weltliteratur ist. Die Frage ist also, wer nimmt sich dieser kleinen Auflagen an. Wer nimmt sich der Musiker an, die wenig Tickets verkaufen, die aber großartig sind. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe als Kulturvermittler.
Gürtler: Herr Seliger, das Musikgeschäft hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Spüren Sie als Konzertagentur etwas davon? Immerhin, es werden weniger physische Tonträger gekauft und stattdessen eher Download- oder Streaming-Dienste genutzt. Die Leute erwerben anstelle eines kompletten Albums nur noch zwei, drei Lieblingsstücke. Der Musikjournalismus als Vermittler zwischen Künstlern, Schallplattenlabels, Konzertveranstaltern und Publikum verliert an Bedeutung.
Seliger: Ich weiß nicht, ob das per se so schlimm ist. Es geht doch um die Frage des Gatekeepers. Ist da einer, der mir sagt, wo’s lang geht. Ich finde es erst mal keine schlechte Entwicklung, wenn da keiner mehr vorne steht und sagt, hier geht’s lang. Wenn der NME immer gesagt hat, das ist die Single der Woche, und das muss jede Woche neu sein, und wir sagen Euch, wo’s lang geht. Ist doch schön, wenn es da mehr Vielfalt gibt. Und da wird es natürlich interessant, wenn neue Formen entstehen wie zum Beispiel Streaming-Dienste, wo die Musik immer präsent bleibt. Also das ist erst mal was Gutes, ich finde es erst mal in Klammern gesprochen, dass man weg vom Besitzen und mehr zum Nutzen geht, das ist auch keine schlechte Entwicklung.
Das Problem ist natürlich die Häppchenkultur, dass man sich nur noch die besten Songs raus pickt und nicht mehr darüber nachdenken, dass ein Album im Idealfall auch ein künstlerisches Statement ist, wo sich ein Künstler etwas gedacht hat. Wir sind natürlich als Leute, die Live-Musik vertreten da in einer etwas luxuriöseren Position, weil, wir stellen nun gerade das Erlebnis her, das unwiederholbar ist. Der Moment, den Sie mit dem Künstler in einem Konzert teilen, der ist so großartig, wenn alles gut läuft. Das muss nicht immer großartig sein, aber wenn es ideal läuft, ist es großartig, und das lebt vom Moment.
Das ist ein Unterschied, ob Sie eine Platte auflegen oder in dem Konzert da sind, wo ja auch die Möglichkeit des Scheiterns besteht, oder dass etwas ganz Durchgeknalltes passiert. Also wir reden jetzt von Klubkonzerten, nicht von den Stadionkonzerten, wo alles geplant ist. Und dieser Reiz, dass man sich auf das Konzert einlässt, der ist unschlagbar, und den kann man uns als Live-Veranstaltern auch nicht wegnehmen. Das ist ein Geschäftsvorteil, den wir da haben.
Gürtler: Können Sie feststellen, dass dem Tonträger egal welcher Art heute das Konzertereignis vorgezogen wird, eben wegen seiner Einzigartigkeit? Manchmal scheint es so.
Seliger: Was ich erlebe, ist, dass tatsächlich jüngere Leute weniger in meine Konzerte kommen. Wenn Sie in den 90er-Jahren Tourneen von den Programmen angeboten haben, was ich vertrete, dann haben Sie automatisch die ganzen Uni-Städte bedient. Also gibt so Kleinstädte wie Marburg, Tübingen, Städte, die hauptsächlich von der Universität leben. Marburg hat 80.000 Einwohner, davon 30.000 Studenten, und jede Tour ging damals durch Marburg, weil eben die Studenten ein großes Publikum waren, und die wollten die Konzerte sehen.
Heute führt praktisch keine dieser Tourneen mehr durch die Uni-Städte. Das ist ein großer Wandel. Auch wenn Sie sich Marktuntersuchungen anschauen, wofür interessieren sich junge Menschen, und da ist wie bei uns früher nicht mehr Musik die Nummer Eins, sondern irgendwo Nummer acht oder neun. Die sagen alle, wenn Sie nur allgemein fragen, sagen sie, ja, Musik ist toll. Aber wenn Sie fragen, wofür gebt Ihr Euer Geld aus, was ist Euch am wichtigsten, dann ist es irgendwo eben Platz acht oder neune. Und da sind Mobiltelefone, Fast Food und Mode weit vorne. Also da hat sich viel geändert. Wahrscheinlich haben die jungen Menschen auch so viele andere Möglichkeiten, ihre Identität zu finden, dass Musik nicht mehr ganz so wichtig ist. Aber andererseits gibt es nach wie vor junge Menschen, die Konzertgänger aus Leidenschaft sind und genau dieses Live-Erlebnis nicht missen wollen. Das ist ein Auf und Ab, das ist wahrscheinlich immer so.
Gürtler: Herr Seliger, das fällt auch auf, wenn man die Website Ihrer Agentur anschaut, Ihre Gastbeiträge für "Konkret" oder "der Freitag" liest oder sich die Lektüre Ihrer monatlichen News-E-Mails gönnt: Sie leisten sich eine Meinung, zum Musikgeschäft, zu Politik und Gesellschaft. Warum, verdirbt das nicht mitunter das Geschäft!?
Seliger: Das wird nicht jedem gefallen, das ist vollkommen klar. Andererseits muss ich sagen, das gefällt vielen Leuten auch. Ich glaube generell, dass Musik, Kunst eine Haltung verkörpern muss. Das würde ich mir eigentlich eher öfter wünschen, es ist manchmal vielleicht ein bisschen schade, dass ich einer der Wenigen bin, die eine Haltung verkörpern. Aber die Künstler tun das, die Künstler haben eine Haltung. Kunst kann Haltung verkörpern. Das muss nicht immer eine politische Haltung sein, aber es sollte eine Haltung sein, die zeigt, da ist was möglich. Kunst hat schon was mit einer Vision von einer anderen Welt zu tun, und das sollte gute Kunst definieren, würde ich sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Berthold Seliger: Da fällt mir vor allem ein, dass ich nicht vollkommen unstolz bin, so lange überlebt zu haben in der Haifischbranche Musikindustrie. Verdienste erwirbt man sich nicht viele, wie Brecht gesagt hat, aber ein Verdienst ist sicher, überlebt zu haben, und das mit einem Konzept, das nicht das einfachste ist, nämlich mit anspruchsvoller Musik auf dem Markt zu bestehen. Dass dieses Konzept einstweilen doch aufgegangen zu sein scheint.
Gürtler: Was, würden Sie sagen, sind die Höhepunkte ihrer 25-jährigen Agenturgeschichte gewesen?
Seliger: Ich würde das immer als einen der unbestreitbaren Höhepunkte meiner Konzertagentenkarriere bezeichnen, dass ich die letzten Jahre seines Lebens mit Townes Van Zandt zusammenarbeiten durften, einem der größten Singer/ Songwriter unserer Tage. Dass der mir sein Vertrauen geschenkt hat, ich war Europa-Agent für Townes die letzten Jahre seines Lebens, und dass er in den USA erzählt hat, dass er das erste Mal einen Europa-Agenten hat, dem er vertraut. Das bedeutet mir die Welt, da muss man nicht drum rum reden, und das ist sicher das Größte, das ich machen durfte.
Ich will ja nun nicht verhehlen, ich bin großer Velvet Underground-Fan, und dass es mir gelungen ist, Lou Reed auf Tournee zu bringen, das beutet mir auch sehr viel. Aber man darf sich nicht nur an den großen Namen orientieren. Genau so großartig ist es, und das ist genau das, was einen umtreibt, wenn es Ihnen gelungen ist, eine Band, die vollkommen unbekannt ist, auf ein gewisses Level zu heben. Wenn ich mir anschaue, Lambchop zum Beispiel, eine intensive, ich würde sagen, radikale Musik, sehr ruhig, nicht kommerziell. Ich habe die vom ersten Europa-Auftritt an betreut, und da kamen damals dreißig, vierzig Leute in die Konzerte. Und wenn sie dann so eine Band dazu geführt haben, dass sie in der Royal Albert Hall in London vor fünftausend Leuten spielen oder auf großen Festivals, dann ist das natürlich ein großartiges Erlebnis, da muss man nicht drum herum reden.
Gürtler: Sie sind sich zweifellos aber auch der Risiken bewusst, Sie selbst nennen die Musikindustrie eine Haifischbranche.
Seliger: Ja, Sie können ganz schnell ganz viel Geld verlieren. Sie machen ja ein Angebot an den Künstler, und die Wette ist dann eine gemeinsame Wette meines örtlichen Partners und meine, ob wir so viel Tickets verkaufen können, dass wir da als erstes Ziel plus minus null raus gehen und vielleicht auch noch den einen oder anderen Euro übrig behalten. Das ist ja immer eine Wette, und größer die Wette ist, also je größer die Gage ist, umso größer ist das Risiko. Geld verlieren können Sie immer, und das habe ich bei meinen ersten Konzerten schon gelernt, Sie können mit einem ausverkauften Konzert nicht annähernd so viel Geld verdienen, wie Sie mit einem floppenden Konzert verlieren können.
Das muss einem immer klar sein, jeder in der Branche hat Lehrgeld bezahlt, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Aber die eigentliche, die spannenden Aufgabe ist, und da definiere ich meine Firma anderes als viele andere Tourveranstalter, mir kommt es darauf an, dass ich die Gewinne, die ich mit einzelnen Künstler mache, dass ich die reinvestiere in Künstler, die auf dem Markt keine Chance haben. Das heißt, ein guter Teil meines Programms, mindestens ein Drittel des Programms ist etwas, das sich nicht rechnet. Sie dürfen ja nicht vergessen, wir haben heute den Quotenterror. Es gilt nur noch etwas, was viel verkauft. Das ist aber eine unsinnige Haltung. Denken Sie daran, die Verkaufszahlen von Franz Kafka bei seinen Werken zu Lebzeiten, das waren zwischen 800 und 2000. Also auch wieder personifizierte Erfolglosigkeit.
Wir sind uns aber sicher einig, dass Franz Kafka einer der größten Autoren der Weltliteratur ist. Die Frage ist also, wer nimmt sich dieser kleinen Auflagen an. Wer nimmt sich der Musiker an, die wenig Tickets verkaufen, die aber großartig sind. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe als Kulturvermittler.
Gürtler: Herr Seliger, das Musikgeschäft hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Spüren Sie als Konzertagentur etwas davon? Immerhin, es werden weniger physische Tonträger gekauft und stattdessen eher Download- oder Streaming-Dienste genutzt. Die Leute erwerben anstelle eines kompletten Albums nur noch zwei, drei Lieblingsstücke. Der Musikjournalismus als Vermittler zwischen Künstlern, Schallplattenlabels, Konzertveranstaltern und Publikum verliert an Bedeutung.
Seliger: Ich weiß nicht, ob das per se so schlimm ist. Es geht doch um die Frage des Gatekeepers. Ist da einer, der mir sagt, wo’s lang geht. Ich finde es erst mal keine schlechte Entwicklung, wenn da keiner mehr vorne steht und sagt, hier geht’s lang. Wenn der NME immer gesagt hat, das ist die Single der Woche, und das muss jede Woche neu sein, und wir sagen Euch, wo’s lang geht. Ist doch schön, wenn es da mehr Vielfalt gibt. Und da wird es natürlich interessant, wenn neue Formen entstehen wie zum Beispiel Streaming-Dienste, wo die Musik immer präsent bleibt. Also das ist erst mal was Gutes, ich finde es erst mal in Klammern gesprochen, dass man weg vom Besitzen und mehr zum Nutzen geht, das ist auch keine schlechte Entwicklung.
Das Problem ist natürlich die Häppchenkultur, dass man sich nur noch die besten Songs raus pickt und nicht mehr darüber nachdenken, dass ein Album im Idealfall auch ein künstlerisches Statement ist, wo sich ein Künstler etwas gedacht hat. Wir sind natürlich als Leute, die Live-Musik vertreten da in einer etwas luxuriöseren Position, weil, wir stellen nun gerade das Erlebnis her, das unwiederholbar ist. Der Moment, den Sie mit dem Künstler in einem Konzert teilen, der ist so großartig, wenn alles gut läuft. Das muss nicht immer großartig sein, aber wenn es ideal läuft, ist es großartig, und das lebt vom Moment.
Das ist ein Unterschied, ob Sie eine Platte auflegen oder in dem Konzert da sind, wo ja auch die Möglichkeit des Scheiterns besteht, oder dass etwas ganz Durchgeknalltes passiert. Also wir reden jetzt von Klubkonzerten, nicht von den Stadionkonzerten, wo alles geplant ist. Und dieser Reiz, dass man sich auf das Konzert einlässt, der ist unschlagbar, und den kann man uns als Live-Veranstaltern auch nicht wegnehmen. Das ist ein Geschäftsvorteil, den wir da haben.
Gürtler: Können Sie feststellen, dass dem Tonträger egal welcher Art heute das Konzertereignis vorgezogen wird, eben wegen seiner Einzigartigkeit? Manchmal scheint es so.
Seliger: Was ich erlebe, ist, dass tatsächlich jüngere Leute weniger in meine Konzerte kommen. Wenn Sie in den 90er-Jahren Tourneen von den Programmen angeboten haben, was ich vertrete, dann haben Sie automatisch die ganzen Uni-Städte bedient. Also gibt so Kleinstädte wie Marburg, Tübingen, Städte, die hauptsächlich von der Universität leben. Marburg hat 80.000 Einwohner, davon 30.000 Studenten, und jede Tour ging damals durch Marburg, weil eben die Studenten ein großes Publikum waren, und die wollten die Konzerte sehen.
Heute führt praktisch keine dieser Tourneen mehr durch die Uni-Städte. Das ist ein großer Wandel. Auch wenn Sie sich Marktuntersuchungen anschauen, wofür interessieren sich junge Menschen, und da ist wie bei uns früher nicht mehr Musik die Nummer Eins, sondern irgendwo Nummer acht oder neun. Die sagen alle, wenn Sie nur allgemein fragen, sagen sie, ja, Musik ist toll. Aber wenn Sie fragen, wofür gebt Ihr Euer Geld aus, was ist Euch am wichtigsten, dann ist es irgendwo eben Platz acht oder neune. Und da sind Mobiltelefone, Fast Food und Mode weit vorne. Also da hat sich viel geändert. Wahrscheinlich haben die jungen Menschen auch so viele andere Möglichkeiten, ihre Identität zu finden, dass Musik nicht mehr ganz so wichtig ist. Aber andererseits gibt es nach wie vor junge Menschen, die Konzertgänger aus Leidenschaft sind und genau dieses Live-Erlebnis nicht missen wollen. Das ist ein Auf und Ab, das ist wahrscheinlich immer so.
Gürtler: Herr Seliger, das fällt auch auf, wenn man die Website Ihrer Agentur anschaut, Ihre Gastbeiträge für "Konkret" oder "der Freitag" liest oder sich die Lektüre Ihrer monatlichen News-E-Mails gönnt: Sie leisten sich eine Meinung, zum Musikgeschäft, zu Politik und Gesellschaft. Warum, verdirbt das nicht mitunter das Geschäft!?
Seliger: Das wird nicht jedem gefallen, das ist vollkommen klar. Andererseits muss ich sagen, das gefällt vielen Leuten auch. Ich glaube generell, dass Musik, Kunst eine Haltung verkörpern muss. Das würde ich mir eigentlich eher öfter wünschen, es ist manchmal vielleicht ein bisschen schade, dass ich einer der Wenigen bin, die eine Haltung verkörpern. Aber die Künstler tun das, die Künstler haben eine Haltung. Kunst kann Haltung verkörpern. Das muss nicht immer eine politische Haltung sein, aber es sollte eine Haltung sein, die zeigt, da ist was möglich. Kunst hat schon was mit einer Vision von einer anderen Welt zu tun, und das sollte gute Kunst definieren, würde ich sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.