"Piero della Francesca war, obwohl einer der größten Maler der Renaissance, lange Zeit vergessen zugunsten von Künstlern wie Botticelli, die lebhafter waren in ihrer Bildsprache als er, der Meister der 'Nicht-Eloquenz', des Stillen."
Ich denke noch an die Worte von Daniele Benati, einem der Piero della Francesca-Spezialisten in Italien, als ich in Rimini zu meinem "Pellegrinaggio", zu meiner "Pilgerfahrt" auf den Spuren dieses bekannten Unbekannten aufbreche. Um 1412 soll er geboren sein.
Über die Tiberiusbrücke des alten römischen "Ariminum", geht es zum "Tempio Malatestiano". Der sieht aus wie ein römischer Tempel, ist aber keiner, erklärt mir Heimathistorikerin Helga Schenk. Die Ursprünge der heutigen Kathedrale gehen ins 11.Jahrhundert zurück, der Name auf die Renaissancezeit, als die "Signorie" in Italien herrschen. Kleinstaaten, die von einer adeligen Familie regiert werden.
Hauptwerk in der "Capella della Concezione"
"Hier in der Gegend waren die Malatesta, die 'schlechten Köpfe'. Also Sigismondo war einer der Malatesta, Sigismundus Pandolfus Malatesta. Die hatten eigentlich keinen adeligen Hintergrund. Sie kamen aus dem Marecchia-Tal, hier hinter Rimini, haben aber immer behauptet, sie würden von Scipio, dem Afrikaner abstammen."
Wie der siegreiche punische Feldherr fühlt sich auch der ob seines Temperaments gefürchtete "Condottiere" Sigismondo. Er lässt das Gebäude mit der Grablege der Familie im Stil der Renaissance umgestalten. In der "Capella della Concezione" befindet sich ein Hauptwerk von Piero della Francesca, dem Meister der kalkulierten Geometrie und des Lichtes. Michela Cesarini hat sich auf die Arbeit des Künstlers hier in Rimini spezialisiert.
"Das Fresco stellt den Auftraggeber des Kirchenumbaus und des Gemäldes dar: Sigismondo Malatesta, vor seinem Namensheiligen Sigismund kniend. Das Besondere - der Künstler verwendet dafür das Porträt einer realen Person. Es ist Kaiser Sigismund von Luxemburg, der in Malatestas Ernennung zum Cavaliere involviert war. Das Fresko hat der Maler signiert: 1451, Petro di Burgo, gemeint ist sein Heimatort Borgo Sansepolchro."
Durch ein gemaltes Rundfenster alla Palladio im Hintergrund des Wandbildes erschaut man Malatestas mächtiges Kastell in Rimini. Mächtig musste es sein, denn mächtig waren seine Feinde. Allen voran der Herzog von Urbino, Federico da Montefeltro, ewiger Widersacher in zahlreichen Kriegen. Piero della Francesca hält sich wahrscheinlich ab 1465 an seinem Hof in Urbino auf, wo er im Auftrag des Herrschers sein wohl bekanntestes Meisterwerk schafft. Das Doppelportrait von Federico da Montefeltro und seiner jungen Frau Battista Sforza, das sich heute in den Uffizien befindet. Er mit roter Kappe und rotem Gewand, extremer Hakennase und dicken Warzen. Nach dem Vorbild antiker Münzen im Profil. Battista ebenfalls im Profil, zart, blass, blond, viel Schmuck, dunkles Gewand. Beide haben im Hintergrund delikate Landschaften. Phantasie-Landschaften? Nein, haben die Geomorphologin Olivia Nesci und die Fotografin Rosetta Borchia in der Nähe von San Leo entdeckt, dem ursprünglichen Herrschaftssitz der Familie von Montefeltro im Marecchia-Tal.
Eine Landschaft wie ein "Freiluft-Museum" seiner Kunst
"Das Landschaftsmotiv hinter Battista ist einfach zu erklären. Die Herzogin wollte Federico hier auf einem seiner Kriegszüge besuchen, wie sie es schon öfters getan hatte. Aber als der Schnee kam und blieb, musste sie in einem der herzoglichen Kastelle in der Nähe überwintern."
Im Bergstädtchen Monterchi, Geburtsort seiner Mutter, möchte ich der "Madonna del Parto" von ihm einen Besuch abstatten. Die "Madonna der Niederkunft" hat so einiges zu überstehen gehabt – 1917 Erdbeben, II. Weltkrieg. Erst 1992 findet sie in ihrem kleinen Museum, der ehemaligen Dorfschule von Monterchi, ihren Platz, so Lina Guadagni, die neue Direktorin. Ja, doch, die "Madonna del Parto" ist ihnen schon ganz nahe, der Museumsdirektorin wie der Kunsthistorikerin Stefania Becci:
"Ich denke, abgesehen vom künstlerischen Wert, war und ist der Aspekt des Kultus der Madonna von Monterchi den Menschen hier überaus wichtig. Manche schwangere Frauen machen beispielsweise kurz vor ihrer Niederkunft eine Art Wallfahrt zur Madonna del Parto als Zeichen ihrer Verehrung."
Die Maria mit ihrem stillen Gesicht trägt eine blaue Gamurra. Das typische Alltagsgewand der Renaissance hat sie vorne etwas aufgeschnürt und zeigt mit der rechten Hand auf ihr Bäuchlein. Die Muttergottes als normale Frau von nebenan. Ungeheuerlich in ihrer Entstehungszeit um 1460!
Weiter nördlich, in Pieros Heimatstadt Sansepolchro, gibt es einen "Cristo Contadino" in seinem Wandbild "Auferstehung" im Palazzo dei Conservatori zu bestaunen. Einen "Bauern-Christus", so Stefania Becci:
"Vielleicht wegen dieser ganz normalen Physiognomie. Vermutlich entdeckte Piero so ein Gesicht in den Straßen, als er durch seine Geburtsstadt flanierte. Zu Füßen Christi das Selbstbildnis des Künstlers als schlafender Soldat, quasi als Signatur von Piero, aber auch als Aufwertung des Menschen, des Künstlers gegenüber dem Göttlichen."
Ähnlichkeiten mit Sylvester Stallone?
Ein bisschen sieht er ja aus wie der junge Sylvester Stallone, dieser Piero mit seinem überdimensionalen Adamsapfel.
"Hier im Saal mit dem Wandbild haben wir ein großes Glasportal nach draußen. So ist unser "Auferstandener Christus", das Wappen unserer Stadt, immer und für jeden von außen zu sehen."
Stefania und ich schlendern nun zum Haus seiner Familie. Der Palazzo, wo der im Alter erblindete Meister mit seinen Geschwistern und deren Familien lebte, wird heute von der Studienstiftung Piero della Francesca genutzt. Direktorin Serena Magnani empfängt uns im Haus, in das er nach seinen vielen Reisen für seine Aufträge, ob nach Rom oder Rimini, immer wieder zurückkehrte.
"Aus den Fenstern des Palazzo sehen wir die Landschaft in der Realität, die Piero in seinen Werken darstellt. Wir sehen den Campanile von San Francesco und dahinter die Hügel des Apennins. Von der Loggietta aus erkennen wir den Turm des Doms. Diese beiden Türme charakterisieren in seinen Werken Sansepolchro."