Oliver Kranz: Herr Draxler, jetzt ist die erste Veranstaltung gelaufen "Phantasma und Politik", und die These, die dem Ganzen zu Grunde liegt, ist, dass es in der Kunstwelt eine Sehnsucht gibt nach dem Politischen. Woran machen Sie diese Sehnsucht fest?
Helmut Draxler: Diese Sehnsucht kann man an aktuellen Ausstellungen festmachen, wie der Berlin Biennale letzten Jahres, aber auch vielen anderen Ausstellungen, wie der Documenta, auch im Theaterbetrieb, in der Wiederkehr des Protestsongs in der Musik etc. Es gibt viele Phänomene, die man anführen könnte, aber gleichzeitig steht dahinter auch noch etwas anderes, nämlich ein Ungenügen an dem, was Kunst ist oder eine Erwartung, dass Kunst mehr als Kunst ist und dass man dieses "mehr" in der Politik sucht.
Kranz: Sie haben die Berlin Biennale genannt. Da ist eine sehr beispielhafte Aktion gelaufen. Man hat die Occupy-Bewegung ins Museum geholt, in den Ausstellungsraum. Die durften ihre Zelte aufbauen und die Zuschauer konnten das besuchen. War das Kunst oder war das Politik, was da gelaufen ist?
Draxler: Wir haben seit 100 Jahren, seit dem Readymade von Duchamp, damit zu tun, dass in der Kunst oft Nichtkunst gezeigt wird. Das heißt als Kunstkritiker gehe ich nicht nur in eine Ausstellung und beurteile, ist das schön oder gut, sondern es stellt sich auch die Frage: Ist es Kunst? Das, würde ich sagen, ist der starke Moment an der Geste, Occupy da rein zu holen. Politisch gesehen würde ich es besser gefunden haben, wenn die tatsächlich die Kunstwerke besetzt hätten, was sie ja nicht haben. Sie sind gewissermaßen ausgestellt worden. Genau an diesem Unterschied machen sich die Differenzen von Kunst und Politik fest.
Kranz: Die Kunstwelt, die gefällt sich in der Pose, alles infrage zu stellen, aber es werden nie die eigenen Institutionen infrage gestellt. Also ein Museum, das den Kapitalismus kritisiert, kritisiert nie die Ausbeutungsverhältnisse im eigenen Haus. Ist doch heuchlerisch!
Draxler: Natürlich ist das heuchlerisch. Aber wir sind alle Heuchler. Wir haben ja auch eine antikapitalistische Buchproduktion, die bei Bertelsmann herauskommt oder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Feuilleton sich breit macht, wo auch auf einmal alle den Kapitalismus scheiße finden. Das muss reflektiert werden, was das für eine antikapitalistische politische Praxis dann letztlich heißen kann.
Kranz: Das gehört auch zu Ihren eigenen Thesen, dass Sie sagen, diese Kritik, die sich zum Teil radikal äußert, ändert nichts an den Verhältnissen, sondern befestigt die eigentlich nur, vielleicht weil Kunst als so eine Art Ventil funktioniert…
Draxler: Als Ventil könnte man sehen. Ich denke, das ist die tiefer liegende Motivation, warum dieses Begehren so stark da ist, Kunst politisch zu machen. Manchmal, muss ich sagen, finde ich unpolitische Kunst politischer in dem, was sie einfach macht, als der aufgeladene Gestus und die Behauptung, der Anspruch, der oft mit politischer Kunst verbunden ist, wenn man sich die Frage stellt: was heißt Politik überhaupt? Geht es um Effekte im realen Leben? Soll deswegen jemand mehr Geld verdienen? Soll die Revolution ausbrechen? Soll die Emanzipation der Schwulen und Lesben vorangehen? Was heißen diese künstlerischen Aktionen letztlich innerhalb dieses rein politisch gedachten Raumes.
Kranz: Eigentlich ist es doch aber merkwürdig, dass dieses Politische ausgerechnet von der Kunst eingefordert wird, also dass die Kunst, die Gesellschaft reflektieren soll, dass sie Wegweisendes sagt, dass sie vielleicht sogar Sachen sagt, die die Politiker selber nicht sagen. Woher haben die Künstler denn überhaupt diese moralische Autorität?
Draxler: Das ist eine ganz große historische Frage. Es gibt eine Antwort von einem Kunsthistoriker darauf, der das ihrer exklusiven Stellung an den Höfen im 16., 17. Jahrhundert zuschreibt und das von daher diese Fantasie der Allmacht kommt, die Gesellschaft von außen beurteilen zu können
Kranz: Trotzdem gibt es dieses Sprichwort: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing." Also wie kann Kunst überhaupt kritisch sein, wenn sie doch gefördert wird von bestimmten Instanzen?
Draxler: Das ist tatsächlich, denke ich, eines der ganz großen Probleme – diese implizite Institutionalisierung politischer Kriterien in den Fördergeldern auf der einen Seite, aber auch im akademischen Bereich. Um einen Master zu bekommen, muss ich eine bestimmte Criticality performen und ich muss so und so kritisch sein, muss die und die kritischen Diskurse drauf haben, aber nicht, um meine Kriterien infrage zu stellen, sondern um sie zu erfüllen. Dann bekomme ich den Master oder das PhD. Und ohne diese Kritikalität geht es nicht. Das ist etwas, was unter der Hand entpolitisierend wirkt und die Strukturen bestätigt und nicht infrage stellt.
Diese Ausrichtung an den Fördertöpfen, das ist etwas höchst Ambivalentes, weil der Jargon könnte sich ja auch wieder ändern. Es könnte sein, dass nach der letzten Berlin Biennale alle sagen: Das ist jetzt wirklich genug mit der Politik. Jetzt sollten wir wieder eine Kehrtwendung machen. Und ich bin mir fast sicher, dass die nächsten Kuratoren eher wieder ein ganz Klassisches, ein galerienorientiertes, Malerei-und-was-weiß-ich-Programm machen. Wäre vielleicht auch gar nicht schlecht. Aber die Frage, welche Optionen sie überhaupt haben, die ist spannend.
Kranz: Dieses öffentliche Echo, über das wir reden, wenn wir Berlin Biennale sagen, da war es wirklich eindeutig negativ, ist aber eben auch nicht vorhersehbar. Bei der Documenta, die gerade gelaufen ist, hatten wir auch sehr viel politische Kunst, und da ist es gerade positiv besprochen und aufgenommen worden in der Presse.
Draxler: Da war mir die Berlin Biennale allerdings noch wesentlich lieber. Die Documenta war ein wirklich perfekt organisiertes Spektakel, aber es war kaum Kunst zu sehen, die ihre eigenen Bedingungen auch nur ansatzweise thematisiert hätte. Die haben alle innerhalb der vorgegebenen Räume, der zur Verfügung stehenden Budgets so reibungslos funktioniert, wie mir das eigentlich überhaupt noch nie untergekommen ist.
Kranz: Eigentlich könnte man sagen, wenn Kunst dieses Widerständige verliert, dann hört sie auf, Kunst zu sein, dann ist es eine Dienstleistung…
Draxler: Ich denke, dass man die Institutionen nicht so kategorisch kritisieren soll, sondern eher spezifisch, und kategorisch eher daran festhalten sollte, dass es interessante Orte sind: das Theater, das Museum, die Ausstellungshallen, die Konzertsäle – an denen diese politischen Fragen letzten Endes auch verhandelt werden können.
Kranz: Also mit anderen Worten, es geht nicht darum, einen neuen Trend auszurufen, sondern darum, dem Prozess auf die Spur zu kommen, der in einem Theater, einem Kunstmuseum abläuft?
Draxler: Ja, das trifft das Projekt sehr genau. Wir haben so viele Weltformeln in den letzten Jahren gehört - man musste nur im Haus der Kulturen der Welt von einem Projekt zum nächsten gehen, was toll ist, aber natürlich muss man auch sehen, wie sich diese Thesen gegenseitig relativieren. Ich habe selbst nur als Kurator gearbeitet. Man macht eine Ausstellung, investiert sein Herzblut, und nach sechs Wochen ist es vorbei und es kommt die nächste. Und dann die nächste. Wie geht man damit um? Jedes Mal ist man gezwungen gewissermaßen wieder eine Grundthese zu formulieren, wieder einen großen Sinnanspruch in die Welt zu setzen. Deswegen denke ich, dass ganz wichtig ist für Institutionen, ihre eigene Prozessualität zu reflektieren
Kranz: Ich möchte zum Schluss noch mal auf die Veranstaltung hier im Hebbel am Ufer zu sprechen kommen. Das ist eine Diskussionsreihe, die ist angelegt auf ein Jahr. Was soll am Ende des Jahres dabei rauskommen?
Draxler: Wir versuchen, und ich sehe das schon, dass wir das als Format benutzen können, in dem wir etwas entwickeln, in dem wir eben nicht feststehende Thesen zementieren und uns darauf ausruhen, sondern in den Diskurs mit den Praktikern kommen, aber auch mit Theoretikern, Leuten aus der Politik sozusagen hier ein Feld aufmachen, das in das Programm des HAU hineingeht, sich einschreibt als Teil des Programms, aber mit Blick auf das: was tun wir eigentlich? Und natürlich wäre es auch nicht schlecht, wenn wir es publizieren könnten und die Thesen der Nachwelt zugänglich machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Helmut Draxler: Diese Sehnsucht kann man an aktuellen Ausstellungen festmachen, wie der Berlin Biennale letzten Jahres, aber auch vielen anderen Ausstellungen, wie der Documenta, auch im Theaterbetrieb, in der Wiederkehr des Protestsongs in der Musik etc. Es gibt viele Phänomene, die man anführen könnte, aber gleichzeitig steht dahinter auch noch etwas anderes, nämlich ein Ungenügen an dem, was Kunst ist oder eine Erwartung, dass Kunst mehr als Kunst ist und dass man dieses "mehr" in der Politik sucht.
Kranz: Sie haben die Berlin Biennale genannt. Da ist eine sehr beispielhafte Aktion gelaufen. Man hat die Occupy-Bewegung ins Museum geholt, in den Ausstellungsraum. Die durften ihre Zelte aufbauen und die Zuschauer konnten das besuchen. War das Kunst oder war das Politik, was da gelaufen ist?
Draxler: Wir haben seit 100 Jahren, seit dem Readymade von Duchamp, damit zu tun, dass in der Kunst oft Nichtkunst gezeigt wird. Das heißt als Kunstkritiker gehe ich nicht nur in eine Ausstellung und beurteile, ist das schön oder gut, sondern es stellt sich auch die Frage: Ist es Kunst? Das, würde ich sagen, ist der starke Moment an der Geste, Occupy da rein zu holen. Politisch gesehen würde ich es besser gefunden haben, wenn die tatsächlich die Kunstwerke besetzt hätten, was sie ja nicht haben. Sie sind gewissermaßen ausgestellt worden. Genau an diesem Unterschied machen sich die Differenzen von Kunst und Politik fest.
Kranz: Die Kunstwelt, die gefällt sich in der Pose, alles infrage zu stellen, aber es werden nie die eigenen Institutionen infrage gestellt. Also ein Museum, das den Kapitalismus kritisiert, kritisiert nie die Ausbeutungsverhältnisse im eigenen Haus. Ist doch heuchlerisch!
Draxler: Natürlich ist das heuchlerisch. Aber wir sind alle Heuchler. Wir haben ja auch eine antikapitalistische Buchproduktion, die bei Bertelsmann herauskommt oder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Feuilleton sich breit macht, wo auch auf einmal alle den Kapitalismus scheiße finden. Das muss reflektiert werden, was das für eine antikapitalistische politische Praxis dann letztlich heißen kann.
Kranz: Das gehört auch zu Ihren eigenen Thesen, dass Sie sagen, diese Kritik, die sich zum Teil radikal äußert, ändert nichts an den Verhältnissen, sondern befestigt die eigentlich nur, vielleicht weil Kunst als so eine Art Ventil funktioniert…
Draxler: Als Ventil könnte man sehen. Ich denke, das ist die tiefer liegende Motivation, warum dieses Begehren so stark da ist, Kunst politisch zu machen. Manchmal, muss ich sagen, finde ich unpolitische Kunst politischer in dem, was sie einfach macht, als der aufgeladene Gestus und die Behauptung, der Anspruch, der oft mit politischer Kunst verbunden ist, wenn man sich die Frage stellt: was heißt Politik überhaupt? Geht es um Effekte im realen Leben? Soll deswegen jemand mehr Geld verdienen? Soll die Revolution ausbrechen? Soll die Emanzipation der Schwulen und Lesben vorangehen? Was heißen diese künstlerischen Aktionen letztlich innerhalb dieses rein politisch gedachten Raumes.
Kranz: Eigentlich ist es doch aber merkwürdig, dass dieses Politische ausgerechnet von der Kunst eingefordert wird, also dass die Kunst, die Gesellschaft reflektieren soll, dass sie Wegweisendes sagt, dass sie vielleicht sogar Sachen sagt, die die Politiker selber nicht sagen. Woher haben die Künstler denn überhaupt diese moralische Autorität?
Draxler: Das ist eine ganz große historische Frage. Es gibt eine Antwort von einem Kunsthistoriker darauf, der das ihrer exklusiven Stellung an den Höfen im 16., 17. Jahrhundert zuschreibt und das von daher diese Fantasie der Allmacht kommt, die Gesellschaft von außen beurteilen zu können
Kranz: Trotzdem gibt es dieses Sprichwort: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing." Also wie kann Kunst überhaupt kritisch sein, wenn sie doch gefördert wird von bestimmten Instanzen?
Draxler: Das ist tatsächlich, denke ich, eines der ganz großen Probleme – diese implizite Institutionalisierung politischer Kriterien in den Fördergeldern auf der einen Seite, aber auch im akademischen Bereich. Um einen Master zu bekommen, muss ich eine bestimmte Criticality performen und ich muss so und so kritisch sein, muss die und die kritischen Diskurse drauf haben, aber nicht, um meine Kriterien infrage zu stellen, sondern um sie zu erfüllen. Dann bekomme ich den Master oder das PhD. Und ohne diese Kritikalität geht es nicht. Das ist etwas, was unter der Hand entpolitisierend wirkt und die Strukturen bestätigt und nicht infrage stellt.
Diese Ausrichtung an den Fördertöpfen, das ist etwas höchst Ambivalentes, weil der Jargon könnte sich ja auch wieder ändern. Es könnte sein, dass nach der letzten Berlin Biennale alle sagen: Das ist jetzt wirklich genug mit der Politik. Jetzt sollten wir wieder eine Kehrtwendung machen. Und ich bin mir fast sicher, dass die nächsten Kuratoren eher wieder ein ganz Klassisches, ein galerienorientiertes, Malerei-und-was-weiß-ich-Programm machen. Wäre vielleicht auch gar nicht schlecht. Aber die Frage, welche Optionen sie überhaupt haben, die ist spannend.
Kranz: Dieses öffentliche Echo, über das wir reden, wenn wir Berlin Biennale sagen, da war es wirklich eindeutig negativ, ist aber eben auch nicht vorhersehbar. Bei der Documenta, die gerade gelaufen ist, hatten wir auch sehr viel politische Kunst, und da ist es gerade positiv besprochen und aufgenommen worden in der Presse.
Draxler: Da war mir die Berlin Biennale allerdings noch wesentlich lieber. Die Documenta war ein wirklich perfekt organisiertes Spektakel, aber es war kaum Kunst zu sehen, die ihre eigenen Bedingungen auch nur ansatzweise thematisiert hätte. Die haben alle innerhalb der vorgegebenen Räume, der zur Verfügung stehenden Budgets so reibungslos funktioniert, wie mir das eigentlich überhaupt noch nie untergekommen ist.
Kranz: Eigentlich könnte man sagen, wenn Kunst dieses Widerständige verliert, dann hört sie auf, Kunst zu sein, dann ist es eine Dienstleistung…
Draxler: Ich denke, dass man die Institutionen nicht so kategorisch kritisieren soll, sondern eher spezifisch, und kategorisch eher daran festhalten sollte, dass es interessante Orte sind: das Theater, das Museum, die Ausstellungshallen, die Konzertsäle – an denen diese politischen Fragen letzten Endes auch verhandelt werden können.
Kranz: Also mit anderen Worten, es geht nicht darum, einen neuen Trend auszurufen, sondern darum, dem Prozess auf die Spur zu kommen, der in einem Theater, einem Kunstmuseum abläuft?
Draxler: Ja, das trifft das Projekt sehr genau. Wir haben so viele Weltformeln in den letzten Jahren gehört - man musste nur im Haus der Kulturen der Welt von einem Projekt zum nächsten gehen, was toll ist, aber natürlich muss man auch sehen, wie sich diese Thesen gegenseitig relativieren. Ich habe selbst nur als Kurator gearbeitet. Man macht eine Ausstellung, investiert sein Herzblut, und nach sechs Wochen ist es vorbei und es kommt die nächste. Und dann die nächste. Wie geht man damit um? Jedes Mal ist man gezwungen gewissermaßen wieder eine Grundthese zu formulieren, wieder einen großen Sinnanspruch in die Welt zu setzen. Deswegen denke ich, dass ganz wichtig ist für Institutionen, ihre eigene Prozessualität zu reflektieren
Kranz: Ich möchte zum Schluss noch mal auf die Veranstaltung hier im Hebbel am Ufer zu sprechen kommen. Das ist eine Diskussionsreihe, die ist angelegt auf ein Jahr. Was soll am Ende des Jahres dabei rauskommen?
Draxler: Wir versuchen, und ich sehe das schon, dass wir das als Format benutzen können, in dem wir etwas entwickeln, in dem wir eben nicht feststehende Thesen zementieren und uns darauf ausruhen, sondern in den Diskurs mit den Praktikern kommen, aber auch mit Theoretikern, Leuten aus der Politik sozusagen hier ein Feld aufmachen, das in das Programm des HAU hineingeht, sich einschreibt als Teil des Programms, aber mit Blick auf das: was tun wir eigentlich? Und natürlich wäre es auch nicht schlecht, wenn wir es publizieren könnten und die Thesen der Nachwelt zugänglich machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.