Installation: "Jetzt sofort! Mein gutes Geld. Nicht selber jetzt. Mein gönn´ Dir mehr! Bestell´! Und schaff mein Gönn´ Dir das!"
Angie Hiesl: "Diese Ichomanie, diese Egozentrik, die wirklich dann alles auffrisst; die jedes andere Ich auffrisst. Roland und ich, wir beschäftigen uns ja schon ganz lange mit dem öffentlichen Raum. Es geht nämlich um das, es geht um die jetzige Zeit. Konsum über Konsum und Ichbezogenheit ohnegleichen. Eben in diesem ganzen Massenkonsumrausch."
Klare Kante gegen den Konsum
Mittendrin sogar. Zwischen drei Weihnachtsmärkten am Dom auf dem Kurt-Hackenberg-Platz haben Angie Hiesl und Roland Kaiser vier mal den Schriftzug "ICH" in menschengroßen 3-D-Buchstaben installiert. Je nach Tageslicht signalrot und toxisch in der Wahrnehmung – oder warmrot und irgendwie christsternfarbig. Ohne Schnökel - klarer Kontrast zur ansonsten etwas überdekorierten Vorweihnachts-City.
Angie Hiesl: "Das soll auch eine klare Kante sein. Also es darf auch ein bisschen verstören. Es ist eine Ich-Diagnose, kann man auf jeden Fall sagen. Ein Anstoßen, ein Im-Weg-Sein."
Angie Hiesl und Roland Kaiser wollen "die Stimmung infiltrieren". In den knallroten Buchstaben von "ICH" befinden sich Lautsprecher. Und ein neun Minuten langer Text ist zu hören, in Dauerschleife.
Installation: "Willst Du nicht raus? Raus aus dem Hamsterrad. Rein in die Freiheit. Raus in mein ´Schick zurück´? Mein ´Du da!´, mein Bescheid? Ich lass´ mich nicht für dumm!"
Textautor ist der Dramatiker und Dramaturg Lothar Kittstein.
Irgendwie auch wahnsinnig albern
Lothar Kittstein: "Wenn man zuhört, hat das auch einen Humor und ist irgendwie einfach auch wahnsinnig albern: Wie wir uns alle abstrampeln, unser Ich zu verwirklichen und uns zu behaupten, in einer Gesellschaft, wo alle einzigartig sind, aber irgendwie sind ja doch alle gleich und irgendwie ist das auch alles eine grandiose Absurdität."
Ein verwirrend vielschichtiger Text, ein Mash-up von Szenen und Gesellschaftsritualen, die wir alle kennen. Aus den Nachrichten der jüngsten Zeit oder selbsterlebt: Der auf einem Amateurfußballplatz niedergeschlagene Schiedsrichter, der Drängler hinter einem im Auto; und das rundum sorglose Gefühl, im Internet bestellte Ware jederzeit zurückschicken zu können. Dies alles poppt auf, enggeführt, extrem verdichtet. Emotion und Ego pur!
Lothar Kittstein: "Die Sau rauslassen, das ist, was man schon gerne möchte, sich aber nicht traut in vieler Hinsicht auch. Es ist ja nicht so, als würde jeder seine Egomanie grenzenlos verwirklichen. Klar, die sozialen Medien steigern das Ganze natürlich auch ins Unermessliche, weil jeder glaubt, immer recht zu haben. Und man an kann ja keinen Zentimeter konzidieren, dem Gegner, dass der vielleicht auch ein bisschen recht haben möchte. Deswegen eskalieren ja Onlinediskussionen auch so unglaublich."
Hier ist das anders. Wo man gesehen und gefilmt werden könnte, meint Lothar Kittstein. Die "ICH"-Installation auf dem Kölner Kurt-Hackenberg-Platz wird – wie man beobachten kann – von allen Passanten klar bemerkt. Manche bleiben kurz stehen, hören zu, gehen weiter; kopfschüttelnd oder grinsend. Es ist Kunst, soviel ist klar, aber was soll "ich" jetzt damit?
Beim Selfie mit dem "ICH" wackelt der Zaunpfahl
Angie Hiesl: "Was immer das auch bei ihnen auslöst, darum geht es uns. Du gehst an dem einen 'ICH' vorbei, nimmst es vielleicht wahr oder nimmst es gar nicht so sehr wahr, hast aber vielleicht die rote Farbe wahrgenommen. Dass es nicht diese Eindeutigkeit hat. Und sei es, dass sie erst beim zweiten oder dritten 'ICH' überhaupt darüber nachdenken, dass hier was anders ist an diesem Platz."
Eine Gruppe Teenager sinniert nicht über tiefere Bedeutungen, sondern nimmt die "ICH"-Skulpturen kurzerhand als Fotokulisse her. Auf ein Selfie mit "ICH!?" - da wackelt natürlich der Zaunpfahl, doppelt gemoppelt, aber Angie Hiesl ist genau das auch recht, denn eines will sie nicht: die Leute läutern.
Angie Hiesl: "An Reaktionen kommt alles mögliche: Was heißt das? Was ist das? Ist das Kunst, oder was wird damit gesagt? Und dann antworten wir natürlich auch oft: Was denken Sie? Und dann kommen wir ins Gespräch. Und das sind eigentlich wunderbare Momente."
Keine Predigt, sondern Kunst en passant, auf Augenhöhe mit den Menschen und für alle? Das Konzept geht auf! Am Ende ist es keine plakative Anti-Kommerz-Kunstaktion. Sondern lässt mir – dem Passanten – Platz, mich dazu zu verhalten und ist formal auch so spiegelklar und emotional mitreißend aufgestellt, dass es wirklich zum Nachdenken übers eigene Ich einlädt.
Installation: "Jetzt Vorfahrt, mein Genuss! Hinter diesem Vorfahrt jederzeit. Ich hinter dem Bescheid. Hinter dem Dumm-Verkaufen!"