Marietta Schwarz: Das Büro ist für Millionen Menschen hierzulande der Ort, an dem sie die meiste Zeit ihres Tages verbringen. Und somit auch ein Spiegelbild unserer Zeit, das schon immer einem stetigen Wandel unterworfen war. Schreibmaschine, Diktat und Brühkaffee waren gestern, aber Formulare, Aktenordner und Telefone mit Schnur gibt es immer noch. Und natürlich: die unsichtbaren Strukturen dahinter, in die man sich als kleines Individuum irgendwie einfügen muss. Gerade für Künstler, die eher selten in den klassischen Büroalltag eingebunden sind, muss das ein merkwürdiger Mikrokosmos sein - jedenfalls beschäftigen sie sich schon Jahrzehnte damit. Zu sehen jetzt in der Ausstellung "Out of Office" im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt. Und die Kuratorin Theres Rohde begrüße ich jetzt zum Corsogespräch. Hallo, Frau Rohde!
Theres Rohde: Hallo!
Schwarz: Was interessiert die Künstler in Ihrer Ausstellung denn an dem Sujet? Sie sind ja ein Museum für Konkrete Kunst - also ist der anonyme Ort der Organisation, das Regelwerk das, was Sie fasziniert?
Rohde: Ja, auf der einen Seite sind das wirklich die Tätigkeiten: das Erfassen, Registrieren, Ordnen, Sammeln, das Verwalten. Und auf der anderen Seite sind es die Materialien und die Maschinen, die da interessieren. Es gibt auch diese unglaubliche Industrie an Ordnungspräsentation in anderen Medien, die sich da etabliert hat, wie Ordner, Hüllen, Tacker, Locher, Textmarker bis hin zum Tipp-Ex, wenn was daneben geht.
Schwarz: Ja. Und die Sekretärin, die das verteilt.
Rohde: Genau. Das ist, glaube ich, immer ganz wichtig zu unterstreichen, dass das Büro ja nicht nur ein Ort ist mit seinen Architekturen und seinen Einrichtungsgegenständen, sondern auch Handlungsanweisungen, Strukturen, Kommunikationsmittel und vor allen Dingen: Menschen arbeiten da.
Herangehensweise mal ernst, mal ironisch
Schwarz: Sie werfen in Ihrer Ausstellung ja auch den Blick zurück auf einige Jahrzehnte. Welche Künstler haben sich denn diesen Büroalltag wie vorgeknöpft?
Rohde: Also die etwas ältere Position, so etwa Peter Roehr aus den 1960ern, dann haben wir ja frühe Arbeiten der deutschen Pop-Art, könnte man sagen. Und er hat sich immer wieder den gleichen industriellen Dokumenten angenommen, zum Beispiel Etiketten, und hat sie immer in einem Block montiert. Und dadurch bekommen sie eine ganz andere Kraft, als wenn sie einzeln auf unserem Schreibtisch liegen. Ja, andere Künstler nehmen sich den Kugelschreiber, den ganz normalen Kugelschreiber, und nutzen nicht nur einen, sondern Nadine Fecht nimmt gleich 1.200 Stück zur gleichen Zeit.
Schwarz: Ist das ein ironischer Blick?
Rohde: Sicherlich. Also, es gibt die einen Künstler, die das ganz ernst nehmen und diese Regelwerke versuchen in einen künstlerischen Prozess zu übertragen. Und dann gibt es andere Künstler, die mit dem Augenzwinkern arbeiten. Zum Beispiel Peter Piller, der war Büroangestellter, hat sich aber dabei wahnsinnig gelangweilt und hat Bürozeichnungen angefertigt. Und die sind voller Ironie und Witz.
Zwischen Chaos und Struktur
Schwarz: Gibt es denn eigentlich so etwas wie ein Prototyp-Büro? Also irgendwie haben wir ja in der Redaktion darüber nachgedacht, ob Walter Gropius nicht mal diesen Prototyp entwickelt hat, wie das ideale Büro aussehen muss.
Rohde: Ich glaube das ideale Büro ist eigentlich schwer zu fassen, weil ja eigentlich jeder Mensch ein Büro hat, aber es jedes Mal anders aussieht. Aber darüber hinaus gibt es eben das kreative Chaos manchmal und manchmal, bei anderen Leuten, die ganz klare Struktur.
Schwarz: Und es gibt zum Beispiel das Designatelier oder das Büro im Einwohnermeldeamt. Und dazwischen liegen auch Welten, oder?
Rohde: Genau. Das ist es eben. Dieses Thema Büro hat unglaublich verbindenden Charakter, ob Frau, Mann, Konservativer, Liberaler, Berufsanfänger oder auch Ruheständler - wir alle haben ein Büro und wir alle regen uns wunderbar über Bürostrukturen und Bürokratie auf. Und das ist eigentlich das Besondere: Es ist ein Thema, das alle betrifft, eine große Schnittmenge hat und trotzdem eine künstlerische Freiheit lässt, könnte man fast sagen, wie der Einzelne sein Büro gestaltet.
Schwarz: Ich habe ja eben schon mal das Einwohnermeldeamt erwähnt. Sie haben ja die Amtsstuben, jedenfalls die in Ingolstadt, in der Ausstellung auch mal näher unter die Lupe genommen. Gibt es so etwas wie das Wesen der Amtsstube?
Rohde: Ja, ich denke schon, dass es verbindenden Charakter hat. Einmal in der Einrichtung oder auch in solchen Kleinigkeiten: Wir haben alle so einen Chip, den wir mit uns herumtragen am Schlüsselbund, und der liegt auf fast jedem Schreibtisch drauf. Das ist nämlich der, den wir zum Stempeln brauchen. Und an solchen Details zeigt sich, es gibt verbindende Elemente, obwohl in einer Stadtverwaltung es so verschiedene Aufgabengebiete gibt.
Der Ficus benjamini
Schwarz: Aber es gibt natürlich, wenn ich an Amtsstube denke, auch immer wieder diese Versuche, das irgendwie zu individualisieren, oder? Zu schmücken mit dem privaten Bild oder mit der Diddl-Maus oder was auch immer es dann ist, mit der Bürotasse.
Rohde: Da haben Sie Recht. Ich denke, da wird der Büroangestellte auch zum Bürobewohner. Wir sind ganz viele Stunden im Büro. Und wir versuchen, uns unseren kleinen Lebensraum, den wir da haben, zu eigen zu machen. Sei es durch Familienfotos, Kinderzeichnungen, bis hin zur Büropflanze, die auch bei uns in der Ausstellung vorkommt.
Schwarz: Was ist das für eine?
Rohde: Bei mir zu Hause?
Schwarz: Ein Ficus Benjamini?
Rohde: Ja, das ist ganz häufig. So eine Büropflanze muss vor allen Dingen robust sein. Es ist ja so, dass ja keine Jahreszeiten im Büro herrschen, oft gibt es zu viel oder zu wenig Licht. Also das führt dann dazu, dass eine Büropflanze auch oft anarchistischen Charakter hat. Als ob der Wildwuchs im Reglement wäre. Aber es gibt auch andere Tendenzen. Es heißt ja auch, dass es momentan die Überlegung gibt, dass jeder nur noch einen Container hat und sich morgens seinen Arbeitsplatz sucht. Egal an welchem Schreibtisch.
Schwarz: Genau.
Rohde: Solche Tendenzen gibt es auch.
Gibt es überhaupt noch den Status "Out of Office"?
Schwarz: "Out of Office" - dann sind wir irgendwie auch bei Ihrem Titel der Ausstellung, die Abwesenheitsnotiz, die manche von uns noch als E-Mail anlegen. Aber die gibt es doch eigentlich gar nicht mehr, oder? Wir sind doch alle jederzeit im Büro.
Rohde: Das stimmt. Mit Smartphones haben wir ja die Möglichkeit, die E-Mails durch die Umleitung direkt auf unser Handy zu bekommen. Also die Frage stellt sich - ganz korrekt, wie Sie sie eben aufgebracht haben: Gibt es überhaupt noch den Status "Out of Office"? Und tatsächlich ist dieser Begriff für uns in der Ausstellung mehrfach belegt: Einmal eben "Out of Office", das Büro ist im Museum, also nicht mehr im Büro, sondern im Museum. Und dann machen wir die Frage auf: Was ist eigentlich noch die Abwesenheitsnotiz?
Schwarz: Theres Rohde über "Out of Office", eine Ausstellung über Bürowelten im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt. Frau Rohde, vielen Dank für das Gespräch.
Rohde: Bitte schön.
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Die Ausstellung "Out of Office. Bürokunst oder das Büro im Museum" ist vom 02.04. bis 10.09.2017 im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt zu sehen.