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Kunsthalle Bremen
Picasso und seine Sylvette

Sylvette David war einst Muse von Pablo Picasso. Sie inspirierte ihn zu einer Sturzflut von Porträts, zu Dutzenden von Skizzen und einer Reihe bemerkenswerter Skulpturen. Eine Ausstellung in Bremen widmet sich Picassos "Sylvette-Fieber".

Von Rainer Berthold Schossig |
    "Sylvette, Sylvette, Sylvette" - so echot die Bremer Kunsthalle jetzt im Titel ihrer großen Sommerausstellung, wieder rund um eines der wichtigen Bilder der Bremer Sammlung. Sylvette hieß das schlanke junge Mädchen mit blondem Pferdeschwanz, in deren Banne anno 1954 der damals 73-jährige Pablo Picasso einen vielteiligen Werkzyklus schuf. Sylvette verkörperte das weibliche Schönheitsideal der Zeit. Und noch heute, 60 Jahre älter lässt das Erscheinungsbild von Sylvette David ahnen, was für eine außergewöhnlich schöne junge Frau sie damals war.
    Sylvette, die nie Geld von dem großen Künstler annahm, die nie nackt vor ihm posierte, scheint bis heute im Bann jener sommerlichen Monate, da sie ihn zu einer Sturzflut von Sylvette-Porträts, zu Dutzenden von Skizzen und einer Reihe bemerkenswerter Skulpturen hinriss. Die große, ambitionierte Bremer Ausstellung entführt den Besucher zunächst ins Keramikdorf Vallauris an der Côte Azur, wohin Picasso nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen war - mit Françoise Gilot, die ihn 1953 verließ. Bemalte Terrakotten, eine Vase mit Frauenhals und ein aus Fundstücken zusammen montierter lebensgroßer Kranich verweisen auf den Zeitgeist zwischen Kunst, Kitsch und Lebensfreude, dem sich der weltberühmte Künstler hingab.
    Eine weitere Einstimmung folgt sogleich: eine Suite mit Frauendarstellungen, zu denen ihn Françoise inspiriert hatte: Die Frau als Blume, als Gefäß, als Sonne. Stilistisch hatte Picasso seine diversen künstlerischen Waffen damals längst geschmiedet, insbesondere das Thema Variation und Paraphrase hatte er vielfach durchgespielt. Picasso - Lebemann und Frauenheld, Ehrenbürger, Kommunist und Genie - stürzt durch den Verlust der Gefährtin Françoise in eine Schaffens- und Lebenskrise, aus der er erst durch die Begegnung mit Sylvette David herausfindet. Doch nun legt er los: Die große, scheue Blonde aus Nachbars Garten bezaubert ihn. In kürzester Zeit entsteht eine Flut von Gemälden und Zeichnungen, Skizzen und schließlich gar Skulpturen aus gefaltetem und apart bemaltem Aluminiumblech.
    Die Bremer Schau buchstabiert gleichsam Picassos Sylvette-Fieber. Durch mehrere Ausstellungsräume flaniert man an den Sylvetten entlang, nahezu alle Grau in Grau gemalt; hier trifft man auch auf jenes Bild aus der Sammlung, das - unmittelbar nach der "Epoque Sylvette" - nach Bremen kam. In seiner zarten, spröden Grisaille-Komposition zeigt es Sylvette wie ein Stück scheues Wild: übergroße Augen, ein überlanger Hals, der wie der Stängel einer Blüte aus dem Blätterkragen ihres Kapuzenmantels herauswächst, überwuchert von weißblonder Lockenpracht. Sicherlich eines der besten Stücke aus der Vielzahl der in Bremen versammelten "Sinfonien in Grau".
    Unterbrochen werden die Porträts immer wieder durch zeitgenössische Presse- und Fotoreportagen, zum Beispiel aus "Paris Match" oder dem "Spiegel". Sylvette war ein Medienereignis mitten im Touristenrummel Südfrankreichs. Und für Picasso wurde die obsessive Serie zum Ausgangspunkt für sein Spätwerk: die Auseinandersetzung mit dem Thema "Maler und Modell". Auch diesem Abgesang auf das Oeuvre Picassos in den 60er-Jahren widmet die Ausstellung noch einmal breiten Raum mit bedeutenden internationalen Leihgaben.
    So hält der Besucher am Ende etwas benommen inne angesichts dieser Materialfülle. Es ist der bekannte Picasso-Effekt: Das Übermaß an Invention und Variation, Paraphrase und Karikatur, mit dem Picasso sich - gleichsam nimmermüde - auf seine Themen stürzt. Die enzyklopädische Akribie, mit der Ausstellung und Katalog die Erinnerung an Sylvette ausleuchten, erzeugt neben Bewunderung auch einen Hauch von Ermüdung. Dennoch: Der Besuch in Bremen lohnt allemal.