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Kunsthalle München: "Pracht der Samurai"
Schutzpanzer und Kulturobjekt

Samurai prägten die Geschichte Japans seit dem 12. Jahrhundert als Krieger und politische Elite, standen für Kampfesmut und Disziplin. Ab dem 17. Jahrhundert waren sie zunehmend in der Verwaltung tätig. Ihre Rüstungen waren seitdem Repräsentationsmittel, zeigt eine Ausstellung in München.

Von Christian Gampert |
    Wandschirm, der in der Ausstellung in der Kunsthalle München zu sehen ist.
    Wandschirm (Byōbu), Mittlere Edo-Zeit, frühes 18. Jh., Tinte, Farbe und Gold auf Papier. (The Ann & Gabriel Barbier-Mueller Museum, Dallas Foto: Studio Ferrazzini Bouchet Photography, Genf)
    Der erste Eindruck ist bizarr. Denn diese mit kostbaren bunten Stoffen, mit Gold und Tier-Symbolen reichverzierten japanischen Kriegerrüstungen haben etwas ungemein Theatralisches, Skulpturales, Tänzerisches, düster Commedia-Artiges, als wollten sie sich gleich in Bewegung versetzen – und zwar nicht unbedingt zum Kampf, sondern vielleicht zu einer Prozession oder einem kleinen Totentanz, einem Nô-Spiel oder einem Fasnachts-Umzug. Das mögen europäische Assoziationen sein; aber das komplexe Gesamtkunstwerk einer Samurai-Rüstung formt mit seiner furchterregenden Maske und den beweglichen Körperpanzerungen eine menschliche Silhouette, die uns fremd und vertraut zugleich anmutet. Das "Schandele" der schwäbisch-alemannischen Fasnet ist jedenfalls gar nicht so fern, viel näher jedenfalls als die schweren eisernen Rüstungen der europäischen Ritter.
    Die Elite des Landes
    Aber der historische Hintergrund dieser japanischen Exponate ist natürlich ein ganz anderer. Als im 12.Jahrhundert der Shogun, der oberste Militär, vom japanischen Kaiser die Macht übernahm, wurden die Samurai zur Elite des Landes. Regionale Kriegerfürsten konkurrierten im 15. und 16.Jahrhundert um die Macht in den Einzel-Territorien des zerfallenden Reiches – und dieses Klischee des grausamen, im Schwertkampf fast unbesiegbaren Kriegers prägt unsere Vorstellung vom Samurai bis heute.
    Dann aber, in der im 17.Jahrhundert beginnenden, weitgehend friedlichen Edo-Zeit, wurden die Samurai zu Finanz-, Zensur- und Verwaltungsbeamten des geeinten Reiches. Der Shogun verpflichtete sie auf Treue.
    "Und eine Praxis ist die der wechselnden Aufwartung. Also es müssen die einzelnen Fürsten immer aus ihren Provinzen mit ihrem kompletten Gefolge, ihren Bediensteten und aller Ausrüstung anreisen und dem Shogun in Edo ihre Aufwartung machen…"
    Kostbare Rüstungen im Stilmix
    Zu dieser Audienz erschienen die Samurai in ihren kostbaren Rüstungen, die nun zum Statussymbol wurden - sagt Kuratorin Nerina Santorius. Das Problem der Ausstellung ist, dass sie nicht chronologisch vorgehen kann - denn eine Stil-Entwicklung der Rüstungen gibt es nicht. Es ist im Gegenteil so, dass oft verschiedene Jahrhunderte in einer einzigen Rüstung präsent sind - der Helm stammt vielleicht aus dem 14.Jahrhundert, Brustpanzer und Beinschienen aus dem 15., die Unterkleider sind noch später hinzugekommen.
    Die Ausstellung erzählt thematisch - einmal von den Fürsten, den Daimyo, dann von den Schmieden, Lederhandwerkern, Webern, Brokatstickern, Lackierern, die diese theatralischen Rüstungen fertigten. Im zentralen Saal sind drei Samurai auf ausgestopften Pferden inszeniert, sie sprengen scheinbar auf uns zu - sehr effektvoll, wie apokalyptische Reiter.
    Aus schmuckvollen Panzern werden Handelsobjekte
    Vielleicht, sagt die Kuratorin, gibt es so etwas wie eine funktionale Weiterentwicklung der Rüstungen: Nach Einführung der Handfeuerwaffen 1543 durch die Portugiesen wurde der schützende Brustpanzer wichtig; andererseits fühlten sich die Samurai dem gemeinen, aus der Ferne schießenden Fußvolk überlegen - der Samurai folgte einem strengen Ethos, seine Rüstung war einzigartig, und seine Waffe war das aufwändig geschmiedete Schwert.
    Rein waffentechnisch war das wenig zukunftsträchtig, und mit der Absetzung des Shogun 1868 wurde auch der dem Staat auf der Tasche liegende, in der Edo-Zeit rein repräsentative Kriegerstand abgeschafft. In Zeiten allgemeiner Wehrpflicht verwiesen dann alteingessene, aber verarmte Samurai-Familien gern auf ihre große Tradition; andererseits verkauften sie schon Ende des 19.Jahrhunderts zahlreiche Samurai-Rüstungen nach Europa, das seine Liebe zu Japan entdeckte.
    Nachdem der Kriegerstand abgeschafft wird, gelangen diese Objekte in den Handel. Die Objekte, die in der Sammlung von Ann und Gabriel Barbier-Mueller sich befinden, sind zu großen Teilen in Europa erworben worden.
    Also: keine Raubkunst. Der Sammler Gabriel Barbier-Mueller war in seiner Jugend als Ethnologe unterwegs, und ihn faszinieren wohl vor allem die vielfältigen mythologischen und religiösen Anspielungen auf den Rüstungen. In der Tat gibt es dort Tiere und Pflanzen, buddhistische Wächtergottheiten oder Figuren mit übernatürlichen Abwehrkräften. Allein die Fisch-, Vogel oder Fuchsgesichts-ähnliche Helm-Zier aus der mittleren Edo-Zeit, die mit schuppigen Flügel-Ohren und wirrem, weißem, Andy-Warhol-haftem Pferdehaar bekrönt wird, lässt jeden heutigen Maskenbildner erblassen - und uns freudig nach München reisen.