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Kunstlandkarte Deutschlands
Abdrücke auf Büttenpapier von Gullys und Müll

Grund- und Boden-Richtwertbestimmungen nehmen die Münsteraner Künstler Ruppe Koselleck und Susanne von Bülow seit einigen Jahren vor. Das klingt eher nach Aktenordner und Formular, es handelt sich dabei aber um ein originelles Druckverfahren. Mithilfe von Planierwalzen erstellen sie 1:1-Abdrucke von billigen und teuren Pflastern. So entsteht nach und nach eine Kunstlandkarte Deutschlands.

Von Peter Backof |
    Walzenfahrer: "Dann mann tou."
    So sagt man im Originalton in Kiel: Wenn es losgeht. Walzenfahrer Klaus kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Walzenfahrer: "Jou. Das ist mal was Neues, interessant, mal was anderes zu machen."
    Für zwei Tage ist er angemietet bei der "Grund und Boden-Richtwertbestimmung" von Ruppe Koselleck und Susanne von Bülow - mit seinen Planierwalzen: Die eine 1,7, die andere sieben Tonnen schwer.
    "Bis 30er-Körnung haut er weg, macht er klein!"
    Schotter zermahlt die Walze – normalerweise – locker zu Staub. Am Tirpitzhafen, einem militärisch geprägten Areal direkt an der Kieler Förde, ist heute alles anders: Die Passanten können die Szene überhaupt nicht einordnen. Da sind die Künstler in Baustellenleibchen und seltsame Uniformen gekleidet und bemalen Pflaster und Gullydeckel in schrillen Farben. Grün an Blau an Pink, ganz nach spontanem Gusto. Dann wird ein Quadratmeter Tapete darüber gelegt und das Ganze mit dicken Decken und Matten verhüllt. Die Walze rollt darüber.
    "Das ist 350 Gramm schweres Büttenpapier aus hundertprozentiger Baumwolle mit der Fähigkeit, sehr große Kräfte überhaupt aushalten zu können. Das würde ein normales Papier gar nicht machen."
    Erklärt Susanne von Bülow. Das Papier wurde gewässert und ist besonders saugfähig. Der dicke Deckenberg zwischen Walze und Pflaster bewirkt Erstaunliches.
    Aquarell von Gullydeckeln
    Zu sehen ist ein 3D-Relief von allem, was in diesem Moment auf dem Pflaster war: Die psychedelischen Farben jetzt als Aquarell von Gullydeckeln. Kaufgummiflecken, Grashalme wie Fossilien. Sehr schön, aber das ist nicht allein Sinn des Ganzen:
    "Wir verkaufen immer die Bilder zu genau dem Preis wie die Bodenrichtwerte das hergeben."
    Das heißt, die Künstler erkundigen sich vorher bei Kommunen über Grund- und Bodenpreise. Den sogenannten Bodenrichtwert muss man sich vorstellen als Quadratmeterpreis.
    Das teuerste Pflaster, das Ruppe Koselleck jemals "ausgedruckt" hat, lag am Burghügel in Nürnberg. Für die 10.000-Euro-Tapete, die Kopfsteinpflaster und Touristenmüll abbildet, fand sich indes noch kein Käufer. In Kiel werden zwölf Areale abgewalzt. Von der Brache mit dem Richtwert 80 Euro bis zum teuersten Fleckchen, der Holstentörn: 3.500 Euro pro Quadratmeter. Wenn ein Druck nun ästhetisch gefühlt mehr wert wäre als 80 Euro? Pech gehabt, sagen die Künstler, die nur Unikate anfertigen und sich sklavisch an das 1:1-Konzept halten.
    Susanne von Bülow und Ruppe Koselleck: "Das ist ein kunstmarkt-feindliches Prinzip, wenn man so will, diese Kopplung an den Bodenrichtwert. Es ist natürlich eine Demonstration von Kunst. Ist das Kunstperformance oder Demo? Künstlerische Aktion, denke ich mal. Ja! - Wir sind jetzt ein bisschen in der Schlossallee."
    Eine Villengegend. Hier kann man nicht die grobe Sieben-Tonnen-Walze nehmen, es muss die kleinere, nur 60 Zentimeter breite sein für ein gutes Relief, weil das Pflaster nicht nur teuer, sondern vor allem uneben ist. Es ist ein bisschen wie Realsatire: Der Eigentümer der imposantesten Gründerzeitvilla hier verbat, sein Haus zu fotografieren. Die zugezogenen Gardinen wackeln ein wenig, während gedruckt wird. In ärmeren Gegenden sind die Künstler meistens willkommen. Sind diese Grund- und Boden-Drucke vielleicht sogar so etwas wie eine soziologische Studie? Ein Aura-Abdruck von Straßenzeilen zwischen Badstraße und Schlossallee wie im Monopoly-Spiel? Wahrscheinlich schon, wenn auch künstlerisch und nicht wissenschaftlich repräsentativ.
    Ruppe Koselleck: "Wann wurde welches Gebiet zu welchem Preis verkauft? Da sieht man halt: Vor der Wirtschaftskrise, nach der Wirtschaftskrise. Erheblich! Bis zu einem Drittel schießt das nach oben."
    Preisanstieg in Deutschland
    Es gab insgesamt einen signifikanten Preisanstieg für Grundstücke in ganz Deutschland im Zuge der Bankenkrise, das zumindest können die Künstler mit ihrem Archiv von Footprints nachweisen. Vor Ort in Kiel drückt sich aus: Mittlere Preislagen, eine Landeshauptstadt zwar, aber etwas an der Peripherie.
    Die aktuellen Drucke werden übrigens in einem Flüchtlingsheim ausgestellt. Dort, in einer seit Oktober 2015 umfunktionierten Schule, sagt Ruppe Koselleck, hätten Menschen noch mal ein ganz anderes Verhältnis zu Grund und Boden, nämlich gar keins. Missionarisch ist das alles nicht gemeint. Manchmal werden die Künstler in Aktion sogar von Passanten auf den ersten Blick mit Immobilienspekulanten verwechselt.
    Walzenfahrer: "Puh, ja, Ansichtssache, nein, nein, kann man nicht irgendwo hinhängen, so was ehrlich nicht."
    Über das Sofa hängen würde sich der Walzenfahrer einen solchen Druck auf keinen Fall, aber auch er räumt ein: Dass die Grund- und Boden-Richtwertbestimmung eine gute Aktion ist, mit einer ganz eigenen, zweiten Wirklichkeit.