"In dem Augenblick, in dem Menschen anfangen, an einem Ort zu leben, entsteht eine Welt und dann entsteht aus dieser Welt eine eigene Dynamik," sagt Susanne Marina, eine der Produzentinnen des DAU Projektes, das eigentlich im letzten Herbst in Berlin uraufgeführt werden sollte – als Kunstinstallation der Superlative, als immersive Mischung aus Film, Theater und Performance. Besucher sollten in eine künstlich reproduzierte Parallelwelt eintauchen, in die Ära Stalins. Abgeschottet durch eine Mauer. Es scheiterte an den Berliner Behörden, die das Aus mit einem mangelhaften Sicherheitskonzept begründeten.
400 Menschen spielen Stalinismus
Hinter DAU steckt der russische Filmemacher Ilya Khrzhanovsky, dessen Idee ursprünglich ein Film über den Physiker Lew Landau war. Dafür ließ Khrzhanovsky in einer künstlich angelegten Stadt 400 Menschen rund zwei Jahre lang ein Leben unter totalitären Bedingungen führen – und filmte alles. Von harmlosen Alltagstätigkeiten bis zu Sex und Gewalt.
Es kommt, wie es kommt - wenn es kommt
Heute nun sollte DAU für Besucher in Paris eröffnet werden – mit dem aufgenommenen Filmmaterial und als mehrstündiges Live-Erlebnis für die Besucher. Wie Eberhard Spreng aus Paris berichtet, gab es allerdings noch nichts zu sehen. Das Publikum sei auf den Abend vertröstet worden, aber auch diese Aussicht habe sich bald zerschlagen. Tatsächlich erscheine es bisher unklar, wie die beiden Theater, in denen DAU stattfinden soll, die vielen Teilnehmer und an die 2000 Besucher aufnehmen könne. Auch einen konkreten Zeitplan gebe es nicht, aus guten Gründen: Die teilnehmenden Künstler, wie etwa Marina Abramovic, Carsten Höller, Teodor Currentzis samt seinem Orchester, Brian Eno mit seinem Sound Scaper, seien nicht nach den Zeitplänen eines Programms zu hören oder zu sehen. Vielmehr solle alles aus der eigenen Dynamik der Projekts entstehen. Das Publikum müsse praktisch täglich viele Stunden dort verbringen, um alles mitzubekommen.
Leben im Paralleluniversum
Die Idee hinter dem Projekt: Der Versuch, das Leben selbst einzufangen. Dafür hatte Filmemacher Krhazhanowsky ein geschlossenes Paralleluniversum eingerichtet und darin ausprobiert, inwieweit seine totalitären Setzungen befolgt würden. Ein großes sozialpsychologisches Experiment, das jetzt in die Öffentlichkeit treten sollte. Was auch deshalb kompliziert sei, so Eberhard Spreng, weil vorher alles unter strikter Geheimhaltung verlaufen sei. Problematisch sei auch die Ausgangslage für Besucher, die, um Zugang zu erhalten, viel Privates von sicher preisgeben müssten. Sein "Namensvisum" zum Beispiel enthalte die Frage: Haben Sie schon einmal einen Menschen sehr verletzt?