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Kunstprojekt
Die Bibel auf der Kabeltrommel

Aus recycelten Bibeln fertigte eine Künstlerin Girlanden. Das Werk entstand zum 200. Jahrestag der Union von Reformierten und Lutheranern in der Pfalz. Ist das nun Freiheit des Christenmenschen oder mangelnder Respekt vor der Schrift? Am Einheitsprojekt scheiden sich die evangelischen Geister.

Von Anke Petermann | 28.08.2018
    Bibel Kunst Evangelische Kirche Rheinland-Pfalz Künsterlin Kabeltrommel Recycling
    Aus alten Haushaltsbibeln soll Kunst entstehen. (Deutschlandradio/Anke Petermann)
    Im Fachwerk-Atelier aus dem 18. Jahrhundert zückt Silvia Mielke ein Teppichmesser und trennt den Deckel einer 80er-Jahre-Bibel ab. Mit der Schneidemaschine löst sie den Buchrücken, zerschneidet die Seiten, faltet und leimt sie zum Band. Abschnittweise trocknet die Recycling-Künsterlin die leimfeuchten Bänder auf einer Wäscheleine, wickelt sie dann auf eine Kabeltrommel. Soeben kommt Mechthild Werner von der Kirchenverwaltung Speyer herein und stellt einen Wäschekorb ausrangierter Bibeln auf den Tisch, blättert in den Bibeln verschiedener Jahrgänge:
    "Eselsohren …"
    2017 wurde eine neue Ausgabe der Luther-Bibeln für die Gemeinden angeschafft. Anstatt die Vorgänger-Exemplare ins Altpapier zu geben, kann man sie zur Feier der Kirchen-Union wiederverwerten, befand Pfarrerin Mechthild Werner. Die Beauftragte der Protestantischen Landeskirche fürs Unions-Jubiläum erteilte Silvia Mielke den Auftrag für das Projekt namens 'Vielfalten'. Trotz Widerspruchs aus Kaiserslautern steht Werner hinter dem Kunstwerk. Sie deutet auf die aufgespulten Papierbänder:
    "Wenn man das hier so sieht, aufgerollt auf diese Kabeltrommeln, das Wort Gottes - und das sieht man, wenn man da ein bisschen näher hingeht, dass es Bibelseiten sind - dann weckt es ganz verschieden Assoziationen. Die Idee war ja gerade, nicht-kirchlich geprägte Menschen damit anzusprechen und das in den öffentlichen Raum zu tragen. So wie bei der Union der Festzug von der lutherischen zur reformierten Kirche ging, wäre das ein wunderbar sprechendes Symbol gewesen, zu sagen: 'Gottes Wort am laufenden Band durch die Jahrhunderte verbindet uns'."
    Veto aus Kaiserslautern
    Werner spricht im Konjunktiv, denn die Bezirkssynode Kaiserslautern, das regionale Kirchenparlament, hat diese Präsentation zum Unions-Jubiläum mit großer Mehrheit abgelehnt. Den Antrag hatte Susanne Wildberger gestellt. Die Pfarrerin der Kaiserslauterer Apostelkirche begründet ihr Einschreiten so:
    "Im Zentrum unseres Gottesdienstes steht die Predigt, und die gründet sich immer auf einen Bibeltext. Und wenn wir unser Wichtigstes kaputt und unbenutzbar machen – eine Landeskirche, eine Evangelische Kirche kann sich mit so was nicht in der Öffentlichkeit zeigen und auch schon gar nicht anlässlich ihres Geburtstages, ihres Gründungsjahres vor 200 Jahren. Wir vernichten das, worauf wir uns gründen. Was ist denn das für'n Symbol? Das klappt nicht."
    Die meisten Synodalen folgten Wildbergers Auffassung. Ohne allerdings den Initiatoren in der Kirchenverwaltung die Chance zu geben, das Projekt auf der Bezirkssynode vorzustellen. Unwidersprochen blieb daher Wildbergers Meinung, es sei "peinlich", fehlende Wertschätzung der heiligen Schrift gegenüber zu demonstrieren.
    Sie sagt: "Sehr, sehr peinlich vor anderen gläubigen Menschen, vor anderen Christen, vor Juden, Moslems", findet Wildberger.
    "Zerschneiden, aufrollen, abrollen, drauf rumtrampeln"
    Die Synodalen beeindruckte Wildbergers Wort gegen die Recyclingkunst. Insbesondere der Verweis auf andere Religionen. So erinnert sich Margarethe Hopf, Synodale und Pfarrerin der Stiftskirche Kaiserslautern, einem der historischen Orte der pfälzischen Kirchenunion.
    "In diesem Kontrast wurde dann auch gesehen, wie wir umgehen mit unseren Bibeln, dass wir sie, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, zerschneiden, aufrollen und abrollen auf der Straße, so dass Leute drauf rumtrampeln können – so wurde es diskutiert."
    Besser gesagt: in den Raum gestellt. Denn es war ja keiner der Initiatoren anwesend, um zu klären, ob Bibel-Bänder tatsächlich auf dem Boden landen würden. Beziehungsweise, wie die Organisatoren von der Kirchenverwaltung sicherstellen wollten, dass keine Bibelseiten mit Füßen getreten würden.
    "Wir hatten das Gespräch angeboten", betont Mechthild Werner als Unionsbeauftragte. "Das wurde abgelehnt. Jedwede Kunst und auch die Theologie sollte ja im guten Sinne Provokation sein, also provocare, herausrufen, 'beschäftigt euch damit'."
    Auch mit der Frage: Was bedeutet euch die Bibel, was daran ist euch wertvoll und heilig? Doch die Synodalen wollten diese Provokation im Jubiläumsjahr nicht, ihren Beschluss fällten sie ohne Aussprache. Margarethe Hopf beobachtete:
    "Die Verletzung der Personen, die so gedacht haben und das vorgestellt haben, war ausschlaggebend für die Mehrheit so abzustimmen, dass es nicht gemacht werden soll."
    Ratlos im Atelier
    Pfarrerin Hopf selbst fand das Kunstprojekt ursprünglich interessant, enthielt sich aber. Der Wunsch, im Unions-Jahr keinen zu verletzen, die Furcht, andere Konfessionen könnten Anstoß nehmen, waren entscheidend. Schade, dass wir die Auseinandersetzung gescheut haben, bedauert Mechthild Werner als Projektleiterin bei der Evangelischen Kirche der Pfalz:
    "Wir haben von der Unionsurkunde vor 200 Jahren das Motto bekommen: Wir Pfälzer Protestanten, 'auf dem Weg wohl geprüfter Wahrheit mutig voranzuschreiten'. Und ich fand, das war sehr mutlos, einfach zu sagen: 'Nein, das wollen wir nicht'. Das war auch keine wohl geprüfte Wahrheit, man hat sich damit nicht auseinandergesetzt."
    In ihrem Jockgrimer Atelier bleibt Silvia Mielke ein bisschen ratlos zurück. Sie selbst ist Protestantin, ihre Tochter Pfarrerin – nichts läge der Künstlerin ferner, als religiöse Gefühle anderer verletzen zu wollen. Am liebsten hätte sie das Projekt am historischen Ort umgesetzt, doch jetzt freut sie das Interesse aus Frankenthal und Ludwigshafen. Dort wollen Gemeinden das künstlerische Bibel-Recycling in einem anderen als dem Jubiläumszusammenhang umsetzen. Schmerzlich, weil unangemessen findet das Hermann Lorenz, Vorsitzender der Bezirkssynode Kaiserslautern und der pfälzischen Landessynode. Die Unionsbeauftragte Mechthild Werner dagegen ist zufrieden, dass nun auch Konfirmanden in die Frage einbezogen werden, wie man mit alten Gebrauchsbibeln verfährt.
    "Die hätten sonst dieses Thema gar nicht angepackt", sagt Mechthild Werner. "Insofern ist das allein schon ein Erfolg. Und wir haben es in die Öffentlichkeit gebracht. Und das schmerzt mich nicht – im Gegenteil."