"Ich bin dabei, Kartons zu bemalen. Die dienen dazu, Objekte zu verpacken, die ich hier hergestellt habe. Totenköpfe und Schädel aus Putz etwa, den ich hier im Keller gefunden habe."
Düster sind viele der Werke, die Denis Meyers in den letzten Monaten angefertigt hat. Neben Totenköpfen und Schädeln hat er vor allem Satzfragmente, Gedichte und Verben gemalt. Die Zeichnungen entstammen seinen Notizbüchern, er hat sie an Wände, Decken und Türen eines alten Bürogebäudes im Südosten von Brüssel gesprayt - dem ehemaligen Hauptsitz der Chemiefirma Solvay.
Vieles davon wird es bald nicht mehr geben: In den nächsten Wochen kommen die Bagger und reißen das mehr als einhundert Jahre alte Gebäude ab. Wohnungen und soziale Einrichtungen kommen dann hierhin.
"Ich werde persönlich den ersten Stoß der Abrissmaschine ausführen, also den Abriss symbolisch einleiten. Das wird ein fröhlicher und ein schwieriger Moment. Eine Seite wird umgeblättert - das ist ein Weg, um weiterzumachen. Gleichzeitig wandern zehn Monate meines Lebens in den Mülleimer."
Dass es so kommen würde, war Meyers von Anfang an klar. Dennoch hat der 36-jährige Künstler und Typograf seit September letzten Jahres dem Gebäude sein Leben gewidmet, nach jahrelangen Verhandlungen mit dem Eigentümer. Tage und Nächte hat er hier gearbeitet, um etwa die Hälfte des 50.000 Quadratmeter großen Gebäudes zu bemalen.
Sophie gehört ebenfalls zum Team und führt mich durch die vielen, verschlungenen Gänge. Rechts und links gehen ehemalige Büros ab und Denis Meyers ist überall: Fast alle Räume sind von oben bis unten zu gemalt.
"Das war wie eine Therapie für ihn"
Wir bleiben stehen. Sophie zeigt mir einen Raum, der heller und freundlicher ist als die anderen und für Denis Meyers besondere Bedeutung hat:
"Im Vergleich zum Rest des Gebäudes ist die Schrift hier richtig lebendig, die Typografie ist sehr natürlich. Das war wie eine Therapie für ihn und ich denke, das ist auch der Grund, warum er sagt: Dieser Raum zeigt, was in meinem Kopf los ist."
Meyers hat hier mit der Spraydose geradezu an die Wand geschrieben, als wäre es Stift und Papier. Rausgekommen sind dabei persönliche Gedanken und Satzfragmente: "sein ist schwer", "ich werde warten", "neu zusammen".
Das ist zwar nicht immer verständlich, lässt den Besucher aber direkt in das Innerste blicken, wie der Künstler erzählt:
"Die Idee war, in den letzten 20 Jahren alles in meinem Notizbuch festzuhalten und ich habe tatsächlich täglich Skizzen gemacht. Es geht darum, mit Erinnerungen zu arbeiten, mit denen ich täglich konfrontiert bin. Das ist für mich auch eine Art und Weise, mich mit dem auseinanderzusetzen, was mir passiert ist: die Trennung von der Mutter meiner Kinder."
Wie ein Tagebuch an der Wand
Einerseits ist "Remember / Souvenir" ein sehr persönliches Projekt: Meyers verarbeitet mit der Spraydose alte Erinnerungen und Schmerzen, Begegnungen mit Menschen. All dem gibt er eine Bühne. Andererseits ist das Gebäude eine große Spielwiese: Befreundete Künstler haben die Wände mit Feuerlöschern und schwarzer Farbe besprüht, mit einer Discokugel einzelne Räume ausgeleuchtet oder die Umrisse von Denis Meyers Körper mit Spraydosen nachgestellt.
"Jetzt sind wir im Keller angekommen, der übersät ist mit Totenköpfen. Nicht nur mit negativ und finster dreinblickenden Totenköpfen, sondern auch mit fröhlichen."
In dem spärlich beleuchteten Kellerraum herrscht eine beklemmende und irgendwie positive Stimmung. Das hat auch Denis Meyers angezogen, wie Sophie erzählt:
"Er hat ziemlich schnell gemerkt: Wenn er diese Schädel malt, muss er nicht über die Sachen nachdenken, die ihn beim Schreiben oder beim Malen von Gesichtern beschäftigen - dabei muss er ja immer wieder durch alles durch. Aber wenn er hier unten ist und Totenköpfe malt, dann ist das wie eine Befreiung."
Aufhören, zweifeln, wieder anfangen
Dennoch: Jeden Quadratmeter des Kellerraumes mit einem Schädel zu bemalen, war ein Kraftakt. Hier unten ist es feucht, kalt und dunkel:
"This room that’s on the middle of the hallway, where he has written three verbs: arrêter, douter, recommencer."
Aufhören, zweifeln, wieder anfangen – Denis Meyers hat in den letzten Monaten vermutlich alle diese Phasen persönlich durchlebt. Er mag Infinitive auch, weil sie so viel Raum zum Interpretieren lassen. Zweifelt er immer noch? Hat er gezweifelt? Wird er zweifeln? Wir wissen es nicht.
Knapp 2.000 Spraydosen hat der Graffiti-Künstler verwendet, 14.000 Menschen haben sein Kunstwerk gesehen. Einige Stücke - wie bemalte Türen und Heizungsverkleidungen - hat Meyers als Souvenirs sogar verkauft, ein Buch und zwei Dokumentarfilme sind in Planung. Das Projekt "Remember / Souvenir" lebt weiter.