Die Fotografie zeigt den Diktator in einer selten gelösten Stimmung. Bei einem Staatsbesuch 1938 in Italien besichtigt Hitler ausgiebig die Galerie der Uffizien in Florenz: Lächelnd, zwischen Gemälden, in Bildbetrachtung und Gespräch vertieft. Hinter ihm steht, mit sichtlich genervtem Gesichtsausdruck, Benito Mussolini. Das Bild ist abgedruckt auf Seite 44 des Buches von Birgit Schwarz. Sie zitiert einen italienischen Kunsthistoriker, der Hitlers Passion beim Museumsbesuch damals beschrieb:
"Viele Male äußerte sich seine Bewunderung in einer Art Röcheln aus der Tiefe seiner Kehle oder in einer zögerlichen Beobachtung oder Frage in seinem dialektgefärbten Deutsch. Wer ihm so nahe kam, konnte in ihm den Sentimentalen, den Romantiker, auch den Fanatiker entdecken."
Hitler war ein frenetischer Kunstliebhaber. Lange hat sich in der Forschung die Auffassung gehalten, der nationalsozialistische Kunstraub habe sich auf letztlich wenige Hundert Werke aus jüdischen Kunstsammlungen beschränkt, und er sei sozusagen ein Beifang der menschenverachtenden Enteignung und Beraubung jüdischer Bürger vor ihrer Vertreibung oder Ermordung gewesen. Doch die Kunsthistorikerin Schwarz zeigt jetzt das ganze Ausmaß dieses größten Kunstraubs aller Zeiten auf. In den geheimen Depots der Nazis hätten sich am Ende des Krieges wahrscheinlich um die 50.000 Kunstwerke befunden. Und: Hitler persönlich hat diesen Raub gelenkt: Es war nicht der NS-Kunstraub, es war Hitlers Kunstraub.
"Hitler war nicht nur die zentrale Figur des Dritten Reiches, sondern auch die zentrale Figur des NS-Kunstraubes, der ganz Europa erfasste und dessen Folgen bis heute die Museums- und Kunstwelt erschüttern. Anders als im Fall des Holocaust, wo ein zentraler schriftlicher Befehl Hitlers fehlt, gibt es einen solchen für den Kunstraub: den 'Führervorbehalt'."
Über diesen geheimen Sonderbefehl sicherte sich Hitler den Erstzugriff auf jüdische Kunstsammlungen, auf den Kunstbesitz von Kirchen und Klöstern, teilweise auch auf die Bestände öffentlicher Museen der besetzten Gebiete. Anders als Göring, der seine private Villa mit geraubten Gemälden ausstaffierte, beanspruchte Hitler die Kunstwerke allerdings nicht für sich selbst: Er wollte damit das geplante Führermuseum in seiner Heimatstadt Linz ausstatten, und auch die anderen Museen im Reichsgebiet großzügig bedenken. Ein gigantisches Raub- und Verteilungsprogramm, von dem alle namhaften deutschen Museen und ihre Direktoren zu profitieren hofften. Der Massenmörder wollte als Kunstförderer und Mäzen in die Geschichte eingehen.
"Er hat sich von Kunst emotional ansprechen lassen. Ich glaube, das war ein gewisser Ausgleich für ihn. Nicht nur ein Ausgleich sozusagen im harten Kriegsgeschäft, abends hat er sich dann Kunst angeschaut, sich Fotoalben angeschaut oder auch wirklich Originale, um sich zu entspannen. - Nein, ich glaube, da hat er sich auch emotional bis zu einem gewissen Grade ausgelebt."
Hitler: "Kriege kommen und gehen, aber die Kunst bleibt"
Hitlers wichtigster Komplize beim Kunstraub war sein Sonderbeauftragter Hans Posse, der Direktor der Gemäldesammlung in Dresden. Er war stets zur Stelle, wenn jüdische Sammlungen von der Gestapo oder der SS beschlagnahmt wurden, um für Hitlers Sonderauftrag die besten Stücke auszusuchen und zu reklamieren. Andere Gemälde wurden von ihm günstig erworben - unter tatkräftiger Mithilfe von Kunsthändlern wie Karl Haberstock oder Hildebrand Gurlitt. Die stetig wachsende Sammlung, die in verschiedenen Depots zwischengelagert und von Heerscharen von Kunstwissenschaftlern akribisch katalogisiert wurde, bekam Hitler in Form von Fotoalben regelmäßig zum Geburtstag geschenkt. Was aber motivierte so viele namhafte Museumsleute, sich an diesem brutalen Kunstraub zu beteiligen, ihn mit ihrer wissenschaftlichen Expertise zu begleiten? Diese Frage versucht Schwarz für ihre Zunft zu beantworten.
"Also bei einigen der Führenden ist sehr stark das Gefühl vorhanden gewesen, dass sie als Museumsleute auf dem internationalen Markt nicht mehr mithalten konnten. Dass sie vor allem in den 20er Jahren kein Geld gehabt haben, um noch hochrangige Kunstwerke ankaufen zu können. Die gingen alle in die USA zu den großen Privatsammlungen."
Bestes Beispiel ist Hitlers Sonderbeauftragter Hans Posse selbst. Er war in den 20er Jahren einer der frühen Wegbereiter der Moderne in Europa gewesen, mit dem expressionistischen Maler Oskar Kokoschka verband ihn eine enge Freundschaft. Die Säuberung der deutschen Museen von sogenannter entarteter Kunst muss ihn hart getroffen haben. Von seiner Funktion als Sonderbeauftragter erhoffte er sich Vorteile für sein Museum, möglicherweise auch Kompensation für die verlorenen modernen Kunstwerke.
"Was ihn sicherlich sehr motiviert hat, war, dass er sehr nah an Hitler rankam, und dass er Hitler wirklich beeinflussen konnte. Hitler und Posse, das war schon ein besonderes Gespann. Die haben sich über ihrer beider Kunstbesessenheit sehr gut verstanden. Und Sie müssen sich diese gewaltige Aufgabe vorstellen. Er hätte dann die Raubkunst über die deutschen Museen verteilt. Das ist so viel Macht – schwer, dem zu widerstehen."
Dazu kam es nicht mehr. Abenteuerlich lesen sich die Schilderungen, wie die wertvollen Kunstwerke in den letzten Kriegswirren von Depot zu Depot transportiert werden, immer bedroht durch Bombenhagel und Kampfgeschehen. Endstation war schließlich ein Salzstollen im österreichischen Altaussee. Nur knapp konnte verhindert werden, dass ein irrer NS-Gauleiter Europas zusammengeraubte Kunstschätze kurz vor Ankunft der Alliierten in die Luft sprengte. Hitler sorgte sich übrigens bis zuletzt um seine Gemälde – noch kurz vor seinem Selbstmord im Führerbunker verfügte er, dass das Museum in Linz unbedingt gebaut werden solle.
"Kriege kommen und gehen, aber die Kunst bleibt", soll er gesagt haben. Schwarz' Buch besticht durch die große Detailreiche. Seit 16 Jahren beschäftigt sich die Kunsthistorikerin, die an der Uni Wien lehrt, mit dem Thema NS-Raubkunst. Akribisch beschreibt sie, wie sich der Führervorbehalt mit zunehmendem Kriegsverlauf auf immer mehr Länder ausweitete, wie die NS-Nomenklatura Hitlers Kunstbesessenheit nachahmte, um sich beim Führer einzuschmeicheln. Das führt zwangsläufig zu mancher etwas ermüdenden Wiederholung. Der große Verdienst des Buches aber liegt darin, dass er die Verstrickung der deutschen Museen in den Fokus nimmt, die skrupellose Gier, die die Museumsdirektoren angesichts der Gunst der Stunde erfasste. Und es stellt vor diesem Hintergrund die Frage nach der Schuld der Museen neu. Einer Frage, mit der sich die Museen in Deutschland bislang noch nicht ausreichend auseinandergesetzt haben. Für die aktuelle Restitutionsdebatte ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag.
Birgit Schwarz: "Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub." Konrad Theiss Verlag, 320 Seiten, 29,95 Euro.