Der Förderverein eines kleinen Frankfurter Museums ist unterwegs. Eine Handvoll Kunstliebhaber fährt mit dem Bus in den Rheingau, um einen Künstler zu treffen. Es ist nicht irgendein Künstler, sondern, in der Welt dieses Romans, eine Koryphäe. Ein Sprössling der Düsseldorfer Malergeneration nach Joseph Beuys, begabt wie Gerhard Richter, exzentrisch wie Jörg Immendorff, grantelig wie Markus Lüppertz: Ein Künstlerpatriarch alten bundesrepublikanischen Zuschnitts.
Eine Kunstfigur ist er trotz all dieser Bezüge. Er heißt KD Pratz, lebt weltabgeschieden auf einer Burg, Besuch empfängt er selten. Was die sozialen Hierarchien in dem Roman festlegt: Der Förderverein will KD Pratz, sofern dieser zustimmt, einen Neubau mit Dauerausstellung widmen. Wer nimmt und wer gibt, das ist hier die Frage. Und KD Pratz spielt mit den Erwartungen seiner Bewunderer:
"Ich bin kein Künstler. Ich habe mich immer als Handwerker begriffen. Weil die Kunst am Ende ist. Die Kunst ist genau so kaputt wie die Gesellschaft. Genauso am Ende wie die EU und die Demokratie. Ist Ihnen mal aufgefallen, dass das alles gleichzeitig zum Teufel gegangen ist zu gehen zu der Zeit, als die Leute angefangen haben, nicht mehr in die Welt zu sehen, sondern nur noch auf ihre Telefone?"
Ein granteliger Künstlerpatriarch
Eifrige Verehrer des Künstlers treffen auf dessen gut gepflegten Verdruss an der Welt. Es geht das Gerücht, dass KD Pratz an einem Werkzyklus arbeite, den noch nie jemand gesehen hat. Grund genug, dem Mann zu schmeicheln, dessen jähzorniger Charakter und dessen Nimbus des Genialischen viel zum Unterhaltungswert dieses Romans beitragen.
Aus der Frage, ob KD Pratz sein Publikum noch braucht, und wenn ja wofür, schlägt dieser Roman einige Funken. Gesellschaftliche Relevanz von Kunst, das war ein Slogan, der hoch im Kurs stand, als KD Pratz jung war, und der, immer wieder ironisch angeschnitten, als Subtext mitläuft. Ingeborg Marx, die Mutter des jungen Erzählers Constantin und eigentlich eine glühende Bewunderin von KD Pratz, wird im Laufe des Romans zu dessen Gegenspielerin.
"‘Hat sie das zu ihrer Arbeit Die schlecht gemalte Deutschlandfahne inspiriert?‘, warf da Ingeborg ein, die sich hinter uns gesetzt hatte.
‚Inspiration existiert nicht‘, sagte er.
‚Ich mag die besonders gern‘, sagte Ingeborg. ‚Dieser Titel. Und dann eine absolut perfekt gemalte Deutschlandfahne. Als wäre auch das Perfekte nicht gut genug. Als wäre dies ein Land, dem man es nie recht machen kann.‘
‚Inspiration existiert nicht‘, sagte er.
‚Ich mag die besonders gern‘, sagte Ingeborg. ‚Dieser Titel. Und dann eine absolut perfekt gemalte Deutschlandfahne. Als wäre auch das Perfekte nicht gut genug. Als wäre dies ein Land, dem man es nie recht machen kann.‘
Die Schlüpfrigkeit des Einstecktuchs
Mit Ingeborg Marx, deren Familienname vielleicht etwas überdeutlich auf ihre studentenbewegte Vergangenheit hindeutet, gelingt Kristof Magnusson eine Frauenfigur, die für eine ganze Generation steht. Ingeborg hat ihren Mann auf dem Weg verloren, weil der trotz sozialistischer Ideale doch lieber Karriere in den USA machen wollte, als sich den Niederungen der Kindererziehung und der geteilten Hausarbeit zu widmen.
Wie patriarchalische Muster in der sich demokratisierenden Bundesrepublik der Siebzigerjahre weiterwirken, auch damit beschäftigt sich dieser Roman. Magnusson übergibt die jeweils angeschnittenen Themen an mehrere Figuren, die verschiedene Aspekte ausagieren. Das trägt bei zum heiter schillernden Charakter des Romans, zu seiner stets bewegten, aber nie dauerhaft getrübten Oberfläche. Da ist zum Beispiel der Unternehmer mittleren Alters, der zum Zeichen seiner Distinktion ein Einstecktuch in seiner Sakkotasche trägt – er steht für den so in Verruf geratenen Typus des weißen Mannes, der noch vor kurzem seine erotischen Bedürfnisse relativ ungeniert ausleben durfte.
"Die Schlüpfrigkeit des Einstecktuchs war nicht mehr so offensichtlich wie früher. Er legte nicht den Arm um sie und antwortete: ‚Aber mit ihrem Aussehen stehen ihnen doch alle Türen offen.‘ Er legte ihr nicht einmal die Hand auf den Oberschenkel, legte nur manchmal, ganz selten und niemals für lange Zeit, den Zeigefinger auf ihren Unterarm, während er mit ihr sprach, achtete aber darauf, das auch gelegentlich bei anderen zu tun, Männern wie Frauen."
Eine Persiflage auf den deutschen Kunstbetrieb
Constantin Marx, der genau beobachtende Erzähler dieses Romans, ist Anfang dreißig und gehört zur nachfolgenden, gendergerecht orientierten Generation. Er ist nicht ganz freiwillig vor Ort, hält auch deshalb eine sanft ironisierende Halbtotale ein. In seinem Bericht wird das Theaterhandwerk des Autors deutlich. Alle Plotpunkte sind am richtigen Ort, die Dialoge meist witzig, die großen und kleinen Spannungsbögen gut austariert. Dabei gelingen durchaus feinsinnig beobachtete Beziehungsmuster – etwa zwischen Constantin und Ingeborg Marx, dem erwachsenen Sohn und der Mutter an der Schwelle zum Alter.
Oder in der sich aufheizenden Gruppendynamik des Fördervereins, der ja tatsächlich auf einer Art Gralssuche ist, nämlich auf der Suche nach dem Werkzyklus des KD Pratz. Kristof Magnusson liefert also nicht nur eine Persiflage des Kunstbetriebs sondern auch eine offene Suchbewegung: Was kann Kunst heute, und wo stehen Männer und Frauen im Dialog der Generationen und der Geschlechter?
"‘Die Frauen waren ihrer Meinung nach früher bestimmt auch besser‘, sagte Ingeborg. KD Pratz sah sie an. ‚Nun seien Sie doch nicht so streng‘, sagte das Einstecktuch. ‚Das ist doch nicht böse gemeint. Wir sind halt ein bisschen alte Schule.‘ ‚Also meinen Patienten darf ich es ja nicht sagen, aber haben Sie nicht das Gefühl, dass das alles Quatsch ist?‘ ‚Quatsch?‘, sagte KD Pratz. ‚Es geht hier um den Zustand der Welt.‘ ‚Der Welt ist auch nicht damit geholfen, dass Sie sich allen moralisch überlegen fühlen‘, sagte Ingeborg."
Männer und Frauen, Familie, Kunst, Kommerz
Die unterschwelligen Spannungen zwischen dem Künstler KD Pratz und Ingeborg Marx spitzen sich zu, als sie ihn und den Unternehmer bei einer anzüglichen Unterhaltung erwischt. Nun gibt Constantin Marx seine Beobachterposition auf. Er sucht und findet eine persönliche Begegnung mit KD Pratz. Diese ist zentral im Roman platziert und bündelt alles, was bislang geschehen ist.
Die Vergangenheit der beiden Männer stellt sich ein, der abwesende Vater für Constantin Marx, die nicht gegründete Familie des KD Pratz. Sogar eine Art erotischer Anziehung zwischen dem älteren und dem jüngeren Mann wird angedeutet. Ab hier schafft es der Roman nicht mehr ganz, mit der selbstgewählten schillernden Vielfalt seiner Themen; Männer und Frauen, Familie, Kunst, Kommerz, Schritt zu halten. Es hätte mehr Zeit gebraucht, diese Aspekte auszuerzählen. Witzig und unterhaltend bleibt dieser Roman aber bis zuletzt.
Kristof Magnusson: "Ein Mann der Kunst"
Verlag Antje Kunstmann, München
238 Seiten, 22 Euro
Das Hörbuch, gelesen von Devid Striesow:
6 Stunden 15 Minuten, Kunstmann, 20 Euro
Verlag Antje Kunstmann, München
238 Seiten, 22 Euro
Das Hörbuch, gelesen von Devid Striesow:
6 Stunden 15 Minuten, Kunstmann, 20 Euro