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Kunstskandale und politische Intervention

20 Jahre nach Abschaffung der offiziellen Zensurbehörde im kommunistischen Polen habe man nun feststellen müssen, dass Zensur in Kunst und Medien ein Massenphänomen sei, sagt Martin Sander. In einem Symposium und einer Ausstellung in der Zacheta-Galerie wurde über 100 prominente Fälle diskutiert.

Martin Sander im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die Zacheta-Galerie in Warschau ist ein Ort, an dem Kunst und Politik immer wieder aneinandergeraten sind. Das historische Initial dafür war ein Mord. 1922 starb Gabriel Narutowicz, der erste Präsident Polens, in der Zacheta durch drei Revolverschüsse eines nationalreligiösen Fanatikers. Seit der Wende war die Galerie auch immer wieder ein Ort von Kunstskandalen und Zensurdebatten. Eine Ausstellung dort, die genau dieses thematisierte, wurde jetzt begleitet von einem Symposium, das nach der Zukunft der Zensur in Polen fragte. Martin Sander, was waren die wesentlichsten Ergebnisse?

    Martin Sander: Also, die wesentlichen Ergebnisse waren, dass die Zensur eine Zukunft in Polen hat, auch wenn der Titel ja ein wenig provokativ klingt.

    Fischer: Allerdings!

    Sander: 20 Jahre nach Abschaffung der offiziellen Zensurbehörde im kommunistischen Polen hat man also feststellen müssen, dass Zensur von Kunst zumindest, aber auch Zensur in den Medien ein Massenphänomen sei. In Bezug auf die Kunst hat man also 100 prominente Fälle aufgezählt und man hat allerdings auch einen sehr, sehr weiten Zensurbegriff in dieser Diskussion angelegt. Also, jede Form von Einflussnahme, von Nichtfinanzierung wurde zumindest dahingehend beobachtet, ob es nicht auch eine Zensur unter dem Vorzeichen des Neoliberalismus wäre. Vielleicht ein polentypischer Fall für eine Kunstzensur ist der Fall des Künstlers Jakubowitsch, das ist sozusagen das schnelle Telefon als Zensur. Dieser Jakubowitsch hat ja ein Kunstwerk namens "Arbeitsdisziplin" geschaffen, setzt sich mit der VW-Tradition, also der Volkswagentradition, hinter Stacheldraht auseinander. Also, Arbeitsdisziplin, Zwangsarbeit, KZ und so weiter, dieses Thema hat er abgearbeitet und wollte es in Posen ausstellen vor etlichen Jahren. Und da hat sich zunächst mal VW selbst eingeschaltet, ganz schnell zum Stadtpräsidenten durchgekommen, der dann zum Universitätsdirektor, und der zu den Verantwortlichen der ausstellenden Galerie und dann konnte die Ausstellung nicht stattfinden. Das ist so ein Beispiel und da glaubt man, dass das doch in Polen etwas anders ist als in Deutschland. Obwohl man sich nicht ganz so sicher sein kann. Denn wenn man an die Ausstellung "Tür an Tür" denkt, also die große Ausstellung über deutsche und polnische Kunst im Martin-Gropius-Bau im vergangenen Jahr, da gab es ja immerhin auch so einen Fall von dem polnischen Künstler übrigens Artur Zmijewski und seiner Auseinandersetzung über den Holocaust, also dieses Fangenspielen in der Gaskammer, woraufhin dann sich die Leitung des Gropius-Hauses auch entschlossen hat, kurzfristig dieses Kunstwerk abzuhängen. Also, die Deutschen kennen das Problem auch, aber in Polen ist es natürlich sehr viel stärker vertreten.

    Fischer: Die Künstlerin Goschka Mazuga hat die Galerie ja mit einer Installation bespielt, die dieses Thema aufgriff, das Thema der Zensur. Wie sah das aus?

    Sander: Also, das ist eigentlich eine große Installation über mehrere Säle der Zacheta-Galerie, und im Mittelpunkt hat man so eine katholische, überlebensgroße Familie, Mutter, Vater und Kind. Die sind aber gesichtslos und düster. Und das ist eigentlich sozusagen, alles verschwindet im Schatten, davon, aber da sieht man dann gegenüber Wandzeitung mit den Massen der Zuschriften, der Proteste, manchmal aber auch zustimmende Artikel der Medien über diese Kunstskandale. Dann hat Goschka Mazuga aber auch bei dem Kunstwerk von Maurizio Cattelan, also der Papst, der vom Meteoriten niedergeworfen wird, gezeigt, dokumentiert genau die Schäden an dem Kunstwerk, das ja beschädigt wurde von polnischen Abgeordneten der Nationalen Rechten. Insbesondere hat sie sich dann noch mal den Zuschriften und Schmähbriefen gewidmet, die damals die Zacheta-Leiterin, die Direktorin Anda Rottenberg, die bekannte Kuratorin trafen, die also mit bösartigen antisemitischen Beschimpfungen aus dem Amt gejagt wurde vor rund zehn Jahren. Und dann hat sie immer wieder an alte Kunstwerke, übrigens auch an den polnischen Konzepthappening-Künstler und Theatermann Tadeusz Kantor angeknüpft: Dieser Brief, dieser 14 Meter breite Brief als Gobelin, der sollte eben das komplexe, das gestörte Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeit darstellen.

    Fischer: Die Skandale in Polen, Sie haben es gesagt, sind bekannt, zum Teil ja auch schon Geschichte. Seither ist einiges passiert, Religion, natürlich ein Thema, auf das Polen, die Polen immer noch empfindlich reagieren. Aber ist das Thema heute so, wie Sie am Anfang angedeutet haben, überhaupt noch wirklich aktuell?

    Sander: Ja, selbst die Kuratorin der Ausstellung hat mir gesagt, sie dachte, das Thema wäre doch nicht mehr ganz so aktuell, und nun gerade in den letzten Wochen ist wieder einiges passiert. Also, Katarzyna Kozyra, sie lebt in Warschau und Berlin, sie hatte ihre erste Retrospektive, die in Krakau gezeigt wurde, und die wurde boykottiert von jungen polnischen Nationalisten. Die haben dann so ein Abwasserrohr ihr überreichen wollen und einen Hexenbesen. Also, das Thema ist aktuell und es wird aktueller, allerdings in Bezug auf einen deutschen Künstler, nämlich Christoph Schlingensief: Da gibt es eine Filmretrospektive in Danzig und da hat sich eine prominente Abgeordnete übrigens nicht der Nationalen Rechten, sondern der Liberalen zu Wort gemeldet und hat gesagt, sie kann nicht verstehen, dass so jemand, der mit den Symbolen des Nazi-Regimes arbeitet, in Polen gezeigt werden muss.

    Fischer: Martin Sander über eine Ausstellung und ein Symposium zur Kunstzensur in Polen. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.