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Kurden-Konflikt in der Türkei
"Die Regierung ist nicht bereit, mit uns zu reden"

Die kurdische Arbeiterpartei PKK müsse sich im Konflikt mit der Regierung kompromissbereit zeigen, fordert Ziya Pir, Abgeordneter der pro-kurdischen HDP. Eine Seite müsse beginnen, die verhärteten Positionen etwas aufzuweichen. Allerdings wolle die Regierung nicht mit pro-kurdischen Vertretern über die Lage im Südosten der Türkei reden, sagte Pir im DLF.

Ziya Pir im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Ein gepanzertes Fahrzeug steht im Zentrum von Nusaybin im Südosten der Türkei am 20.01.2016.
    Seit Wochen leisten militante Kurden in Städten in der Südosttürkei erbitterten Widerstand gegen die türkische Armee. (picture alliance / dpa / Can Merey)
    Martin Zagatta: Die Türkei, der eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zukommen soll, war bei dem EU-Gipfel in Brüssel nun doch nicht dabei wegen des Terroranschlags mitten in Ankara, der 28 Menschen das Leben gekostet hat. Präsident Erdogan hat umgehend kurdische Kämpfer für das Attentat verantwortlich gemacht. 'Kurdische Kämpfer aus Syrien' hat er da noch gesagt, aber er liegt offenbar zumindest teilweise richtig, denn inzwischen hat sich eine kurdische Gruppe zu dem Anschlag bekannt.
    ((Einspieler))
    Ein Bericht von Thomas Bohrmann, und mitgehört hat Ziya Pir. Er ist Deutsch-Türke, wenn ich das so sagen darf, er hat zumindest lange in Deutschland gelebt, sitzt nun für die prokurdische Partei HDP im türkischen Parlament. Guten Morgen, Herr Pir!
    Ziya Pir: Guten Morgen! Ich grüße Sie!
    Zagatta: Herr Pir, nach diesem Bekennungsschreiben waren es keine Syrer, sondern Kurden aus der Türkei, die hinter diesem Anschlag stecken sollen, aber Präsident Erdogan scheint zumindest damit recht gehabt zu haben, als er umgehend kurdische Kämpfer beschuldigt hat, den Anschlag verübt zu haben. Sehen Sie das heute Morgen genauso?
    "Die YPG kann es nicht gewesen sein"
    Pir: Für uns war ziemlich klar, als – ich war im Parlament, ich habe das mitbekommen diese Explosion –, war klar, wir haben am Anfang gleich gesagt, entweder ist das eine Abspaltung der PKK, die Rache verübt hat für das Vorgehen des türkischen Militärs in Cizre, wo sie 107 Menschen in einer Nacht getötet haben, oder es ist wieder eine [nicht klar verständlich, Anm. d. Red.] Aktion gewesen. Wir wussten aber nicht wer, aber eins von dem beiden sollte das gewesen sein, dachten wir. So ist es auch passiert. Es ist eine Abspaltung der PKK, eine Abspaltung, und die TAK, die findet die PKK nicht radikal genug, und sie hat sich vor ein paar Jahren abgespalten und will mit Waffen gegen den türkischen Staat vorgehen. Die YPG, die syrische Kurdenorganisation, die in Kobane und Rojava tätig ist, die kann es nicht gewesen sein, weil sie hat überhaupt keinen Grund. Die Türkei versucht mit allen Mitteln auf internationaler Ebene die YPG und PED als Terrororganisation anerkennen zu lassen, und jede Aktion von denen in der Türkei würde der türkischen Regierung in die Hand spielen, sodass sie überhaupt keine Motivation haben, in der Türkei aktiv zu werden.
    Zagatta: Jetzt hat die PKK umgehend bestritten, etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben. Wie muss man das jetzt bewerten? Sie sagen, dieser Gruppe, dieser TAK, die sich da jetzt zu dem Anschlag bekannt ist, ist die PKK nicht mehr radikal genug. Hat die PKK ihr nahestehende Gruppen nicht mehr im Griff oder sind das Abspaltungen, auf die sie gar keinen Einfluss mehr hat?
    Pir: Teils, teils. Sie hat auf die TAK überhaupt keinen Einfluss mehr. Der Vorsitzende der KGK, PKK kann man auch sagen, Cemil Bayrak hat direkt einen Tag nach dem Anschlag gesagt, die PKK oder KGK war das mit Sicherheit nicht. Es können aber irgendwelche kurdischen Organisationen oder Gruppierungen sein, die Rache nehmen wollen, und so ist es auch passiert. Die PKK hat nach wie vor natürlich Einfluss und auch Kontrolle über die Gruppierungen, die ihr nahestehen beziehungsweise in der Organisation noch mit drin sind, mit denen verlinkt sind, aber die TAK, die hat sich richtig abgespalten. Sie ist nicht mehr verlinkt mit der PKK.
    Zagatta: Das heißt aber auch, die PKK kann solche Anschläge und solche Drohungen und diese Zuspitzung, die damit einhergeht, nicht mehr verhindern.
    "Einen Schritt zurückgehen, sodass die Politik wieder die Oberhand gewinnt"
    Pir: Insofern kann die PKK das verhindern, als sie, die PKK, vielleicht in den Städten, in denen jetzt Krieg ist, einen Schritt zurückweicht, damit der türkische Staat auch einen Schritt zurückgeht, sodass die Politik wieder die Oberhand gewinnt.
    Zagatta: Was heißt denn zurückweichen?
    Pir: Etwas aufweichen, also die sind in den Städten und wollen nicht raus aus den Städten, die PKK-Kämpfer – es sind PKK-Kämpfer und Jugendliche in den Städten –, und die Fronten sind sehr verhärtet zwischen dem türkischen Staat und der PKK beziehungsweise der Jugendlichen. Eine Seite muss anfangen, jetzt einen Schritt zurückzugehen beziehungsweise, um die verhärtete Position etwas aufzuweichen, sodass wir als Politiker die Chance haben, dazwischen zu gehen, zu verhandeln und mit Verhandlungen diese Kämpfe aufhören zu lassen. Da gibt es eine ganz, ganz kleine Chance, und diese kleine Chance müssen wir nutzen. Wenn wir am Tisch verhandeln, dann hat die TAK vielleicht auch keinen Grund mehr, solche Attentate zu verüben. Das meine ich, wenn ich sage, die PKK kann dafür sorgen, dass die TAK nicht wieder Gewalt ausübt in der Türkei.
    Zagatta: Glauben Sie, dass das in diesem Klima jetzt, in diesem aufgeheizten Klima überhaupt möglich ist, denn aus Sicht der türkischen Regierung haben doch kurdische Militante ihr da jetzt geradezu die Begründung geliefert, hart gegen die Kurden vorzugehen. Darauf wird es doch jetzt hinauslaufen, das muss man doch befürchten.
    "Wenn beide Seiten kämpfen, kann man nicht reden"
    Pir: Ja, im Türkischen gibt es ein Sprichwort. Das heißt, die Spur von dem Pferd und von dem Hund sind so ineinandergeraten, man kann nicht mehr sagen, wer hat wann was angefangen. Was ist der Grund, und was ist daraus geworden, also wer ist verantwortlich. Die TAK sagt, das ist eine Vergeltung gewesen für die Ermordung von 107 Menschen in Cizre. Die türkische Regierung argumentiert anders. Die Kausalitätskette, wo fängt sie an, wo hört sie auf, wissen wir nicht. Ich weiß, ich bin selber heute noch ein paar Stunden in Ankara, ich versuche selber mit Regierungsvertretern zusammenzukommen, um über die Lage zu sprechen, aber wenn gekämpft wird, wenn beide Seiten Waffen in der Hand haben und so aggressiv sind, dann hat man – und das muss ich leider feststellen –, dann hat man nicht die Möglichkeit, zu reden.
    Zagatta: Das wollte ich gerade fragen: Funktioniert dieser Dialog überhaupt noch, haben Sie noch Ansprechpartner, die auf Sie hören?
    Pir: Wir sehen uns manchmal im Parlament, auch Minister, aber wir können leider nicht über diese Sache im Südosten der Türkei reden miteinander, nein. Die Regierungsvertreter sind nicht bereit, mit uns darüber zu reden.
    Zagatta: Ziya Pir war das, der als Abgeordneter der prokurdischen Partei HDP Mitglied, Abgeordneter im türkischen Parlament ist. Herr Pir, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
    Pir: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.