Drei Särge werden zu Grabe getragen auf einem Friedhof in Diyarbakir. Eine kurdische Mutter schreit ihre Trauer heraus. Im Tiefflug donnert die türkische Luftwaffe darüber. Als wolle sie die Menschen demütigen.
Es zerreißt einem fast das Trommelfell. Aber die Menschen bleiben gefasst. Jeder Trauerzug in Diyarbakir ist auch ein politischer Marsch. "Mörderstaat" und "Erdogan Mörder" skandieren Hunderte am Sarg.
Umkämpft ist in den vergangenen Tagen vor allem Sur, die historische Altstadt von Diyarbakir, ein Weltkulturerbe. Die türkische Staatsmacht gegen die bewaffnete Jugendorganisation der PKK. Zia Pir ist hier, in Deutschland aufgewachsen und jetzt Abgeordneter der pro-kurdischen HDP-Partei:
"Es gab ein Ausgehverbot. Niemand durfte aus den Häusern. In diesen Stadtgebieten sind Sondereinheiten. Und die schießen auf alles, was sich bewegt. Man kann nicht mal auf den Balkon raus. Es gab sehr viele Zivilisten, die getötet wurden. Es herrscht totaler Krieg. Zwischem wem ist das? Das sind Jugendliche in den Stadtzentren, die sagen, hier lassen wir die Staatsgewalt nicht mehr rein,, weil die unsere Leute festnehmen. Und die Staatsgewalt sagt, nein, das dürft ihr nicht. Und die gehen mit aller Härte und Brutalität vor."
Keine Nahrung, kein Wasser passiert tagelang die Abriegelung der Altstadt. Nur vereinzelt Personen, die durch die Absperrungen aus Polizei und Wasserwerfern hindurchkommen. Gewehrsalven sind zu hören. Krankenwagen stehen am Stadtgürtel. Die Familien-Geschichte hat Zia Pir zurückgeführt ins Land.
"Mein Onkel Kemal Pir ist einer der drei Mitgründer der PKK. 1982 kam mein Onkel beim Hungerstreik in Diyarbakir im Gefängnis ums Leben. Er war der erste, der beim Hungerstreik gestorben ist. Er ist eine Symbolfigur und ein Held bei den Kurden. Deswegen spüre ich eine Verantwortung gegenüber diesem Friedensprozess."
Ein Bild der Verwüstung in der Altstadt von Diyarbakir
Frieden ist nicht in Sicht, seit im Juli der zweijährige Waffenstillstand zwischen der PKK und dem türkischen Staat eingefroren ist. Jeder misstraut seitdem dem Anderen.Als die Ausgangssperre fällt, kann auch die Presse in die Altstadt. Ein Bild der Verwüstung nach tagelangen Häuser-Kämpfen in den Gassen. Zerstörte Fenster-Fronten. Reste von Patronen-Hülsen am Boden. Auch die Fassade der ehrwürdigen Fatih-Pascha-Moschee ist voller Einschuss-Löcher.
"Schauen Sie sich die Moschee an. Wie können sie es wagen? Das war der Staat. (...) Sie sind das Minarett hoch und haben die türkische Fahne gehisst.
Die Moschee haben sie verwüstet."
Die Moschee haben sie verwüstet."
Die Menschen wollen ihre Ohnmacht loswerden. Aber kein Fotos. Sonst, so ein Anwohner, nehmen sie uns fest und nehmen uns mit.
"Ich arbeite in der Bäckerei, sagt dieser Mann. Ein kleines Mädchen kam um Brot zu holen. 200 Meter entfernt kam ein gepanzertes Fahrzeug. Sie haben auf sie geschossen. Ihr Kopf zerschellte an der Wand und was von ihrem Kopf übrig blieb, lief die Wand herunter auf den Boden."
Sandsäcke und Barrikaden. Der Kampf der Jugendorganisation der PKK ist ein neues Phänomen in diesem Konflikt. Dieser Übersetzer hat einige der jungen Kämpfer getroffen. Er zeigt mir Aufnahmen wie sie vermummt posieren.
"Sind jung, 17 bis 25 Jahre alt. Und maskiert wenn man mit ihnen spricht. Keiner kennt ihre Anführer genau. Sie glauben an PKK-Führer Öcalan. Sie sind säkular und nicht religiös motiviert."
Für die regierende AKP von Präsident Erdogan ein Fall zum Einschreiten. Galip Ensarioglu ist Spitzenkandidat der AKP in Diyarbakir. Er beklagt eine neue Stadt-Guerilla:
"Die PKK trägt den Kampf jetzt ins zivile Leben. Bisher haben sie in den Bergen gekämpft. Nun bringen sie den Kampf in die Städte. Das schafft Probleme für die Menschen und führt zu einer Reihe ziviler Opfer. "
Die Stadt ist nicht sicher
2012 erhielt die AKP noch viele Stimmen in Diyarbakir. Mit Erleichterungen für den Alltag der Kurden. Viele wählten sie damals. Jetzt kämpft die Partei – wahltechnisch – hier ums Überleben. Der türkische Staat sei herausgefordert, so Ensarioglu:
"Junge Leute, die Barrikaden auftürmen, Raketenwerfer und Kalaschnikows auf der Schulter tragen, ohne dass der Staat eingreift? Nennen Sie mir einen Staat, der so etwas zulässt?"
Galip Ensarioglu, den Stellvertreter Erdogans in Diyarbakir, treffen wir am Stadtrand. Die Stadt ist nicht sicher. Auch Zia Pir muss jede Woche umziehen, vor Gewalt und Drohungen.
"Deswegen darf ich gar nicht fest wohnen hier in Diyarbakir. Momentan gibt es kein Familienleben mehr. Bis eine neue Regierung gewählt ist, kann ich nicht damit rechnen, dass wir ein normales Familienleben haben werden."
Seine Partei, die HDP, wolle den Friedensprozess fortsetzen, sobald dies geht:
"In der türkischen Verfassung ist nach wie vor jeder, der in der Türkei geboren ist, ein Türke. Und das können die nicht akzeptieren. Das muss geändert werden. Jeder muss sich in der türkischen Verfassung wiederfinden können."