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Kurdisch für kurdische Schüler

Mehr als 40.000 Tote hat der türkisch-kurdische Konflikt bislang gekostet. Erst die letzten Jahre brachten vorsichtige Annäherung. Nun soll Kurdisch als Wahlfach an staatlichen Schulen zugelassen werden - das löst aber keine Begeisterung aus.

Von Luise Sammann |
    "Früher lief bei uns zuhause nur türkische Musik, denn es gab ja nichts in unserer Sprache ... Aber als Anfang der 90er-Jahre dann kurdische Musik erlaubt wurde, wollte ich herausfinden, wie ernstzunehmend dieses Gesetz ist. Ich veröffentlichte drei Lieder auf Kurdisch – und wurde plötzlich berühmt. Da waren nur ein paar kurdische Wörter und Laute in diesen Liedern, aber das reichte schon, um die Leute zu begeistern."

    Nilüfer Akbal lächelt nachdenklich, wenn sie an ihre Jugendzeit in den 80er-Jahren zurückdenkt. Sämtliche kurdisch-sprachigen Medien waren damals bei Androhung von Haftstrafen verboten. Inzwischen jedoch hat die Pop-Sängerin ihr sechstes Album veröffentlicht – kurdisch zu singen und zu sprechen ist kein Tabu mehr in der Türkei. Ministerpräsident Erdogan hat nun angekündigt: Kurdisch soll als Wahlfach in den Stundenplan türkischer Schulen aufgenommen werden. Ein "historischer Schritt", findet der Premierminister.

    Doch die kurdische Seite betrachtet den Vorstoß mit Skepsis. Nicht nur, dass es in der Türkei keine ausgebildeten Kurdisch-Lehrer gibt. Auch sonst sieht Ali Riza Bilgili –Vorsitzender der kurdischen Partei BDP im Raum Istanbul – wenig Grund zu Euphorie.

    "Wir Kurden haben solche Dinge schon so oft gehört. Meistens sind es nur Tricks. Deswegen sind wir inzwischen sehr vorsichtig. Aber immerhin: Die Gesellschaft hat begonnen, sich mit dem Kurdenproblem zu beschäftigen. Früher hieß es ja in der Türkei 'Es gibt gar keine Kurden', mittlerweile sind wir immerhin an den Punkt gekommen, an dem es heißt: 'Wir haben ein Kurdenproblem – wie können wir es lösen?'"

    Doch das ist das einzig Positive, was Politiker Bilgili der Idee des Premierministers abgewinnen kann. Ansonsten besteht er auf der Forderung seiner Partei: Kurdische Kinder in der Türkei sollten ihre Sprache nicht nur lediglich im Rahmen eines Wahlfachs sprechen - Kurdisch sollte für sie vielmehr Unterrichtssprache sein – egal ob in Bio, Mathe oder Geografie. Wenn der türkische Ministerpräsident deswegen jetzt von "historischen Schritten" spricht, erntet er dafür in Diyarbakir oder den Kurdenvierteln Istanbuls höchstens noch ein müdes Lächeln.

    "Das ist sicher kein Ansatz, um das Kurdenproblem zu lösen. Dazu ist er zu banal. Einem türkischen Kind kann man Kurdisch als Wahlfach vielleicht anbieten, das macht Sinn. Aber es ist geradezu rückwärtsgewandt, einem Kurden seine eigene Sprache als Wahlfach anzubieten."

    Dass die kurdische Seite so ablehnend oder doch zumindest misstrauisch reagiert, hängt mit enttäuschten Hoffnungen zusammen. Vor drei Jahren kündigte Ministerpräsident Erdogan seine 'Demokratische Initiative' an. "Kurden und Türken sind Brüder", erklärte der Ministerpräsident damals. Doch bis auf ein paar Umbenennungen kurdischer Dörfer hat sich seitdem nicht allzu viel getan. Stattdessen folgten weitere blutige Zusammenstöße von PKK und türkischem Militär, zahlreiche kurdische Journalisten und Politiker warten in türkischen Gefängnissen auf ihre Prozesse.

    "Nach mehr als 30 Jahren voller Kampf und Verluste reicht es nicht, nun auf diesem Level zu diskutieren. Sogar ich als Politiker kann Kurdisch vielleicht im Alltag sprechen, aber ich kann es nicht schreiben. Mein Wortschatz reicht auch nicht für Wirtschaft oder Politik. Der Grund ist der Druck und die Assimilierung der letzten Jahrzehnte, in denen unsere Sprache nicht anerkannt wurde."

    Das macht sich auch in der Kultur bemerkbar. Zeitgenössische Literatur, Texte und Gedichte beispielsweise sind noch immer Mangelware in einer Sprache, die jahrzehntelang verboten war und höchstens am Küchentisch gesprochen wurde.

    "Die Kurden sind kulturell um 30 oder gar 35 Jahre zurückgeworfen. Kultur war wegen all der Kämpfe immer zweitrangig. Aber jetzt müssen wir anfangen sie wiederzubeleben! Das Wichtigste für die Kurden ist ihre Sprache – denn ein Volk kann nicht existieren ohne seine Sprache."