Heimspiel des Zweitligisten Amedspor in Diyarbakır - und im Stadion herrscht Hochstimmung. Auf der Heimtribüne wird gesungen, getrommelt und getanzt. Die meisten Fans tragen die Vereinsfarben Rot und Grün. Einige sind von weither angereist, so wie der 21-jährige Bauarbeiter Feyzullah:
"Ich lebe in Balıkesir in der Westtürkei, ich bin 1.600 Kilometer weit gereist, um dabei zu sein, mit dem Flugzeug und dem Bus. Oft kann ich mir das natürlich nicht leisten. Aber Amedspor ist unsere Leidenschaft, unser Stolz. Wir lieben diesen Verein, weil er für unser Volk steht."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Integration in der Türkei - Leben mit der Zuwanderung".
Die Kurden meint Feyzullah damit, wenn er "unser Volk" sagt. An seinem Wohnort in der Westtürkei muss er damit vorsichtig sein – dort sind Bekenntnisse zur kurdischen Identität nicht willkommen und können sogar gefährlich werden. Das Heimspiel von Amedspor gibt ihm die Gelegenheit, unbeschwert mit anderen Kurden zusammen zu sein. So empfindet es auch Murat, ein leitender Angestellter aus Istanbul:
"Ich bin heute Morgen um sechs Uhr ins Flugzeug gestiegen, um dabei zu sein. Amedspor hat zehntausende Fans in Istanbul und überall in der Türkei, wo Kurden leben. Wenn wir die Spiele verfolgen, ob im Stadion oder am Fernseher, dann sind wir alle zusammen - das macht glücklich."
"Fans von auswärts fürchten sich vor uns"
Auf den Plätzen für die Gästefans ist dagegen nichts los, genauer: Sie sind leer. Das sei hier normal, meint ein Fan namens Ömer:
"Neulich hat eine westtürkische Mannschaft einmal 15 oder 20 Fans mitgebracht, aber das war eine Ausnahme. Normalerweise kommen keine Fans von auswärts hierher. Sie fürchten sich vor uns, auch wenn es nichts zu befürchten gibt."
Umgekehrt dürfen die Fans von Amedspor nicht zu den Auswärtsspielen ihrer Mannschaft reisen. Nur eine einzige Ausnahme hat es in den letzten drei Jahren gegeben. Ansonsten läuft das immer so, erzählt der langjährige Vereinsvorsitzende Ali Karakaş:
"Vor jedem Auswärtsspiel unserer Mannschaft treten in der jeweiligen Provinz der Gouverneur und der Polizeipräsident mit der Vereinsführung der gastgebenden Mannschaft zusammen und beschließen, dass sie die Sicherheit unserer Fans nicht garantieren können. Mit dieser Begründung schließen sie unsere Fans vom Spiel aus."
Die Mannschaft von Amedspor hat es auswärts schwer, vor allem in Städten mit stark nationalistischer Bevölkerung. So weigerten sich einmal alle Hotels im osttürkischen Sivas, das Team aus dem Kurdengebiet aufzunehmen. Im westtürkischen Sakarya wurden die Spieler im Stadion mit Marschmusik begrüßt und einem Video auf der Großleinwand, das einen Kampfeinsatz türkischer Soldaten gegen die PKK zeigte.
"Rassismus sind wir als Kurden ja gewöhnt"
Für die Mannschaft sei jedes Auswärtsspiel ein Spießrutenlauf, erzählt Teamkapitän Mehmet Siddik Istemi am Spielfeldrand:
"Die Fans skandieren Slogans gegen uns, sie schwenken türkische Fahnen, als wäre es ein Länderspiel. Sie betrachten uns als Terroristen-Team. Dabei sind wir nicht einmal alle Kurden – bei uns spielen Profis aus der ganzen Türkei."
Istemi stammt selbst aus Diyarbakır, ist hier geboren und aufgewachsen und hat anschließend in verschiedenen Vereinen überall in der Türkei gespielt, bevor er in seine Heimatstadt zurückkam. Zur kommenden Saison wechselt er nach Ankara - aber nicht wegen des Drucks auf Amedspor:
"Wir sind es als Kurden gewöhnt, angefeindet zu werden. Wenn wir für andere Mannschaften spielen, haben wir es da auch schwer, wenn auch nicht so schwer wie bei Amedspor. Man begegnet uns offen gesagt mit Rassismus, aber das sind wir als Kurden ja gewöhnt."
"Müssen mehr Geld bieten, sonst bekommen wir keine Spieler"
Wegen der verbreiteten Vorurteile sei es für den Verein auch schwer, Spieler aus anderen Landesteilen zu gewinnen, erzählt Ali Karakaş:
"Diyarbakır wird in der übrigen Türkei quasi als Ausland wahrgenommen, als fremdes Gebiet. Deshalb müssen wir den Spielern mehr Geld bieten, um hier zu spielen. Wenn ein Spieler zum Beispiel in Istanbul für 200.000 Lira spielt, dann müssen wir ihm hier 300.000 Lira zahlen. Sonst bekommen wir keine Spieler."
Selbst für viel Geld überlegen Spieler zwei- oder dreimal, bevor sie bei Amedspor unterschreiben – sogar wenn sie selber kurdische Wurzeln haben wie der Hamburger Umut Koçin, der seit der vergangenen Saison bei Amedspor ist:
"Bevor ich hierhin gekommen bin, war das ein großes Fragezeichen für mich, ob ich diesen Schritt mache. Weil ich habe von den Ausschreitungen mitbekommen, dass man bei den Auswärtsspielen viele Probleme hat, dass man bespuckt wird, mit Steinen beworfen wird, und dass man sehr starke Probleme hat."
Hamburger Umut Koçin: "Nicht nur einmal bespuckt"
Koçin hat den Schritt getan und es nicht bereut. Ihm gefallen die Stadt, das Trainingsgelände, das Stadion und vor allem die eingeschworene Fangemeinde von Amedspor, die bis in die kurdische Diaspora seiner Heimatstadt Hamburg reicht. Und er hat gelernt, mit den Anfeindungen bei Auswärtsspielen umzugehen:
"Das ist genauso, wenn man ein Derby spielt, dann wird man auch mal bespuckt oder beschimpft. Das ist eigentlich das gleiche Gefühl. Natürlich weil das ein kurdisches Volk ist, ein Verein im kurdischen Gebiet, sagen wir mal so, da wird man natürlich ein bisschen anders behandelt, das merkt man wirklich, dass man da vielleicht nicht nur einmal bespuckt wird, sondern auch mehrmals, das ist wirklich der Fall. Leider."
Beim Heimspiel in Diyarbakır dagegen jubeln die Fans, wenn Koçin ins Stadion einläuft. Zumindest zwei Stunden lang können sie beim Spiel von Amedspor ihre gemeinsame Identität feiern.