Nach acht Jahren wird es an der Spitze der Linken einen Führungswechsel geben. Bernd Riexinger und Katja Kipping treten beim nächsten Parteitag nicht mehr an. Für die Partei selbst werde das erstmal keine große Rolle spielen, meint der Politikwissenschaftler Torsten Oppellland. In der Öffentlichkeit sei das Bild der Partei bisher viel stärker von der Fraktionsführung geprägt worden. "Die eigentliche Parteiführung spielt natürlich eine Rolle, aber auch nur eine begrenzte." Zugutehalten müsse man Riexinger und Kipping jedoch, dass es ihnen gelungen sei, die Partei zu stabilisieren. Es gebe nicht mehr diese Spannung wie in 2012.
"Mitregieren hat die Partei verändert"
Das Mitregieren auf Landesebene habe die Partei zu einem gewissen Grad verändert, so der Politikwissenschaftler: "Ich glaube nicht, dass es heute noch so eine tiefgehende Kontroverse auslösen würde, die bis zur Spaltung führt, wenn jetzt tatsächlich die Bündnisbemühungen mit SPD und Grünen fortgeführt würden." Er glaubt, dass sich die Linke im Falle einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene "auf akzeptable Formelkompromisse" einlassen werde, die man der Basis auch "verkaufen könne"
Dirk-Oliver Heckmann: Dass Riexinger und Kipping nicht mehr antreten, eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Partei?
Torsten Oppelland: Ganz ehrlich? – Ich glaube, es ist gar nicht so wichtig. Es spielt keine so große Rolle. Die Linke hat ja doch eine sehr diffuse Führungsstruktur, mit zwei Parteivorsitzenden und zwei Fraktionsvorsitzenden. In der Öffentlichkeit ist das Bild der Partei lange Zeit sehr viel stärker von der Fraktionsführung geprägt worden, natürlich von der Person, die man am meisten als charismatisch bezeichnen kann, nämlich Sahra Wagenknecht. Insofern: Die eigentliche Parteiführung spielt natürlich eine Rolle, aber auch nur eine begrenzte.
Kippings und Riexingers Verdienst: "Stabilisierung der Partei"
Heckmann: Aber das liegt vielleicht ja auch an den Personen?
Oppelland: Das stimmt. Das kann immer daran liegen und einen Unterschied machen, wer jetzt als Nachfolger gewählt wird. Es sind ja einige Namen in der Öffentlichkeit genannt worden. Die Partei ist immer für eine Überraschung gut. Ob es die beiden jetzt werden, das kann man noch nicht absehen. Aber nichts desto weniger: Die Wirkung von der eigentlichen Parteiführung, bisher zumindest, war relativ begrenzt.
Heckmann: Zu den möglichen Nachfolgern oder Nachfolgerinnen kommen wir gleich. Lassen Sie uns noch ein bisschen bei Riexinger und Kipping bleiben. Acht Jahre waren die beiden am Ruder. Die Umfragewerte für die Partei wachsen derzeit nicht in den Himmel. Es gab heftige Niederlagen bei den Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg. Andererseits, muss man auch sagen, ist es den beiden gelungen, Extremgruppen ein bisschen an den Rand zu drängen und die Partei durchaus auch im bürgerlichen Lager akzeptabel zu machen. Bodo Ramelow, nicht zu vergessen, ist in ihrer Amtszeit erster linker Ministerpräsident geworden. Wie fällt denn Ihre Bilanz der Amtszeit der beiden aus?
Oppelland: Ja, Sie haben es im Grunde schon gesagt. Was den beiden vor allem gelungen ist, ist eine Stabilisierung der Partei. Man darf ja nicht ganz vergessen, von wo die Partei herkam. Der Parteitag 2012, vor acht Jahren, auf dem die gewählt waren, da war beispielsweise von Gregor Gysi von Feindschaft innerhalb der Bundestagsfraktion, von Feindschaft zwischen den verschiedenen Strömungen in der Partei die Rede. Und eigentlich sah es so aus, als würde die Partei innerhalb kürzester Zeit zerbrechen. Das ist nicht geschehen, sondern sie ist nach innen hin weitgehend befriedet. Aber es gibt natürlich nach wie vor Strömungen, die auch unterschiedliche Positionen vertreten. Aber das hat nicht mehr diese Spannung und diese Virulenz wie noch 2012. Insofern können sie sich das zu einem gewissen Grade zugute schreiben.
Wissler/Hennig-Wellsow: "Beide sehr profiliert"
Heckmann: Gesucht wird jetzt eine Doppelspitze, eine neue, und da sind vielfältige Proporzaspekte zu berücksichtigen: Ost-West, Links-Pragmatisch, Mann-Frau oder auch zwei Frauen. Worauf läuft das hinaus?
Oppelland: Wie gesagt, bei der Partei ist man nie vor Überraschungen sicher. Aber die beiden, die jetzt genannt werden, die hessische Landesvorsitzende Wissler und die thüringische Landesvorsitzende Hennig-Wellsow, sind natürlich beide sehr profiliert, hier in Thüringen oder auch in Hessen. Insofern ist das schon nicht unwahrscheinlich, dass es auf die beiden hinauslaufen wird.
Heckmann: Frau Hennig-Wellsow aus Thüringen, wenn ich das einwerfen darf, das ist die mit dem Blumenstrauß.
Oppelland: Ja, das ist die mit dem Blumenstrauß. Genau, die dadurch natürlich auch ein gewisses Aufsehen erregt hat, was eigentlich sonst nicht so ihre Art ist. Der Job, den sie hier in Thüringen gemacht hat, den sie sehr effizient und erfolgreich gemacht hat, ist natürlich, innerparteilich Bodo Ramelow, den Sie ja eben schon angesprochen hatten, gewissermaßen den Rücken freizuhalten und die Partei, insbesondere auch die Landtagsfraktion diszipliniert zur Unterstützung dieser Koalitionsregierung, die natürlich nicht eins zu eins die Programmatik der Linken umsetzen kann, die Stabilität zu wahren. Insofern hat die sicher ihre Meriten erworben und wäre auch in der Lage, als Bundesvorsitzende einiges zu bewirken.
Heckmann: Und werden die beiden Frauen, Janine Wissler aus Hessen und Susanne Hennig-Wellsow, so durchlaufen?
Oppelland: Wie gesagt, das kann man vorher nicht wissen, ob sie es überhaupt machen wollen, ob andere Kandidaten noch aufkommen. Es sind ja noch mehr Namen genannt worden, was die für Chancen haben, welche Unterstützung sich jetzt am Ende hinter denen sammelt. Die Parteilager, die gibt es ja auch nach wie vor, und insofern ist das ein bisschen schwer von außen einzuschätzen, wer jetzt welche Unterstützung am Ende für sich mobilisieren kann.
"Die Partei hat sich doch mittlerweile auch sehr verändert"
Heckmann: Wer ist da noch im Spiel? Wen sehen Sie noch?
Oppelland: Aus der Fraktion de Masi, mit dem Sie ja nachher auch noch reden werden. Das ist sicherlich auch einer, der in Frage käme. Und ansonsten muss man mal abwarten.
Heckmann: Dietmar Bartsch wird noch genannt, Jan Korte.
Oppelland: Dietmar Bartsch ist Fraktionsvorsitzender. Ich glaube nicht, dass der zusätzlich jetzt noch an die Parteispitze drängen wird. Dazu ist er vielleicht zu prononciert Vertreter eines Koalitionskurses. Ich glaube, es wäre sinnvoller, wenn er sich auf die Fraktion beschränken würde.
Heckmann: Herr Oppelland, Sie haben gerade schon gesagt, die beiden Lager in der Partei, die gibt es ja weiterhin, sie sind nicht weg. Wie groß ist denn jetzt die Gefahr aus Sicht der Linken, dass diese Differenzen, dass diese Streitigkeiten jetzt wieder aufbrechen? Es gibt ja schon Hinweise darauf, dass das schon langsam wieder anfängt.
Oppelland: Ja, wie gesagt, das ist richtig. Aber ich glaube, die Partei hat sich doch mittlerweile auch sehr verändert. Wenn man sich auch die Mitgliederstruktur anschaut: Die Altersstruktur hat sich sehr verändert. Die Dominanz der östlichen Landesverbände ist, sowohl was die Wählerseite als auch was die Mitgliederseite angeht, nicht mehr so stark. Die Partei ist jünger geworden, hat sich stärker nach Westen verlagert, und das Mitregieren in verschiedenen Koalitionsmodellen, natürlich Thüringen mit der Führung durch Die Linke bleibt die große Ausnahme, aber das Mitregieren hat die Partei zu einem gewissen Grade auch verändert. Ich glaube nicht, dass es heute noch so eine tiefgehende Kontroverse auslösen würde, die bis zur Spaltung führt, wenn jetzt tatsächlich die Bündnisbemühungen mit SPD und Grünen fortgeführt würden.
Formelkompromisse im Falle einer Regierungsbeteiligung wahrscheinlich
Heckmann: Das ist ein gutes Stichwort: Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht, dass die Befürworter einer solchen Regierungsbeteiligung sich durchsetzen? Denn es gibt ja auch viele, die sagen, nein, nein, das kommt auf gar keinen Fall, wir bleiben bei unseren doch eher dogmatischen Vorstellungen.
Oppelland: Ja, das ist richtig. Aber vor allem auf Bundesebene sind es Fragen in der Außenpolitik, die dem entgegenstehen, und gerade Gregor Gysi, der ja im Hintergrund auch immer noch vorhanden ist, bemüht sich, da den Kurs etwas, sagen wir mal, anzupassen und kompatibler mit SPD und Grünen zu machen, insbesondere in der Europafrage und was die NATO angeht. Und das sind natürlich Fragen, die weltanschaulich ein gewisses Gewicht haben in der Partei insgesamt, insbesondere die NATO. Aber auf der anderen Seite gibt es die Partei jetzt schon relativ lange und die ewige Opposition ist natürlich auch etwas steril. Man kann ein bisschen was bewirken, man kann öffentlichen Druck machen für bestimmte Themen, aber am Ende sind die Wirkungsmöglichkeiten doch begrenzt und insofern glaube ich, dass in der Partei es doch viele gibt, die gerne mitregieren würden.
Heckmann: Gregor Gysi – Sie haben es angesprochen -, außenpolitischer Sprecher jetzt, der hat sich geäußert, hat gesagt, Die Linke müsse sich freimachen von der Ablehnung der NATO. Ist die Partei dazu bereit?
Oppelland: Schwer zu sagen. Das ist ein bisschen der Blick in die Glaskugel. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass sie jetzt fundamental mit bisherigen weltanschaulichen Grundsätzen brechen wird. Aber akzeptable Formelkompromisse werden sich, wenn die Mehrheitsverhältnisse das hergeben sollten am Ende – das ist ja keineswegs sicher; noch ist die Partei ja nicht in dieser Entscheidungssituation. Aber wenn es dazu kommen sollte, dann, denke ich schon, würde man irgendwelche Formelkompromisse finden, mit denen man das der Basis verkaufen könnte.
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