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Kurse für Angehörige von Todkranken
Hilfe für die letzte Hilfe

Die meisten Menschen möchten in ihrer vertrauten Umgebung sterben und nicht im Krankenhaus. Die Realität ist jedoch anders - auch deshalb, weil Angehörige nicht wissen, wie sie mit Sterbenskranken umgehen sollen. Letzte-Hilfe-Kurse versprechen, diese Unsicherheit zu nehmen. Eine teilnehmende Beobachtung.

Von Ursula Reinsch |
15.07.2010, Nordrhein-Westfalen, Deutschland - Hospiz. Die Hand einer Pflegerin haelt die Hand eines sterbenden Mannes. (QF, ältere, älterer, berühren, Berührung, bettlägerig, europäisch, Fürsorge, fürsorglich, Hände, häusliche Pflege, Menschenwürde, menschenwürdiges Sterben, Nähe, trösten) 00X110715D001.JPG MODEL RELEASE: YES,RELEASE:
"Wir sind umsorgende Wesen" - Letzte-Hilfe-Kurs für Menschen, die Sterbende begleiten (imago stock&people)
Warum beschäftigen sich 18 Menschen am Samstagmorgen in einem hellen, sonnendurchfluteten Gemeindesaal mit dem eher dunklen Thema Sterben? Warem nehen sie teil an einem "Letzte-Hilfe-Kurs"? Drei Antworten:
Mann: "Beruflich, weil ich Bestatter bin. Und wir nicht nur dahin kommen, wo der Sterbefall bereits eingetreten ist, sondern auch Sterbende selbst auf uns zukommen und das Gespräch suchen…"
Mann, 48: "Wir haben einen ganz akuten Fall, dass mein Vater schwer an Krebs erkrankt ist, und wir wollten einfach ein bisschen Hilfe und Informationen haben…."
Frau, 75: "Das ist mein Mann, der sehr schwer erkrankt ist seit zehn Monaten, und ich tu mich da sehr schwer damit zu leben…."
Tabuthema Tod
Was eine zierliche 55-jährige Frau sich von dem Kurs wünscht – sie betreut ehrenamtlich sterbende Kinder im Hospiz - ist gleichzeitig das wichtigste Anliegen des Kurses: "Ich finde es extrem wichtig, dass dieses Thema im Allgemeinen mehr besprochen, also dieses Tabuthema Tod aufgehoben wird, dass man drüber sprechen kann."
Jährlich sterben immerhin knapp eine Million Menschen hierzulande. Rechnet man nur die unmittelbaren Angehörigen dazu – dann sind etwa fünf Millionen Menschen mit dem Tod intensiv beschäftigt. Jahr für Jahr. Und mehr als 75 Prozent aller Menschen möchten gerne zu Hause sterben. Die wenigsten können das. Warum? Palliativmediziner und Initiator der Kurse Georg Bollig:
"Mögliche Ursache ist vielleicht auch die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn man so viel Tod und Sterben gesehen hatte, dass das institutionalisiert worden ist - also in Pflegeheimen nur noch stattfindet, in Krankenhäusern. Und wenn ich hier zu die heutigen Menschen angucke, eben auch Generationen, die jetzt 40, 50 oder älter sind, die haben teilweise noch nie einen toten Menschen gesehen und haben dann natürlich auch Berührungsängste haben und wissen auch nicht, wie sie sich dem Sterben gegenüber verhalten sollen."
Wie beginnt Sterben?
Wir sitzen im Kreis - Fremde, im Alter etwa zwischen 25 bis 76. Mehr Frauen als Männer. Eine 34-jährige Ärztin ist dabei, zwei Mitarbeiter von Bestattungsinstituten. Eine junge Frau - sie hat zwei kleine Kinder - versorgt ihre krebskranke Mutter. Zwei ältere Mütter mit ihren Söhnen – in beiden Familien sind die zugehörigen Ehemänner/Väter sterbenskrank. Aber wann sterben sie? Sind sie schon im Sterbeprozess? Und womit beginnt der eigentlich? Georg Bollig sagt:
"Das zu erkennen ist ganz wichtig für den Angehörigen und für die zu Begleitenden selbst – ja, erkennen. In der Regel wird ein sterbender Mensch das Essen und Trinken am Lebensende nicht mehr zu sich nehmen wollen, und es geht in Richtung Verweigerung, beziehungsweise der Appetit nimmt ab, und es wird jemand bettlägeriger, teilnahmsloser, nimmt nicht mehr so am Leben, am Geschehen teil, hat wenig Interesse für seine Umwelt, für sein Umfeld und zieht sich immer mehr in sich zusammen und kehrt zu seiner Mitte zurück."
Ulrike Lenhart, früher Krankenschwester in einer Intensivstation, heute zertifizierte Palliativfachfrau. Viele im Raum haben beim Thema Tod natürlich auch mit eigenen Ängsten zu kämpfen. Da ist es eine große Erleichterung, dass die Kursleiterin erfahren darin ist, nahezu Unaussprechliches auszusprechen - im richtigen Ton.
Thema Spiritualität
Immer beinhalten die Kurse in vier Stunden diese vier Module. Georg Bollig erklärt den Aufbau:
"Dass man erst mal damit startet, Sterben ist ein Teil des Lebens. Darüber wird gesprochen. Dann gibt’s im Modul zum Thema Vorsorge und Entscheiden. Da geht’s um Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht unter anderem. Dann gibt’s ein Modul - das heißt Leiden lindern. Da geht es eben darum, was kann ich praktisch jetzt tun, wenn jemand anders Hilfe braucht am Lebensende. Und das letzte widmet sich dem Thema Abschiednehmen und Trauer."
Auch Spiritualität ist für Fürsorgende von Sterbenden ein Thema:
Georg Bollig sagt: "Gerade wenn man Patienten sehr nah kommt, ist man nicht nur Arzt, da ist es durchaus so, dass der Arzt nicht als Pfarrer agiert, aber dass der Arzt durchaus mit einem über spirituelle Probleme redet."
Immer und immer wieder betonen die Kursleiterinnen vor allem dies. Palliativfachkraft Angelika Krüger:
"Nichts zu tun - das sind wir nicht gewohnt. Das ist dieses ‚Dasein‘, in unserer Generation … wir sind eben gewohnt, zu organisieren, zu managen, zu tun, aufs Handy zu gucken, aber einfach nur einen Moment, der länger sein kann, auszuhalten, allein das ist schon schwierig."
Eingebaute Nächstenliebe
Was dem Betreuenden helfe, erklärt Georg Bollig so:
"Ich glaube die Menschen haben eine eingebaute Nächstenliebe. Wir sind von Geburt an auch umsorgende Wesen, die sich um andere kümmern möchten. Wir alle können uns um andere kümmern, und ich glaube der Letzte-Hilfe-Kurs ist eben auch Ausdruck der Ermutigung, das auch zu tun."
Ermutigung auch dazu, im Krankenhaus dann nachzuhaken, wenn man als Angehöriger den Eindruck hat, ein Sterbender werde übertherapiert. Ulrike Lenhart zu den gravierenden Unterschieden zwischen Krankenhaus und palliativem Bereich:
"Ein Krankenhaus hat eine ganz andere Ausrichtung. Da geht es darum zu heilen, noch zu gucken, zu operieren, was auch immer. Im palliativen Bereich ist es so, dass man versteht, dass der Mensch sterbend ist, und dass man liebevoll unterlassen kann. Dass man dabei bleibt."
Liegt eine entsprechende Patientenverfügung vor, kann man dafür sorgen, dass ein Sterbender am Lebensende nach Hause darf.
Und was sagen die Teilnehmer?
"Ein großer Punkt ist für zum Beispiel Selbstbestimmung des Kranken, dass man darauf achten sollte, dass man nicht das macht, was man vielleicht selber machen will als Angehöriger, sondern dass man darauf achtet, was der Patient selber willl und das immer im Auge hat."
"Neu war für mich, dass das Essen und Trinken von alleine aufhört. Ich hab eigentlich gedacht, das ist genau umgekehrt. Wir sterben nicht, weil wir aufhören zu essen und zu trinken, sondern wir hören auf zu essen und zu trinken, weil wir sterben. Dass halt die Körperfunktionen derart auch zurückgehen, dass man gewisse Sachen nicht mehr braucht."