Dem begnadeten Selbstvermarktungs-Experten Ulrich Beck stand am Anfang seiner Karriere sozusagen das Glück im Unglück zur Seite. Sein erstes großes Werk, "Risikogesellschaft", war gerade erschienen, als es zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl kam. Die Erstauflage verkaufte sich daraufhin innerhalb kürzester Zeit, schien doch vieles geradezu auf den GAU gemünzt zu sein. Noch im selben Jahr wurde eine zweite Auflage gedruckt, in deren Vorwort Beck schrieb:
Die Rede von (industrieller) Risikogesellschaft hat einen bitteren Beigeschmack von Wahrheit erhalten. Vieles liest sich nach Tschernobyl wie eine platte Beschreibung der Gegenwart.
Ausgangspunkt für den 1944 in Hinterpommern geborenen Gesellschaftswissenschaftler Beck war ein Dilemma, das in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zunehmend deutlicher wurde: In den Sozialwissenschaften vertraten immer mehr Forscher die Ansicht, dass sich in den westlichen Gesellschaften ein tiefgreifender soziokultureller Wandel vollzogen habe. Doch wurden die meisten Versuche, diese Veränderungen zu beschreiben und zu erklären, als unbefriedigend angesehen. Den sogenannten "postmodernen" Gesellschaftsentwürfen zum Beispiel attestierte Beck Beliebigkeit und begriffliche Unschärfe:
Bei der Postmoderne beginnt alles zu verschwimmen "Post" ist das Codewort für Ratlosigkeit, die sich im Modischen verfängt. Es deutet auf ein Darüberhinaus, das es nicht benennen kann.
Auf der anderen Seite konnten Beck aber auch solche Ansätze nicht überzeugen, die den Zusammenhang des Großen-Ganzen anhand einer einzigen Facette der sozialen Welt erklären wollten. Und die daher die "Erlebnisgesellschaft", die "Multioptionsgesellschaft" oder die "Angstgesellschaft" proklamierten. Dem setzte Ulrich Beck 1986 seinen umfassenden Entwurf entgegen. Er erklärte darin die klassische, industrielle Moderne durch eine neue, andere Moderne für abgelöst, nämlich die "Risikogesellschaft", die dadurch gekennzeichnet sei, dass sie sich der von ihr selbst ausgehenden Gefahren bewusst sei:
Der Begriff der "Risikogesellschaft" bezeichnet einen System- und Epochenwandel in drei Bereichen: Es handelt sich erstens um das Verhältnis der Industriegesellschaft zu ihren Ressourcen, die sie aufbraucht. Zweitens um das Verhältnis der Gesellschaft zu den von ihr erzeugten Gefahren, die die Grundannahmen der bisherigen Gesellschaftsordnung erschüttern. Drittens um den Prozess der Individualisierung, da alle kollektiven Sinnquellen erschöpft sind.
Die Zeitgenossen dieser "anderen Moderne" kennzeichnen eine neue Perspektive auf ihr Tun: Sie sind sich darüber im Klaren, dass alles – von Eingriffen in die Natur über die Festlegung von Schadstoffgrenzwerten bis hin zur Wahl eines Lebensabschnittpartners - auf risikoreichen Entscheidungen beruhe - mit oftmals verheerenden Rückwirkungen: Die in der alten Gesellschaft treibende Kraft lässt sich in dem Satz fassen: Ich habe Hunger! Die Bewegung, die mit der Risikogesellschaft in Gang gesetzt wird, kommt demgegenüber in der Aussage zum Ausdruck: Ich habe Angst! An die Stelle der Gemeinsamkeit der Not tritt die Gemeinsamkeit der Angst.
Mit seinen auch für Fachfremde gut lesbaren, oft essayistisch gehaltenen Schriften erreichte Beck eine erstaunlich große Zahl von Lesern. Zwar wurde ihm des Öfteren vorgehalten, diesen Erfolg durch eine mit Schlagworten aufgepeppte, simple Beschreibung der Gegenwart erkauft zu haben. Doch scheinen sich auch viele seiner Zukunftsprognosen aus der "Risikogesellschaft" zu bestätigen, etwa im Zusammenhang mit der Klimakrise: Unsicheres Agieren von Wissenschaftlern, unbeholfene Reaktionen von Politikern oder Vernebelungsaktionen von Lobbygruppen. Und vielleicht bestätigt sich ja auch noch seine politische Hoffnung, die er mit Blick auf die "Risikogesellschaft" formulierte:
In der Weltrisikogesellschaft entsteht nicht nur eine selbstreflexive oder selbstkritische Gesellschaft; es entstehen auch die Konturen einer Utopie der ökologischen Demokratie, die für mich im Kern eine verantwortliche Moderne ist.
Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft. Suhrkamp Verlag. 391 Seiten kosten 12 Euro 50, ISBN: 978-3-518-11365-3.
Die Rede von (industrieller) Risikogesellschaft hat einen bitteren Beigeschmack von Wahrheit erhalten. Vieles liest sich nach Tschernobyl wie eine platte Beschreibung der Gegenwart.
Ausgangspunkt für den 1944 in Hinterpommern geborenen Gesellschaftswissenschaftler Beck war ein Dilemma, das in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zunehmend deutlicher wurde: In den Sozialwissenschaften vertraten immer mehr Forscher die Ansicht, dass sich in den westlichen Gesellschaften ein tiefgreifender soziokultureller Wandel vollzogen habe. Doch wurden die meisten Versuche, diese Veränderungen zu beschreiben und zu erklären, als unbefriedigend angesehen. Den sogenannten "postmodernen" Gesellschaftsentwürfen zum Beispiel attestierte Beck Beliebigkeit und begriffliche Unschärfe:
Bei der Postmoderne beginnt alles zu verschwimmen "Post" ist das Codewort für Ratlosigkeit, die sich im Modischen verfängt. Es deutet auf ein Darüberhinaus, das es nicht benennen kann.
Auf der anderen Seite konnten Beck aber auch solche Ansätze nicht überzeugen, die den Zusammenhang des Großen-Ganzen anhand einer einzigen Facette der sozialen Welt erklären wollten. Und die daher die "Erlebnisgesellschaft", die "Multioptionsgesellschaft" oder die "Angstgesellschaft" proklamierten. Dem setzte Ulrich Beck 1986 seinen umfassenden Entwurf entgegen. Er erklärte darin die klassische, industrielle Moderne durch eine neue, andere Moderne für abgelöst, nämlich die "Risikogesellschaft", die dadurch gekennzeichnet sei, dass sie sich der von ihr selbst ausgehenden Gefahren bewusst sei:
Der Begriff der "Risikogesellschaft" bezeichnet einen System- und Epochenwandel in drei Bereichen: Es handelt sich erstens um das Verhältnis der Industriegesellschaft zu ihren Ressourcen, die sie aufbraucht. Zweitens um das Verhältnis der Gesellschaft zu den von ihr erzeugten Gefahren, die die Grundannahmen der bisherigen Gesellschaftsordnung erschüttern. Drittens um den Prozess der Individualisierung, da alle kollektiven Sinnquellen erschöpft sind.
Die Zeitgenossen dieser "anderen Moderne" kennzeichnen eine neue Perspektive auf ihr Tun: Sie sind sich darüber im Klaren, dass alles – von Eingriffen in die Natur über die Festlegung von Schadstoffgrenzwerten bis hin zur Wahl eines Lebensabschnittpartners - auf risikoreichen Entscheidungen beruhe - mit oftmals verheerenden Rückwirkungen: Die in der alten Gesellschaft treibende Kraft lässt sich in dem Satz fassen: Ich habe Hunger! Die Bewegung, die mit der Risikogesellschaft in Gang gesetzt wird, kommt demgegenüber in der Aussage zum Ausdruck: Ich habe Angst! An die Stelle der Gemeinsamkeit der Not tritt die Gemeinsamkeit der Angst.
Mit seinen auch für Fachfremde gut lesbaren, oft essayistisch gehaltenen Schriften erreichte Beck eine erstaunlich große Zahl von Lesern. Zwar wurde ihm des Öfteren vorgehalten, diesen Erfolg durch eine mit Schlagworten aufgepeppte, simple Beschreibung der Gegenwart erkauft zu haben. Doch scheinen sich auch viele seiner Zukunftsprognosen aus der "Risikogesellschaft" zu bestätigen, etwa im Zusammenhang mit der Klimakrise: Unsicheres Agieren von Wissenschaftlern, unbeholfene Reaktionen von Politikern oder Vernebelungsaktionen von Lobbygruppen. Und vielleicht bestätigt sich ja auch noch seine politische Hoffnung, die er mit Blick auf die "Risikogesellschaft" formulierte:
In der Weltrisikogesellschaft entsteht nicht nur eine selbstreflexive oder selbstkritische Gesellschaft; es entstehen auch die Konturen einer Utopie der ökologischen Demokratie, die für mich im Kern eine verantwortliche Moderne ist.
Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft. Suhrkamp Verlag. 391 Seiten kosten 12 Euro 50, ISBN: 978-3-518-11365-3.