Schon der erste Satz ist vielversprechend:
"Ich heiße Riad, 1980 war ich zwei Jahre alt und bereits ein ganzer Kerl."
Mit diesen Worten beginnt Comic-Zeichner und Filmemacher Riad Sattouf seine Bildergeschichte. Sie handelt von einem kleinen Jungen mit blonden Locken, großen Augen und einem Schmollmund. Doch gleichermaßen ist es auch die Geschichte des Autors - Riad Sattouf – Kind eines syrischen Vaters und einer französischen Mutter, es sind seine Erinnerungen an die Kindheit.
"Damals war die Welt ein Nebel, bevölkert von freundlichen Riesen. Alles, was ich sagte, rief Erstaunen und Freude hervor. Alle Frauen wollten mich im Arm halten. Ich war das einzige Kind meiner Eltern. Auch sie vergötterten mich."
Riads Vater hatte in Frankreich studiert und Clementine geheiratet. Nach seinem Examen strebt er eine Hochschulkarriere an. Und damit beginnt für die Kleinfamilie ein großes Hin und Her. Erst geht es nach Libyen, dann zurück nach Frankreich, wenig später nach Syrien. Noch einmal zwingen widrige Umstände zu einer Rückkehr nach Frankreich, doch dann soll die Odyssee ein Ende finden, im Dorf des Vaters, mit 30.000 Dollar im Gepäck, Geld, das der Vater sinnvoll ausgeben will:
"Mit diesem Geld kann ich schon in der kommenden Woche den Bau meiner Luxusvilla auf meinem Acker beginnen."
Auch für den kleinen Riad schmiedet der Vater Pläne:
"Du wirst nicht Dein ganzes Leben lang Ferien haben! Der Araber von morgen geht zur Schule!"
Und die muss selbstverständlich in Syrien sein! Soweit zum Inhalt, soweit die Geschichte. Doch natürlich ist Sattoufs Buch weit mehr als nur das.
Eine unbequeme Abrechnung
„Der Araber von morgen – Eine Kindheit im Nahen Osten" ist eine Bildergeschichte, die anfangs zwar harmlos daherkommt, mit einem Einstieg, der freundlich-ironische Unterhaltung erwarten lässt, sich dann aber bitter-böse entwickelt. „Der Araber von morgen" ist Gesellschaftskritik, ist Satire pur, eine Abrechnung des Autors mit dem eigenen Vater, mit der arabischen Welt. Diese Abrechnung kennt keine Gnade, ist unbequem, perfide und gemein.
Dabei geht der Autor ausgesprochen geschickt vor: Er lässt durch die Augen eines Kindes blicken, des kleinen Riad eben, der sich einer immer größer werdenden Welt gegenübersieht. Das Kind Riad also betrachtet neugierig und unvoreingenommen, es lässt Personen auf sich wirken, beschreibt, was es wahrnimmt – mit der Naivität eines Kindes, das sich noch keine Tabus zu eigen gemacht hat. Doch natürlich ist es der Erwachsene Riad Sattouf, der die Zeichenfeder führt und den Schreibstift in Händen hält, der eine Auswahl trifft und treffsicher wiedergibt, was es so alles an Absurdität und Bosheit in einer nahöstlichen Diktatur zu entdecken gibt.
Da wird der jungen Familie direkt bei der Ankunft in Libyen das „Kleine Grüne Buch" des „großen Führers" Gaddafi überreicht. Sie bezieht Quartier, das ihr selbstverständlich „mietfrei" zugeteilt wird, stellt dabei fest, dass das neue Zuhause nichts anderes ist als eine Bruchbude, in der es von der Decke tropft. Die Groteske spinnt sich fort. Die Familie unternimmt einen ersten Spaziergang. Dabei begegnet sie keinem Menschen, dafür aber ständig dem „großen Führer", der sie von haushohen Plakaten herab anstiert. Nach Rückkehr steht sie dann vor verschlossener Tür. Ein anderer ist zwischenzeitlich eingezogen, weil es in der „großartigen Volksrepublik" kein Privateigentum gibt, weil allen alles gehören soll - so wie das ewige Corned Beef und die Bohnen aus der Dose, so wie auch die von Gaddafi so geliebte „Frucht des Volkes": Bananen, „mal grün und hart, mal gelb und matschig". Einzig das Verhalten der „Brüder" und „Schwestern" vor der Ausgabestelle ist weder sozial noch sozialistisch:
"Geh weiter, Blödmann!" - "Arschloch!" - "Halt's Maul Hundesohn! Willste eine fangen?"
Nicht anders, nein, weitaus krasser beschreibt der kleine, beschreibt der große Riad die Zustände in Syrien, da wird die Groteske dann grausam und abstoßend - da werden Esel mit Steinen beworfen, da prügeln sich Kinder und/oder werden von ihren Eltern geschlagen, da wird ein junger Hund mit einer Mistgabel aufgespießt, werden Gehenkte öffentlich zur Schau gestellt. „So ist das hier", fällt dem Vater dazu lediglich ein, und:
"Das ist schrecklich, aber notwendig ... Als Exempel ... Dann verhalten sich die Leute ruhig und gehorchen ... Man muss ihnen Angst machen ..."
Und überhaupt der Vater. Er wird desavouiert, nein, er desavouiert sich selbst, bis am Ende nur das von ihm übrig bleibt: Ein selbstgerechter, komplexbeladener Mann, der sich permanent überschätzt; ein Getriebener, der sich in seinen Träumen, Illusionen und Widersprüchen von Panarabismus, von Aufgeklärtheit und Moderne verfängt; ein Rassist, ein Chauvinist - aber eben doch der Vater, den man nicht einfach hinter sich zurücklassen kann.
"Deine Mutter hast Du auf Deine Seite gebracht, aber vergiss nicht: Du bist kein Franzose, sondern Syrer. Und in Syrien müssen Jungen ihrem Vater gehorchen."
Kein Buch für "politisch Korrekte"
Sattoufs bildliche Darstellungen wirken oft überzeichnet, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt - und zeugen doch von Präzision und Beobachtungsgabe, sie stellen dar, sie stellen bloß, was Teil der Wirklichkeit ist, aber eben auch nur ein Teil der Wirklichkeit, wie sie sich bis heute in der arabischen Welt darstellt.
„Der Araber von morgen – Eine Kindheit im Nahen Osten" ist kein Buch für Pegida-Freunde, die das, was der Autor beschreibt, schon lange und schon immer wussten und eigentlich auch noch viel besser als Sattouf. Und es ist auch nichts für die bloß politisch Korrekten, die keinem wehtun, in allem ausgewogen und fair bleiben möchten.
Das Buch richtet sich vielmehr an die, die „Nestbeschmutzung" zulassen und gutheißen können, die den „bösen" Blick vertragen und auch selber einnehmen können - eben Satire mögen. Satire aber ist dann gut, wenn sie in all ihrer Unausgewogenheit und Einseitigkeit genau ins Schwarze trifft. Sattoufs Geschichte vermag sogar zweierlei: Sie unterhält und ist urkomisch, obwohl es doch eigentlich kaum etwas zu lachen gibt.
Prädikat: Unbedingt lesenswert.
Riad Sattouf: "Der Araber von morgen"
Aus dem Französischen übersetzt von Andreas Platthaus, Knaus Verlag, 158 Seiten, 19,99 EUR.
Aus dem Französischen übersetzt von Andreas Platthaus, Knaus Verlag, 158 Seiten, 19,99 EUR.