Heinemann: Am Telefon ist Markus Kurth, der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Guten Tag!
Markus Kurth: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heils Vorschlag "sehr nahe" an der Garantierente
Heinemann: Herr Kurth, wie bewerten Sie Hubertus Heils Plan?
Kurth: Ja, der geht natürlich grundsätzlich in die richtige Richtung. Es ist auch für die Legitimität und Akzeptanz unserer Pflichtversicherung, Umlageversicherung, Rentenversicherung notwendig, dass man, wenn man jahrzehntelang gearbeitet hat, einen Betrag hat, der oberhalb der Grundsicherung liegt. Und der kommt sehr nahe, der Vorschlag von Hubertus Heil, an das, was wir Garantierente nennen. Unser Vorschlag war ja, 30 Beitragsjahre als Grundlage zu nehmen, um dann die Rente auf 30 sogenannte Rentenpunkte, also knapp 1.000 Euro, höher zu werten. Dahinter bleibt Hubertus Heil jetzt ein wenig zurück, aber von der Basisarchitektur ist das sehr, sehr ähnlich.
Langfristige Finanzierung "genau überlegen"
Heinemann: Herr Kurth, die "Bild"-Zeitung berichtet heute, dem Bundesfinanzminister fehlen 25 Milliarden Euro bis 2023. Wie sollte Heils Grundrente langfristig finanziert werden?
Kurth: Das ist der springende Punkt, wo ich auch Kritik übe. Ich finde, wenn man Millionen Menschen solche Hoffnungen macht - und die ersten Rentnerinnen und Rentner haben schon heute Vormittag in meinem Bundestagsbüro angerufen -, dann muss man sich auch zusammen mit dem Koalitionspartner, wenn man in der Regierung ist, genau überlegen, wie man das langfristig finanzieren will. Und ich mache mir…
"Große Sorgen, dass der Fehler wiederholt wird"
Heinemann: Wie würden Sie es denn finanzieren?
Kurth: Natürlich muss das aus Steuermitteln finanziert werden, das muss dann aber auch rechtzeitig im Haushalt abgebildet werden. Und ich mache mir große Sorgen, dass der Fehler wiederholt wird, den die Koalition schon bei der sogenannten Mütterrente gemacht hat, dass dann am Ende doch wieder die Rücklagen der Rentenversicherung und am Ende des Tages die Mittel der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler herhalten müssen - und das halte ich nicht für gerecht. Oder aber, was auch zu befürchten ist, dass aus dem Vorschlag am Ende gar nichts mehr wird, und dann werden Millionen Menschen enttäuscht sein. Ich finde, dass Hubertus Heil sich das gut überlegen muss, welche Erwartungen er weckt und welche er erfüllen kann.
Das Gefühl, "dass Lebensleistung etwas zählt"
Heinemann: Herr Kurth, halten Sie es grundsätzlich für richtig, Steuermittel für den Konsum und eben nicht für Investitionen zu verwenden - für Infrastruktur, für die Bahn, für Digitalisierung, für Bundeswehr -, ist das alles nicht so wichtig?
Kurth: Natürlich sind Investitionen wichtig, und Deutschland hat einen unheimlichen Investitionsstau, und darum ist auch der Abbau des Solidaritätszuschlages in dieser Form fragwürdig. Aber wir müssen doch sehen, dass die langfristige Akzeptanz unseres Systems der sozialen Sicherung auch daran hängt, dass Menschen das Gefühl haben und auch im Laufe des Berufslebens wissen, dass ihre Lebensleistung am Ende etwas zählt. Wenn diese Grundlage, diese grundsätzliche Kit verloren geht, dann nützen auch alle Investitionen nichts.
Das Einkommen von Partnern anrechnen
Heinemann: Auch die Grünen können jeden Euro nur einmal ausgeben. Wenn Sie sich für eins entscheiden sollten, Infrastruktur oder Rente, wo würden Sie investieren?
Kurth: Ich glaube, man sollte das nicht so gegeneinander ausspielen an dieser Stelle, sondern einen ausgewogenen Mix kann man finden. Vielleicht sollte man bei einer Garantierente, wie wir es nennen würden, nicht anfangen, schon den kompletten Bestand mit einzubeziehen, sondern erst mal nur die Neurentnerinnen und Neurentner. Ich finde auch, dass man sehr wohl überlegen sollte, ob nicht doch Einkommen von Ehepartnern und Partnern angerechnet werden, das würden wir zum Beispiel vorschlagen, damit nicht, ich nehme mal ein typisches Beispiel, die Ehefrau eines Pensionärs, der eine hohe Pension hat, auch einfach eine höhere Rente aus Steuermitteln bekommt. Also, das sind einige Stellschrauben, um eine intelligente Kombination noch hinzukriegen.
Haushaltseinkommen "unbedingt" mit einbeziehen
Heinemann: Das heißt, der Bedarf sollte geprüft werden?
Kurth: Der Bedarf sollte geprüft werden beim Haushaltseinkommen, in der Tat. Ich sehe jetzt weniger die Gefahr, dass hohe Betriebsrentenansprüche da sind, wie das Mike Mohring eben in dem Beitrag gesagt hat. Wer sein Leben lang nur so wenig verdient hat, dürfte in der Regel über gar keine Betriebsrente oder sonst nur eine Mini-Betriebsrente verfügen, das ist nicht das Problem. Aber das Haushaltseinkommen, also das der Ehepartnerin, des Ehepartners, das muss unbedingt mit einbezogen werden.
Alle finanzieren "eine Respekt- oder Grundrente"
Heinemann: Das auf jeden Fall, also, das wäre eine Forderung, die Sie an Hubertus Heil richten würden.
Kurth: Ja, ich glaube, das ist auch wichtig für die Akzeptanz. Denn letzten Endes muss natürlich eine Respekt- oder Grundrente finanziert werden von allen, auch von Geringverdienern über deren Steuermittel. Und ich glaube, das stößt nur auf Akzeptanz, wenn es denn möglichst passgenau ist und nicht die Gießkanne genommen wird.
"Praktisch alle Ersparnisse mit einbringen"
Heinemann: Herr Kurth, Menschen, die eine geringe Rente beziehen, die können heute schon aufstocken. Wieso reicht das nicht?
Kurth: Na ja, die sind dann im Grundsicherungsbezug, das heißt, das ist das Existenzminimum, das ja ohnehin viel zu knapp berechnet ist. Man muss praktisch alle Ersparnisse mit einbringen. Und das ist natürlich bitter für Personen, die 40 Jahre lang gearbeitet haben. Darum ist diese Auffanglösung Grundsicherung im Alter keine wirklich befriedigende für langjährige Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
Regierung: "Gut überlegen, wie weit sie sich vorwagt"
Heinemann: Dient diese Auffanglösung möglicherweise auch dazu, Populismus mit Sozialpolitik zu bekämpfen?
Kurth: Ja, das befürchte ich ein bisschen, dass das sehr stark wahlkampforientiert jetzt kommt von Hubertus Heil, und das ist eigentlich schade, weil es wirklich ein diskussionswürdiger Vorschlag ist. Und, das habe ich ja schon versucht zum Ausdruck zu bringen, wenn man jetzt solche überbordenden Hoffnungen weckt, dann muss man auch irgendeine Vorstellung, irgendeinen Plan haben als Regierungspartei, wie man das umsetzt. In der Opposition ist man da ein bisschen freier, Vorschläge zu machen, aber eine Regierungspartei muss, gerade in solch sensiblen Fragen wie der Rentenpolitik, sich gut überlegen, wie weit sie sich vorwagt. Denn sonst, wenn die Enttäuschung eintritt, weil dann doch alles nichts wird, hat man womöglich nur den Populisten wieder Vorschub gegeben und Vorurteile bestätigt, dass die da oben sowieso nichts für uns tun und wie die entsprechenden Vorwürfe halt dann lauten.
Mütterrente: Zehn Milliarden Euro jedes Jahr
Heinemann: Beginnt jetzt ein Wettlauf um die höchsten Rentenforderungen?
Kurth: Das hoffe ich nicht. Ich finde schon, dass die Große Koalition mit der sogenannten Mütterrente I und II, das kostet beides zusammen ja zehn Milliarden Euro jedes Jahr, einen Fehler gemacht hat. Nicht, dass ich jetzt jeder einzelnen Mutter den Rentenpunkt missgönnen würde, aber zielgenau war das ganz bestimmt nicht. Von dem Geld hätte man eine sehr gut ausgestattete Garantierente gleich zweimal finanzieren können und hätte dann sehr viel zielgenauer Armut bekämpft. Ein genereller Überbietungswettbewerb hilft uns letztlich allen nicht weiter, sondern die oberste Maßgabe muss sein, möglichst zielgenau Altersarmut zu bekämpfen und dann auch Ungerechtigkeiten zu vermeiden.
Heinemann: Markus Kurth, der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Kurth: Wiederhören, Herr Heinemann!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.