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Kurz vor der Räumung

Das wohl bekannteste Fußballstadion der Welt ist das Maracana in Rio de Janeiro. Hier wird das Endspiel der Fußball-WM 2014 stattfinden. Im Zuge der 350-Millionen-Euro-Umbaus sollen mehrere Sportstätten, eine Schule und ein von brasilianischen Indianern besetztes historisches Gebäude weichen.

Von Carsten Upadek und Fred Kowasch |
    Nachfahren von brasilianischen Ureinwohnern protestieren gegen die Räumung um das Stadion Maracana.
    Nachfahren von brasilianischen Ureinwohnern protestieren gegen die Räumung um das Stadion Maracana. (Deutschlandfunk - Fred Kowasch)
    "Schämt Euch", rufen die Demonstranten. Sie sitzen auf der Besucher-Empore des feudalen Rathauses von Rio de Janeiro. "Lügner" schallt es den Stadtvätern im Sitzungssaal entgegen. Es ist nur eine von vielen emotionalen Demonstrationen in diesen Tagen in Rio. Transparente hängen über der Brüstung. Auf denen steht: 'Das Maracanã gehört uns!'

    "Wir sprechen schließlich vom Maracanã und nicht irgendein Gebäude, nicht irgendein öffentlicher Platz. Wir reden von einem Ort, der mit der Geschichte von Rio de Janeiro verwoben ist, der Art wie die Menschen hier verkettet sind mit der Stadt und dem Fußball. Es ist auch deshalb so emotional, weil eine ganze Reihe Absurditäten passieren. Das bringt uns in Rage."

    Gustavo Mehl ist einer der Organisatoren des "Volkskomitee WM und Olimpia", zu dem sich Nichtregierungsorganisationen, Bürgerrechtler und Anwohner zusammengeschlossen haben. Es geht um die Privatisierung der Legende Maracanã. Und es geht um den Abriss von Sportstätten rings um das Stadion. Um eine Schule, ein historisches Gebäude dass geräumt werden soll. Die entscheidende Auseinandersetzung erwartet Gustavo Mehl für die nächsten Tage:

    "Wir erwarten nun im Januar aggressivere Aktionen des Staates, wie immer wenn sich ein starker öffentlicher Widerstand gebildet hat, der staatliche Entscheidungen hinterfragt. Die Polizei könnte das Gelände heimlich nachts besetzen. Das haben wir schon in anderen Fällen erlebt. Wir als Gesellschaft müssen darauf achten, dass sich das hier nicht wiederholt."

    Bei den Aktionen immer mit dabei, Carlos Tukano. Der 53-jährige Indianer lebt auf dem Gelände, das sie das "Dorf Maracanã" nennen. Er ist einer der Köpfe des Widerstandes gegen den Umbau des brasilianischen 'Heiligtums'. Tukano wurde im hintersten Amazonasgebiet, an der Grenze zu Kolumbien geboren.

    "Ich wollte wissen, woher diese Leute kommen, wie deren Kultur ist, deshalb bin ich mit 20 Jahren aus meinem Gebiet weggegangen. Ich wollte so etwas sein, wie ein Botschafter für meine Kultur."

    In den 80er Jahren kam er so nach Rio de Janeiro, engagierte sich sozial und ist geblieben. Uns führt er unmittelbar entlang der Absperrungen der riesigen Baustelle des Estádio Jornalista Mário Filho, wie das Maracanã-Stadion offiziell heißt. Etwa 35 Indianer leben in Zelten in dem alten Gebäude und in kleinen Lehmhütten rings herum. Entlang der Fassade der zweistöckigen Villa Ranken sich Pflanzen und Bäume. Fenster und Türen bestehen nur noch aus morschen Rahmen, Tauben nisten im Gebälk. Der Besucher kann nur noch erahnen, wie prächtig dieses feudal wirkende Anwesen einst gewesen sein muss.

    "Dieses Gebäude hat ganz viel Geschichte, ganz viel Erinnerung der indigenen Völker Brasiliens. Wir sind doch nicht gegen die Weltmeisterschaft. Wir sind nicht gegen den Frohsinn. Wir sind gegen die Art, wie sie uns behandeln, ohne uns überhaupt zu fragen. Als wären wir ein unsichtbarer Teil der Gesellschaft. Das schmerzt mich sehr."

    Der erste Besitzer des Gebäudes war 1864 ein deutscher Prinz: Ludwig August von Sachsen-Coburg und Gotha, der hier in Brasilien die Tochter des brasilianischen Kaisers geheiratet hatte, der das Gebäude der Wissenschaft überließ. 1910 entstand hier die erste Initiative zum Schutz indigener Völker in ganz Latein-Amerika und 1954 das allererste Indianer-Museum. Erst Ende der 70er Jahre zog das Museum um in einen anderen Stadtteil. Das Gebäude geriet in Vergessenheit und verwahrloste. Als die Regierung beschloss, es abzureißen, besetzten Tucano und andere Indios das Gelände 2006. Laut brasilianischem Recht haben sie nach fünf Jahren ein Nutzungsrecht. Der Antrag liegt vor Gericht. Wann aber eine Entscheidung fällt, will ihnen keiner sagen.

    Die Zeit drängt für den Gouverneur von Rio de Janeiro. Bis März soll das Stadion vollständig umgebaut sein. Rechtzeitig vor dem Confederations-Cup, der im Juni 2013 auch im legendären Maracanã stattfindet. Der Confederations-Cup – die Generalprobe für die Fußball-WM ein Jahr später. Im Maracanã wird es dann nur noch Sitzplätze geben. Hier entstehen 60 neue Bars und 110 Luxuslogen. Um das Stadion herum sind exklusive Geschäfte, ein großes Schnellimbiss-Restaurant und ein Pressezentrum geplant. Dazu ein riesiger Parkplatz. Auf einem Gelände, wo heute noch brasilianische Ureinwohner leben.

    Das Maracanã ist eine Legende. Sportgeschichte wurde hier geschrieben. In diesem Stadion fand nicht nur das Fußballspiel vor den meisten Zuschauern auf der Welt statt. Die 1:2-Niederlage der brasilianischen Selecção im letzten Spiel der WM 1950 gegen Uruguay ist bis heute unvergessen, ein nationales Trauma geradezu. Bereits ein Unentschieden hätte Brasilien damals im Maracanã zum Weltmeister gemacht.
    Den WM-Titel im eigenen Land soll es nun 2014 geben. Das Maracanã - die größten Spieler Brasiliens - Pelé, Garrincha, Zico, Romario - haben hier Tore geschossen, ihre besten Spiele gezeigt.

    "Das Maracana war immer ein populärer Ort, der Menschen aller Arten und Klassen empfangen hat und der die Geschichte der Stadt mit der des Weltfußballs verbindet."

    Sagt Gustavo Mehl. Nun soll das brasilianische 'Heiligtum' privatisiert werden. Das ist zumindest der Plan des Gouverneurs von Rio der Janeiro, Sergio Cabral. Einziger ernsthafter Kandidat dafür ist der Multimilliardär Eike Batista, ein alter Freund und Förderer des Gouverneurs. Batista soll das Stadion für umgerechnet 2,5 Millionen Euro pro Jahr betreiben dürfen. Ein Bruchteil der mehr als 350 Millionen Euro, den der Umbau dem brasilianische Steuerzahler gekostet hat. Gouverneur Cabral äußert sich öffentlich zu diesem Vorgang nicht. Wohl aber sein Gegenspieler, den einflussreiche Oppositionspolitiker Marcelo Freixo:

    "Ich bin radikal gegen die Privatisierung. Hier gibt es die Idee, dass alles öffentliche nicht gut sei und die Lösung heißt Privatisierung. Aber hier wurde schon viel öffentliches Geld ausgegeben. Die Lösung kann nicht sein, es einer privaten Initiative zu geben, die daraus eine Mehrzweck-Arena macht."
    Die Zukunft des Maracana. Sie wird in diesen Tagen in Rio de Janeiro besonders intensiv diskutiert. Wird der Fußballtempel dem Kommerz geopfert, wann rücken die Bagger an?! Das sie bald kommen werden ahnen Gustavo Mehl und Carlos Tukano. Der Umbau des Maracana wirft auf ihre Leben einen langen Schatten.