Mario Dobovisek: Daten auf Vorrat, einfach speichern, anhaltslos, ohne Verdacht, über Monate hinweg, vielleicht über Jahre oder für alle Ewigkeit – Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Was Geheimdienste schon dem Namen nach im Geheimen tun und bisweilen über Lecks verlieren, wollen Ermittler in Deutschland und Europa schon lange offiziell durchführen: Telefon- und Internet-Daten begrenzt auf Vorrat speichern, für den Fall, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen darauf zurückgreifen müssen. Allein das sorgt für Dauerstreit in der schwarz-gelben Bundesregierung. Dazu kommt noch die Diskussion, ob die Europäische Union den Mitgliedsstaaten in Sachen Vorratsdatenspeicherung etwas vorschreiben darf mit ihrer Richtlinie. Die steht heute zur mündlichen Verhandlung am Europäischen Gerichtshof.
Am Telefon begrüße ich Constanze Kurz, sie ist Informatikerin und Sprecherin des "Chaos Computer Clubs", einem Zusammenschluss deutscher IT-Experten und Hacker. Daten auf Vorrat speichern, Frau Kurz, die einen tun es im geheimen, darüber reden wir gleich, die anderen ganz offiziell. Was halten Sie davon?
Constanze Kurz: Ich denke, angesichts der neuen Enthüllungen sollten wir auch über die Vorratsdatenspeicherung anders nachdenken, denn ich glaube, wenn die Menschheit insgesamt – es betrifft ja sehr viele Länder – doch recht erschrocken ist über die Maßnahmen der Amerikaner, so ist auch diese Vorratsdatenspeicherung, die ja keinen Anlass hat und ohne konkrete zum Beispiel Verdächtigungen auskommt, sondern einfach nur Daten wegspeichert, neu zu überdenken. Und ich glaube, da haben wir ein bisschen Glück, dass wir gerade beim Europäischen Gerichtshof dieses Verfahren anliegen haben, denn das gibt uns die Möglichkeit, neu darüber zu diskutieren.
Dobovisek: Terroranschläge können verhindert werden, dafür gibt es auch mehrere Beispiele, sagen Ermittler, und Täter schneller gefunden. Was ist schlecht daran?
Kurz: Ich denke, dass es nicht unbedingt darum gehen muss, wie effizient ein einzelnes Datum in diesem riesigen Berg von Daten ist. Natürlich wird man immer Fälle finden, wo man sagt, ja, da wäre das hilfreich, aber das ist nicht die Abwägung, die man treffen muss. Es ist ja keine Effizienzfrage, sondern eine Frage der Grundrechte und auch ein bisschen der Ausrichtung, wohin wir in Zukunft gehen wollen mit diesen Datensammlungen.
Dobovisek: Welche Regeln bräuchte denn eine Vorratsdatenspeicherung, der Sie auch zustimmen könnten?
Kurz: Ich denke, ich könnte eigentlich keiner zustimmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man auf Kommunikationsdaten zugreift. Das wird auch in Zukunft passieren. Aber dass man sie aufbewahrt, …
Dobovisek: Was bedeutet das?
Kurz: Ich denke, dass jeder, der sich per Chat, per Mail oder mit einem Telefon in den digitalen Datennetzen bewegt, natürlich Spuren hinterlässt, und ich denke, die sollte die Polizei bei einem begründeten Verdacht auch nutzen können. Ich glaube, das ist eine Selbstverständlichkeit und das würde auch sicherlich eine ganz große Mehrheit in der Bevölkerung wollen, denn der Schutz vor Kriminalität ist natürlich wichtig. Aber dass man sie einfach ohne Grund aufhebt, davon halte ich nichts.
Dobovisek: Kommen wir zur Vorratsdatenspeicherung und Abhöraktionen im geheimen durch die Geheimdienste in den USA und auch in Großbritannien. Der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden hat diese an die Öffentlichkeit gebracht. Ist er für Sie ein Verräter oder ein Held?
Kurz: Ich glaube, er ist eigentlich keines von beidem. Für mich ist er jemand, der in relativ jungen Jahren mit Gewissensbissen klarkommen musste und sich nach einiger Zeit, wo er sich diese Überwachung angesehen hat, die er auch technisch jeden Tag auf dem Schreibtisch hatte, sich entschieden hatte, der Weltöffentlichkeit zu sagen, …
Dobovisek: Ist das gut aus Ihrer Sicht?
Kurz: Ja, natürlich und ich wünsche mir auch, dass er Nachahmer findet, denn das ist eigentlich genau das, worauf ein bisschen unsere westlichen Gesellschaften ja immer stolz sind, nämlich die Aufklärung und dass man Machenschaften, die sich gegen unsere gemeinsamen Werte richten, möglichst öffentlich macht.
Dobovisek: Nun sind diese Machenschaften, wie Sie sie nennen, ja nicht ganz neu. Abhöraktionen sind schon länger bekannt, es gab das Echelon-System der Vereinigten Staaten gemeinsam mit den Partnern im Ausland, es gab Abhöraktionen durchaus auch in Botschaften. Warum dann also diese Aufregung?
Kurz: Ich glaube, die Welt hat sich auch ein bisschen verändert. Wenn man früher über diese Spionage im großen Stil geredet hat, dann hatte man oft noch diese Kalte-Krieg-Denke. Heute ist natürlich die Welt eine andere, und wie wir gesehen haben, richtet sich ja die Spionage sowohl der Briten wie auch der Amerikaner ganz klar auch gegen uns, gegen andere europäische Länder, also gegen befreundete Staaten. Insofern muss man natürlich davon ausgehen, dass ein großer Teil davon Industriespionage oder Wirtschaftsspionage ist, also diese Terrorargumente in der Regel nur vorgeschoben sind. Ich denke, dass die Gewöhnung daran, dass dort ein unkontrollierbarer Geheimapparat irgendwie operiert, …
Dobovisek: Aber ist er denn unkontrollierbar, oder kommt die Kontrolle nicht doch, nämlich die Anweisung aus dem Weißen Haus zum Beispiel zu kontrollieren?
Kurz: Ja, natürlich. Es wird jetzt betont, das sei alles nach Recht und Gesetz in den USA, und es gibt ja auch einen Ausschuss, der sich mit diesen Überwachungsoperationen beschäftigt. Aber sicherlich haben wir ja gesehen, darüber darf nicht öffentlich gesprochen werden. Auch dort geben die Geheimdienste nur zu, was offensichtlich ist. Auch das haben wir erlebt, dass sie immer nur dann zugeben, wie sie sich gegen die eigenen Gesetze wenden, wenn es nicht mehr abstreitbar ist, denn die Geschichte der Whistleblower, der Informanten, die ist ja nun genauso alt wie die Abhöraktionen.
Dobovisek: Die Bundesregierung gibt sich ja ziemlich empört über den NSA-Spähskandal, wenn auch etwas spät. Hätte sie von den Abhöraktionen im Internet und angeblich auch in EU-Einrichtungen wissen können, wissen müssen?
Kurz: Ach selbstverständlich! Ich glaube auch, dass ein Großteil der Bevölkerung diese gespielte Empörung nicht glaubt, und ich glaube auch, dass insgesamt durch die Verlautbarungen der Kanzlerin auch so ein bisschen herüberkommt, dass sie sehr wohl eine Ahnung hatte. Ich denke, sie stecken da unter derselben Decke, und da müssen wir uns als Bevölkerung nicht nur gegen das Ausschnüffeln der Amerikaner wehren, sondern auch die Mittäterschaft unserer eigenen Regierung anprangern.
Dobovisek: Seit wann ist Ihnen denn bekannt, dass der NSA das Internet in diesem Umfang abhört?
Kurz: Na ja, die Informanten, die in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit gingen, sicherlich und die Bücher, die erschienen sind, die habe ich natürlich wahrgenommen. Ich glaube auch, dass das einige andere Menschen, die sich für das Thema interessieren, wahrgenommen haben. Das ist sicherlich schon sechs, sieben Jahre her. Aber auch die Echelon-Debatte – die ist ja nun schon über zehn Jahre her -, die habe ich natürlich wahrgenommen. Ich denke auch, dass wir, nur weil jetzt das Argument kommt, machen die das schon seit Jahren, darüber trotzdem neu debattieren sollten, denn es ist nun mal eine digitale Welt jetzt und keine analoge mehr.
Dobovisek: Constanze Kurz, Informatikerin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Sprecherin des "Chaos Computer Clubs". Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon begrüße ich Constanze Kurz, sie ist Informatikerin und Sprecherin des "Chaos Computer Clubs", einem Zusammenschluss deutscher IT-Experten und Hacker. Daten auf Vorrat speichern, Frau Kurz, die einen tun es im geheimen, darüber reden wir gleich, die anderen ganz offiziell. Was halten Sie davon?
Constanze Kurz: Ich denke, angesichts der neuen Enthüllungen sollten wir auch über die Vorratsdatenspeicherung anders nachdenken, denn ich glaube, wenn die Menschheit insgesamt – es betrifft ja sehr viele Länder – doch recht erschrocken ist über die Maßnahmen der Amerikaner, so ist auch diese Vorratsdatenspeicherung, die ja keinen Anlass hat und ohne konkrete zum Beispiel Verdächtigungen auskommt, sondern einfach nur Daten wegspeichert, neu zu überdenken. Und ich glaube, da haben wir ein bisschen Glück, dass wir gerade beim Europäischen Gerichtshof dieses Verfahren anliegen haben, denn das gibt uns die Möglichkeit, neu darüber zu diskutieren.
Dobovisek: Terroranschläge können verhindert werden, dafür gibt es auch mehrere Beispiele, sagen Ermittler, und Täter schneller gefunden. Was ist schlecht daran?
Kurz: Ich denke, dass es nicht unbedingt darum gehen muss, wie effizient ein einzelnes Datum in diesem riesigen Berg von Daten ist. Natürlich wird man immer Fälle finden, wo man sagt, ja, da wäre das hilfreich, aber das ist nicht die Abwägung, die man treffen muss. Es ist ja keine Effizienzfrage, sondern eine Frage der Grundrechte und auch ein bisschen der Ausrichtung, wohin wir in Zukunft gehen wollen mit diesen Datensammlungen.
Dobovisek: Welche Regeln bräuchte denn eine Vorratsdatenspeicherung, der Sie auch zustimmen könnten?
Kurz: Ich denke, ich könnte eigentlich keiner zustimmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man auf Kommunikationsdaten zugreift. Das wird auch in Zukunft passieren. Aber dass man sie aufbewahrt, …
Dobovisek: Was bedeutet das?
Kurz: Ich denke, dass jeder, der sich per Chat, per Mail oder mit einem Telefon in den digitalen Datennetzen bewegt, natürlich Spuren hinterlässt, und ich denke, die sollte die Polizei bei einem begründeten Verdacht auch nutzen können. Ich glaube, das ist eine Selbstverständlichkeit und das würde auch sicherlich eine ganz große Mehrheit in der Bevölkerung wollen, denn der Schutz vor Kriminalität ist natürlich wichtig. Aber dass man sie einfach ohne Grund aufhebt, davon halte ich nichts.
Dobovisek: Kommen wir zur Vorratsdatenspeicherung und Abhöraktionen im geheimen durch die Geheimdienste in den USA und auch in Großbritannien. Der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden hat diese an die Öffentlichkeit gebracht. Ist er für Sie ein Verräter oder ein Held?
Kurz: Ich glaube, er ist eigentlich keines von beidem. Für mich ist er jemand, der in relativ jungen Jahren mit Gewissensbissen klarkommen musste und sich nach einiger Zeit, wo er sich diese Überwachung angesehen hat, die er auch technisch jeden Tag auf dem Schreibtisch hatte, sich entschieden hatte, der Weltöffentlichkeit zu sagen, …
Dobovisek: Ist das gut aus Ihrer Sicht?
Kurz: Ja, natürlich und ich wünsche mir auch, dass er Nachahmer findet, denn das ist eigentlich genau das, worauf ein bisschen unsere westlichen Gesellschaften ja immer stolz sind, nämlich die Aufklärung und dass man Machenschaften, die sich gegen unsere gemeinsamen Werte richten, möglichst öffentlich macht.
Dobovisek: Nun sind diese Machenschaften, wie Sie sie nennen, ja nicht ganz neu. Abhöraktionen sind schon länger bekannt, es gab das Echelon-System der Vereinigten Staaten gemeinsam mit den Partnern im Ausland, es gab Abhöraktionen durchaus auch in Botschaften. Warum dann also diese Aufregung?
Kurz: Ich glaube, die Welt hat sich auch ein bisschen verändert. Wenn man früher über diese Spionage im großen Stil geredet hat, dann hatte man oft noch diese Kalte-Krieg-Denke. Heute ist natürlich die Welt eine andere, und wie wir gesehen haben, richtet sich ja die Spionage sowohl der Briten wie auch der Amerikaner ganz klar auch gegen uns, gegen andere europäische Länder, also gegen befreundete Staaten. Insofern muss man natürlich davon ausgehen, dass ein großer Teil davon Industriespionage oder Wirtschaftsspionage ist, also diese Terrorargumente in der Regel nur vorgeschoben sind. Ich denke, dass die Gewöhnung daran, dass dort ein unkontrollierbarer Geheimapparat irgendwie operiert, …
Dobovisek: Aber ist er denn unkontrollierbar, oder kommt die Kontrolle nicht doch, nämlich die Anweisung aus dem Weißen Haus zum Beispiel zu kontrollieren?
Kurz: Ja, natürlich. Es wird jetzt betont, das sei alles nach Recht und Gesetz in den USA, und es gibt ja auch einen Ausschuss, der sich mit diesen Überwachungsoperationen beschäftigt. Aber sicherlich haben wir ja gesehen, darüber darf nicht öffentlich gesprochen werden. Auch dort geben die Geheimdienste nur zu, was offensichtlich ist. Auch das haben wir erlebt, dass sie immer nur dann zugeben, wie sie sich gegen die eigenen Gesetze wenden, wenn es nicht mehr abstreitbar ist, denn die Geschichte der Whistleblower, der Informanten, die ist ja nun genauso alt wie die Abhöraktionen.
Dobovisek: Die Bundesregierung gibt sich ja ziemlich empört über den NSA-Spähskandal, wenn auch etwas spät. Hätte sie von den Abhöraktionen im Internet und angeblich auch in EU-Einrichtungen wissen können, wissen müssen?
Kurz: Ach selbstverständlich! Ich glaube auch, dass ein Großteil der Bevölkerung diese gespielte Empörung nicht glaubt, und ich glaube auch, dass insgesamt durch die Verlautbarungen der Kanzlerin auch so ein bisschen herüberkommt, dass sie sehr wohl eine Ahnung hatte. Ich denke, sie stecken da unter derselben Decke, und da müssen wir uns als Bevölkerung nicht nur gegen das Ausschnüffeln der Amerikaner wehren, sondern auch die Mittäterschaft unserer eigenen Regierung anprangern.
Dobovisek: Seit wann ist Ihnen denn bekannt, dass der NSA das Internet in diesem Umfang abhört?
Kurz: Na ja, die Informanten, die in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit gingen, sicherlich und die Bücher, die erschienen sind, die habe ich natürlich wahrgenommen. Ich glaube auch, dass das einige andere Menschen, die sich für das Thema interessieren, wahrgenommen haben. Das ist sicherlich schon sechs, sieben Jahre her. Aber auch die Echelon-Debatte – die ist ja nun schon über zehn Jahre her -, die habe ich natürlich wahrgenommen. Ich denke auch, dass wir, nur weil jetzt das Argument kommt, machen die das schon seit Jahren, darüber trotzdem neu debattieren sollten, denn es ist nun mal eine digitale Welt jetzt und keine analoge mehr.
Dobovisek: Constanze Kurz, Informatikerin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Sprecherin des "Chaos Computer Clubs". Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.