"Also für Warhol wäre das phantastisch gewesen."
Eine Welt voller filmender und gefilmter Menschen, die sich selbst und andere überall abbilden, vervielfältigen, screenen.
"Der war seiner Zeit total voraus, der wäre im Carré gesprungen, wenn der gewusst hätte, wie viel Multiplikation überhaupt möglich ist."
Julia Schäfer, Kuratorin an der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig, hat im Warhol-Museum in Pittsburgh 180 Screen Tests gesichtet und deren Geschichte recherchiert.
"Warhol hatte sich 1963 eine Bolex-Kamera gekauft, eine 16- mm-Kamera, das war schon ganz schön was Tolles. Und dann fing er an, in seiner factory zwischen 64 und 66 die Kamera aufzubauen und jeder der reinkam, ist gescreentestet worden."
Die Silver Factory, Warhols Werkstatt in New York.
"Viele Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler, viele Superstars sind da ein- und ausgegangen. Die factory war bekannt, dass sie Silber ausgekleidet war und dass sie dunkel war."
Irgendjemand war immer da
Eine ideale Party-Location für Warhol, der süchtig war nach Menschen, nach Mimik und Körpersprache. Doch die Factory diente Warhol auch als Labor: Filme, Malerei, Siebdruckarbeiten entstanden hier und Experimentalfilme wie die Screen Tests.
"Du bist jetzt vor der Linse, und jetzt mach mal, ganz spielerisch!"
So Warhols Setting: Irgendeiner seiner Freunde kam immer auf den Stuhl, dann lief die Kamera auf dem Stativ für zweieinhalb Minuten, auf diese Länge war die 16-mm-Filmrolle begrenzt.
"Es sind insgesamt 472 Screen Tests dabei entstanden."
25 dieser schwarz-weißen Stummfilmporträts, maximal viereinhalb Minuten lang und zum Teil noch nicht veröffentlicht, hat Julia Schäfer in Pittsburgh für ihre Sommerausstellung in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst ausgewählt. Der Rundgang beginnt mit durchaus bewegten Gesichtern.
"Die verschiedenen Personen, die hier zu sehen verhalten sich so wie man das manchmal kennt wenn man vor dem Spiegel sitzt und nicht genau weiß, ach, wo soll ich die Hand hinmachen oder so. Hier auf dem Screen sieht man die junge Susan Sonntag wie sie immer wieder nach ein paar Sekunden "Cleese" sagt und plötzlich am Ende richtig albern wird."
"Heute würde man es löschen"
Jung und Alt, Männer und Frauen, meist sind nur Kopf und Oberkörper zu sehen. Manche verdrehen die Augen, nesteln an Kinn und Nase, ziehen Grimassen oder schauen immer wieder von links nach rechts, so wie im Screen Test mit Marcel Duchamp. Würde man selbst solche spontan gedrehten Filme für eine Ausstellung zulassen?
"Ja eben, heute würde man sagen, erase, lösch das bitte, klar."
Wer aus dem gleißenden Tageslicht in die mit schwarzen Tüchern abgedunkelten Räume dieser Sommerausstellung kommt, der fühlt sich wie eingesogen in die stillen, fremden Gesichter und doch sehr nah bei sich selbst.
"Genau, das ist auch das Interesse der Ausstellung."
Julia Schäfer und ihr Ausstellungsteam erzählen vom Making Off der Screen Tests, sie zitieren mit Scheinwerfern oder Hintergründen wie Holzpanelen oder rauen Wänden aus den wechselnden Settings in Warhols Factory.
"Man stellt mal eben eine Platte dahinter, um Gewurschtel oder sowas zu verdecken."
Und sie variieren die Projektion der Screen Tests vom intimen Fernsehformat bis zu raumgreifender Größe. Am Anfang fast bewegt, erstarren die Gesichter am Ende des Rundgangs fast in skulpturaler Regungsloslosigkeit.
"Versuch doch mal, dich nicht zu bewegen und darauf haben sich auch wirklich manche eingelassen."
Für Warhol, selbst Stilikone und ständig auf der Suche nach dem idealen Selbstbild, bündelten sich in den Screen Tests Passion und Sammellust. Der Betrachter, der Warhols Porträtfilme jetzt in Leipzig sieht, schaut nicht mehr unbedarft in eine Kamera.